ZITAT: Spiegel Online
Krisenmanagement in Japan
Inkompetenz und Irreführung
Aus Osaka berichet Wieland Wagner
Die Katastrophe in Japan ist längst auch eine Blamage für die Verantwortlichen. Die Nerven von Regierungschef Kan und beim AKW-Betreiber Tepco liegen blank. Jetzt beginnen sie, sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen - das Vertrauen im Volk sinkt von Tag zu Tag.
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Am Dienstag, dem Tag Fünf der Fukushima-Katastrophe, riss Premier Naoto Kan, 64, die Geduld. Er setzte sich in seinen Dienstwagen und ließ sich in die Zentrale von Tokyo Electric Power Company (Tepco) in Tokio fahren. "Was ìst hier eigentlich los?", schrie er die verdatterten Manager des außer Kontrolle geratenen Kernkraftwerks Fukushima an. "Auf euch kommt es jetzt an, ein Rückzug ist nicht denkbar, reißt euch zusammen!"
Verzweiflung macht sich breit im Tokioter Regierungsviertel. Jetzt endlich richtete Kan einen gemeinsamen Krisenstab von Kabinett und Tepco ein. Das unvorstellbare Kompetenz-Wirrwar der vergangenen Tage, die ständigen Verharmlosungen und Vertuschungen durch Tepco, aber auch durch die eigene Regierung, will er offenbar abstellen.
Wenn es dazu nicht schon längst zu spät ist. Denn kurze Zeit später richtete sich Kan direkt an das japanische Volk: Er bereitete es auf mögliche neue atomare Lecks in dem Atomkraftwerk vor. Auch die Anwohner in einem Umkreis von 30 Kilometern des Unglücks-AKW in Fukushima sollten in geschlossenen Räumen bleiben. Zuvor hatte diese Maßnahme nur für einen Umkreis von 20 Kilometern gegolten.
Auf Informationen für einen Super-Gau warten die Japaner vergeblich
Mit nervenzehrender Gemächlichkeit, wie bei einer japanischen Tee-Zeremonie, beginnt Tokio nun, das eigenen Volk einigermaßen über den Ernst der Lage in Fukushima aufzuklären. Und auch die übrige Welt. Am Montag kam heraus, dass mehrere Staaten Tokios zögerliche Informationspolitik kritisiert haben. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) will unaufgefordert eine Experten-Kommission nach Japan schicken.
Selbst Chef-Kabinettssekretär Yukio Edano, der die Gefahr einer atomaren Verstrahlung in Fukushima stets ungerührt mit Floskeln "wie äußerst gering", "kein Einfluss auf die Gesundheit" verharmloste, schließt größere Gefahren jetzt nicht mehr aus. Statt von "Micro-Sievert" spricht er plötzlich von "Milli-Sievert", wenn er die Spickzettel seiner Beamten abliest. Darunter können sich Laien zwar wenig vorstellen. Doch kurze Zeit später klärte sie das japanische Fernsehen auf: Es handele sich um einen tausendfachen Unterschied - schon hundert Milli-Sievert, hieß es, reichten zum Beispiel aus, um ein männliches Strahlenopfer unfruchtbar zu machen.
Trotz der neuen Offenheit: Auf verlässliche Informationen und nützliche Verhandlungsanweisungen für einen möglichen Super-Gau warten die Japaner weiterhin vergeblich. Wie sollen sich zum Beispiel die rund 30 Millionen Bewohner des Großraums Tokio verhalten, falls Edano auch ihnen demnächst das Auftreten bedenklich höherer Strahlenwerte verkündet?
Der Kabinettssekretär ist sichtlich darum bemüht, Panik zu vermeiden. Lieber gibt er Binsenweisheiten von sich wie diese: Je weiter man sich vom Unglücks-AKW entferne, so Edano, desto stärker "verdünne" sich die atomare Strahlung.
"Ein herausragender Nagel gehört eingeschlagen"
Die Angst der Japaner wächst, ihr Vertrauen in Tokios Ankündigungen verfliegt so schnell, wie es die Dächer von den Reaktorblöcken in Fukushima reisst. Fassungslos staunen auch die zahlreichen Expertenrunden in den Sondersendungen des japanischen Fernsehens, wie ihre Regierung und Tepco das Unglück durch desaströse Informationspolitik noch verschlimmern: "Warum geben sie uns keine klaren Informationen?", "Allmählich nervt das". Solche Kommentare hört man inzwischen auf allen Kanälen. Was die Welt derzeit erlebt, ist die typisch japanische Angewohnheit, Pannen zu vertuschen - aus Scham und falsch verstandenem Gruppen- oder Firmengeist. Dabei ist ist das Unglück doch längst für alle offensichtlich.
"Ein herausragender Nagel gehört eingeschlagen" - diese Verhaltensregel lernen Japaner von klein auf. Und auch diesmal traut sich kein Verantwortlicher in Tokio, in letzter Konsequenz dem Volk die Wahrheit zu sagen. Das gilt auch für Nippons dritte Institution, die neben Premiersamt und Tepco in diesen Tagen derzeit dazu beiträgt, die Landsleute zu verwirren: die Atomenergiebehörde (Nisa). Die Beamten von Nisa sind daran zu erkennen, dass sie schmucke weiße Uniformen mit blauen Streifen tragen (der Premier und sein Sprecher Edano tragen dagegen blaue Overalls, und die Tepco-Manager erkennt man an Anzug und Krawatte).
Seit zehn Jahren erst gibt es Nisa - das ist gewiss nicht lang für ein Land, das seit den fünfziger Jahren auf Kernkraft setzt und mittlerweile über ein Drittel seines Stroms aus dieser Energie erzeugt. Gleichwohl hätten die Nisa-Beamten, die letztlich dem Ministerium für Industrie und Handel unterstehen, genug Zeit gehabt, sich um die Sicherheit des 1971 gebauten, und völlig veralteten Kraftwerks Fukushima zu kümmern und es vielleicht sogar abzustellen.
Und zumindest jetzt könnten sie die Japaner schonungslos über die sich ständig zuspitzende Lage informieren. Doch stattdessen wirken die Nisa-Männer auf ihren Pressekonferenzen wie gelangweilte Parkplatzwächter: "Wie der Chef-Kabinettssekretär bereit mitteilte...", lautet einer ihrer Lieblingssätze, oder: "Dazu müssen Sie Tepco fragen...".
Tepco lässt sich Zeit - aber die hat Japan nicht mehr
Fukushima - das ist eine tragische Mischung aus beschämender Inkompetenz und bewusster Irreführung. Das jämmerlichste Bild geben dabei die Manager von Tepco ab. Der börsennotierte Stromversorger ist es nicht gewohnt, den Verbrauchern irgendetwas erklären zu müssen. Erst am Sonntag gab Tepco-Boss Masataka Shimizu seine erste Pressekonferenz - zwei Tage, nachdem in Fukushima der "nukleare Notstand" ausgerufen worden war und mehrere Stunden nach der Explosion des ersten Reaktorblocks in Fukushima.
Man sei noch dabei, das Ausmaß der nuklearen Strahlung zu "bewerten", aber er denke nicht, dass sich daraus "sofort" Folgen für die menschliche Gesundheit ergäben, sagte Shimizu.
Wenn nicht sofort, wann dann? Tepco lässt sich gerne Zeit, aber die hat Japan nicht mehr. Selbst Premier Kan und sein Krisenstab erfuhren von der Explosion in Reaktorblock 1 angeblich erst aus dem Fernsehen. Tepco hielt es demnach nicht für nötig, Kan sofort zu alarmieren. Doch noch schlimmer: "Die Informationen, die von Tepco das Amt des Premiers erreichten, waren nicht korrekt", wird Chef-Kabinettssekretär Edano in der heimischen Presse zitiert.
Die Nerven der Verantwortlichen in Tokio liegen blank, jetzt beginnen sie, sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Doch Kan und sein Kabinettssekretär Edano haben kaum Grund zu Vorwürfen: Erst Samstagabend, über 30 Stunden, nachdem das schwerste Beben Tokio und den Norden der japanischen Hauptinsel erschütterte, hielt es Kan für nötig, sich direkt an sein Volk zu wenden. Der Premier sprach einige staatstragende Sätze, ging aber auf die atomare Katastrophe nicht näher ein. Statt dessen verwies er auf seinen Sprecher Edano und verschwand, ohne Fragen zu beantworten.
Doch die bangen Fragen mehren sich, das hat er inzwischen offenbar selbst Kan erkannt. Und derzeit steht zu befürchten, dass er den Japaner schon bald noch gruseligere Antworten wird geben müssen.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 61,00.html
+++ Medien bereiten Japaner auf Verstrahlung vor +++
[14.22 Uhr] Experten geben in den japanischen Medien Tipps für den Fall einer radioaktiven Verstrahlung. Der Fernsehsender NHK riet seinen Zuschauern in gefährdeten Gebieten, möglichst in geschlossenen Räumen zu bleiben. Wer raus müsse, solle seine Haut bedecken und durch einen feuchten Lappen atmen. Auch solle man häufig die Kleidung wechseln. Fachleute warnten davor, Wasser aus der Leitung zu trinken, da ein hohes Strahlungsrisiko bestehe. Gegen verstrahlte Partikel könne Schutzkleidung helfen, wie etwa wasserdichte Regensachen. Damit ließen sich die Strahlen zwar nicht abwehren, aber so werde zumindest verhindert, dass sich verseuchte Partikel auf der Haut absetzen.
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,750954,00.html
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Mmm.
Und wie läuft es bei uns so ( oder dort in irgendwo ), mit der inkompetenten Kompetenz ? Wenn denn...
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Gruss
Urbi