Noch die Analyse, die ich für die Tamediatitel geschrieben habe (mit der Expertise von Fabienne) für das Sturmforum frei Haus (Artikel ist hinter der Aboschranke):
https://www.tagesanzeiger.ch/unwetterwa ... 2424953169
Warum der Gewitterlinie in Zürich der Schnauf ausging
Statt wie befürchtet Sturm und Hagel gabs am Mittwoch vielerorts nur Wind und Landregen. Der Fall zeigt exemplarisch: Gewitter bleiben schwer vorherzusagen.
Eigentlich standen am Mittwoch in Zürich alle Zeichen auf Sturm. Von Frankreich her drückte ein Randtief Richtung Schweiz. Im Vorfeld dieser Störung wurden feuchtwarme und energiereiche Luftmassen zur Alpennordseite geführt. Der Wind war zügig und nahm mit der Höhe an Stärke zu. Diese Faktoren führen im Sommer in unseren Breiten in der Regel zur Bildung von kräftigen Gewittern, ja sogar Unwettern.
Die Wetterdienste reagierten entsprechend. Meteo Schweiz gab eine Unwettervorwarnung der Stufe 3 für die gesamte Alpennordseite heraus. Dem Vernehmen nach stand am Dienstag sogar kurzzeitig Warnstufe 4 zur Diskussion, was aussergewöhnlich gewesen wäre. Gerechnet wurde mit einer heftigen Gewitterlinie, die sich im Verlauf des Nachmittages bilden und dann mit Sturmböen und Hagel von West nach Ost über das Land ziehen würde.
Das war die Vorhersage. Die Realität sah dann allerdings anders aus. Die vermutete Gewitterlinie bildete sich zwar und zog am frühen Nachmittag von Frankreich her in die Westschweiz. Sie erreichte aber nie die ursprünglich befürchtete Intensität. «Das waren verhältnismässig harmlose Gewitter», sagt die Meteorologin Fabienne Muriset, die das Portal fotometeo.ch betreibt. Entlang des Juras und in der Nordwestschweiz gab es kleinkörnigen Hagel, Starkregen und Sturmböen um 90 km/h.
Im Verlauf des Nachmittags machte sich die Gewitterlinie auf den Weg Richtung Osten. Die Wetterdienste verschickten Warnungen per Pushmeldung an die Bevölkerung im Grossraum Zürich.
Es ist nahezu unmöglich, die Intensität von Gewittern exakt vorherzusagen
Dann geschah etwas, was dieser Unwetterlage später unter Experten die Bezeichnung «Rohrkrepierer» einbrachte. Kurz nach 17.15 Uhr kollabierte die Gewitterlinie unmittelbar vor der Stadt Zürich innerhalb weniger Minuten. Auf dem Radar verschwanden die bedrohlich wirkenden Rot- und Gelbtöne, die ein Zeichen für starken Niederschlag sind, und verwandelten sich in helles Grün – keine Gefahr mehr.
Die grösste Stadt der Schweiz bekam so stürmische Windböen und eine kurze Schauerdusche ab. Schäden gab es (zum Glück) keine.
Grundsätzlich sind Unsicherheiten bei der Gewitterprognose nichts Aussergewöhnliches. Ein Gewitter ist per Definition eine atmosphärische Störung. Es handelt sich dabei um ein sehr chaotisches Phänomen, das durch die vertikale Bewegung von Luftmassen verursacht wird.
Es ist daher nahezu unmöglich, Zugbahn und Intensität eines Gewitters exakt vorherzusagen. Meteorologen können jedoch die Grundbedingungen in der Atmosphäre erkennen, die Voraussetzung für heftige Gewitter sind.
Die Unstimmigkeit bei der Unwetterlage am Mittwoch war, dass sich dieser Zutatenmix am Tag des Ereignisses im Vergleich zu dem, was die Wettermodelle noch am Dienstag gezeigt hatten, entscheidend veränderte.
Gemäss Fabienne Muriset waren es im Wesentlichen folgende Faktoren, die zur Abschwächung führten.
Kühlere Luftmasse
Ein wichtiger Faktor war die Beschaffenheit der Luftmasse. Gemäss Fabienne Muriset war diese am Mittwoch nur moderat energiereich. Das heisst, kühler als erwartet. Dabei messen die Meteorologen die Temperatur, die ein Luftpaket annimmt, wenn das enthaltene Wasser kondensiert. Das ist die sogenannte äquivalentpotenzielle Temperatur, kurz Theta-e.
Am Mittwoch lag dieser Wert auf der Alpennordseite bei 50 bis 55 Grad. «Eine hochsommerliche Südwest- bis Südlage bringt hingegen Theta-E-Werte teils weit über 60 Grad», betont Muriset. Kurzum: Die Luftmasse war energieärmer als angenommen. «Sie war damit auch empfänglicher für abschwächende Einflüsse», sagt sie.
Gewitter bereits am Morgen
Ein solcher abschwächender Einfluss waren Gewitterzellen, die bereits am Morgen – also viel früher als angenommen – über die Schweiz zogen. Im Grenzbereich der Kantone Luzern und Aargau entwickelte sich zwischen 6 und 7 Uhr sogar eine sogenannte Superzelle, also ein besonders heftiges Gewitter mit Hagel.
Dieses entzog der ohnehin schon mauen Luftmasse zusätzlich Energie und schuf vor allem in Juranähe ein mächtiges Polster kühlerer und trockenerer Luft. «Das war der Hauptfaktor, der von den Wettermodellen stark unterschätzt wurde», sagt Muriset.
Viel Bewölkung, wenig Sonne
Die vom Morgengewitter geschaffene kühle Luft sickerte vom Jura her in Bodennähe mit nordwestlichen Winden Richtung zentrales Mittelland und Zürich.
Für eine heisse Südwest- bis Südlage wäre es nun bei kräftigem Sonnenschein kein Problem gewesen, diese Luft im Tagesverlauf wieder aufzuwärmen. Das war am Mittwoch aber nicht der Fall. Vielmehr hielt sich den ganzen Tag eine zwar lückenhafte, aber hartnäckige Bewölkung. Das alles sorgte für eine nachhaltige Stabilisierung der Atmosphäre. «Das war entscheidend dafür, dass der Gewitterlinie auf dem Weg nach Osten so plötzlich der Schnauf ausging», sagt Muriset.
Erst hinter dem Bodensee, wo die kühlere Luft aus den Morgengewittern nicht hingelangte, nahmen die Gewitter dann wieder energiereichere, feuchtwarme Luft auf und wurden wieder stärker.
Warum die Warnungen?
Es bleibt die Frage, warum die Wetterdienste ihre Warnungen im Verlauf des Mittwochs nicht herunterstuften und sogar noch am Nachmittag warnende Pushmeldungen für den Grossraum Zürich verschickten.
Bernd Konantz, Meteorologe bei Meteo Schweiz, bestätigt die Ausführungen von Fabienne Muriset im Wesentlichen. Er weist zudem darauf hin, dass in den Wettermodellen bereits am frühen Mittwochmorgen Anzeichen vorhanden waren, dass die Gewitterlage weniger intensiv ausfallen dürfte als ursprünglich angenommen. «Wir erachteten die Herausgabe einer Warnstufe 3 dennoch für gerechtfertigt», sagt er.
Oder mit anderen Worten: Es blieb eben doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es in Zürich zu heftigen und schadensreichen Gewittern kommen würde. In diesem Fall galt daher die durchaus nachvollziehbare Devise: Vorsicht ist besser als Nachsicht.
Tinu (Männedorf ZH, 422 m ü. M)
Gewitter und Sturm = erhöhter Pulsschlag
Föhn-fasziniert