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Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Alles zu (Un)wetter relevant für die Schweiz
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Tinu (Männedorf)
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Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Beitrag von Tinu (Männedorf) »

Hoi zäme

Bekanntlich wurde das Wetter in unseren Breitengraden in den letzten Tagen durch einen sogenannten Kaltlufttropfen bestimmt. Ein Kaltlufttropfen ist ein von der grossräumigen Höhenzirkulation weitgehend abgeschnürter Batzen, angefüllt mit im Vergleich zur Umgebung kälterer Luft in den höheren Schichten. Kaltlufttropfen haben es ja so an sich, dass sie ziemlich unberechenbar sind. Sie können tagelang "umherziehen", vor allem wenn sich keine wirklich dominierende Grosswetterlage in ihrer Umgebung aufbaut.

Seit Beginn der Woche befanden wir uns im (moderaten) Einflussbereich eines solchen Tropfens. Er näherte sich aus nordöstlicher Richtung der Schweiz, zog dann Richtung Südwesten weiter und installiert sich nun als Höhentief über Nordspanien. Auf der 500hpa-Karte von GFS (Wetter3.de) ist dieses Höhentief gut zu erkennen:
Bild

Ein Kaltlufttropfen an sich ist ja noch keine grosse Sache. Vor allem im Winterhalbjahr tauchen Vertreter dieser Art relativ häufig bei uns auf. An diesem Exemplar finde ich aber die weitere Entwicklung in den Modellen durchaus aussergewöhnlich.

Im weiteren Verlauf füllt sich das Höhentief (also unser ehemaliger Kaltlufttropen) langsam wieder auf und zieht dabei gleichzeitig wieder nordwärts. Auf der Karte (blauer Pfeil) sieht das dann am Donnerstag ziemlich unspektakulär aus (man könnte auch von "halbtod" reden... ;) ). Aaaaber: Unserem Höhentief kommt aus nicht ganz unerwarteter Richtung genau zum richtigen Zeitpunkt Verstärkung entgegen. Vom Atlantik her nähert sich nämlich ein neuer Langwellentrog (roter Pfeil):
Bild

Dieser Trog kommt mit dem nötigen "Schwung". In der weiteren Folge wird unser serbelndes Höhentief/Ex-Kaltlufttropfen in den Höhentrog eingebunden. Dadurch bildet sich auf das Wochenende hin über Westeuropa (vermutlich) eine Tiefdruckrinne:
Bild

Bis übers Wochenende schiebt sich diese Rinne gemäss GFS weiter nach Osten:
Bild

Das interessante daran ist, dass der Alpenraum im gesamten Zeitraum im Bereich relativ milder und feuchter Luft liegt, die uns von diesem Tiefdruckkomplex aus dem Mittelmeerraum zugeführt wird. Wenn man nun bedenkt, dass mit der Tiefdruckrinne, resp. dem kleinen Höhentief über Westeuropa auch ein atmosphären-dynamischer Impuls einher geht, muss man eigentlich nur eins und eins zusammen zählen, um auf den Schluss zu kommen, dass die Wahrscheinlichkeit für Gewitter speziell in der Phase von Samstag bis Montag durchaus hoch ist.

Und wenn es so kommt, wer ist dann Schuld daran?

Richtig, unser Kaltlufttropfen, der bis zu diesem Zeitpunkt schon eine halbe Ewigkeit über Europa herumgeeiert haben wird und uns in diesem Falle die (vielleicht) letzte grossräumige Gewitterlage des Jahres bescheren dürfte! Sachen gibts... :-D
Tinu (Männedorf ZH, 422 m ü. M)
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David(Goms)
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Re: Gewitter Europa 2009

Beitrag von David(Goms) »

hallo zusammen,

im Oberwallis (insbesondere Simplonsüdseite, aber auch Saastal, Mattertal und Goms) regnet es schon ein Weilchen mässig bis stark. SFG ist von gestern 2500m auf nun 3000m (oder etwas darüber) angestiegen. In Saas-Fee im Skigebiet hatte es heute 25cm Neuschnee (teilweise bis zu 1m grosse Neuschneewächten). Seither ist wohl nochmals die gleiche Menge hinzugekommen. Ebenfalls habe sich ein grössere Gletscherabbruch beim Feegletscher ereignet. (ca. 50'000Kubikmeter Eis - damit liesse sich die Bahnhofshalle des Zürich HB mehr als füllen)

Könnte jemand von der MM die 48h-Mengen von Gondo und Binn posten? Gondo hatte alleine in der vergangenen Nacht 41.8mm.

grüsse David
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Ben (BaWü)
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Re: Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Beitrag von Ben (BaWü) »

@Tinu: Danke für die echt gute Erklärung dieser doch recht komplexen "Dinger". Ich hab jedesmal aufs neue echte Probleme, wenn sich sowas ankündigt. In der Tat sieht es für Sa und speziell So nicht schlecht aus, was Konvektionen angeht. GFS simuliert da ganz nette Szenarios nochmal (teilweise CAPE's über 500J/kg, ergiebige konvekt. NS im Bereich BaWü und teilw. der Schweiz). Allerdings ists ja noch ne Weile hin und ich seh gerade, dass sich da bei GFS enorm was getan hat seit gestern in Sachen Veränderung. Ist der Verlauf denn jetzt, wo der Kaltlufttropfen als solcher nicht mehr existent ist, immernoch ungewisser, als ein - sagen wir mal - "normales" Tief ?
Man darf gespannt sein ;-) Sind ja immer fast schon wie ne Wundertüte diese Kaltlufttropfen...

EDIT: Sa relativ entschärft jetzt. Dafür So um so besser. Einiges an NS und 1500er CAPE Richtung Bayern. Lustig, wie das springt. Da wird sich noch viel tun bis dahin :-D

Greez
Ben
Zuletzt geändert von Ben (BaWü) am Mi 16. Sep 2009, 21:46, insgesamt 4-mal geändert.
http://sturmjagd.wordpress.com/
Wetterfotografie in Süddeutschland

URBI

Re: Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Beitrag von URBI »

Bild

Rührt aber auch kräftg :)

Mike Siggenthal
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Re: Gewitter Europa 2009

Beitrag von Mike Siggenthal »

David(Goms) hat geschrieben:Ebenfalls habe sich ein grössere Gletscherabbruch beim Feegletscher ereignet. (ca. 50'000Kubikmeter Eis - damit liesse sich die Bahnhofshalle des Zürich HB mehr als füllen)
Weisst du vieleicht wo die Eismassen zum stillstand gekommen sind? Werde am Wochenende wahrscheinlich nach Saas Fee fahren und würde mir gerne ein Bild von der Sache machen.
Natürlich nicht aus der Nähe sondern mit dem Feldstecher und Kamera. Das Gebiet ist ja weiträumig abgesperrt worden -> http://www.3906.ch/dl.php/de/4ab071302e ... tscher.pdf

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David(Goms)
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Re: Gewitter Europa 2009

Beitrag von David(Goms) »

@Mike

Die Eismassen sind anscheinend irgendwo bei einem Gewässer zum Stillstand gekommen (aber weiss nicht genau wo). Wie mir heute ein Mitarbeiter der Saas-Fee Luftseilbahnen erzählt hat, hätten sie gestern noch sicherheitshalber geschaut ob das Wasser abfliessen kann.

Wäre natürlich toll, wenn Du ein paar Bilder ins Forum stellen könntest.

grüsse David
Westlagen sei dank.

nordspot
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Re: Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Beitrag von nordspot »

@ Tinu: merci für die anschauliche Erklärung, jetzt blick auch ich besser durch, gerne öfters :)

Gruß
Ralph
nordspot Konstanz


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Tinu (Männedorf)
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Re: Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Beitrag von Tinu (Männedorf) »

@Ben

Ich würde mal behaupten, dass die grundlegende Richtung bei dieser Entwicklung (also Wanderung des Spanien-Höhentiefs nach Frankreich und dort in der Folge Anbindung, resp. Einbindung in den Trog über den Britischen Inseln) schon relativ sicher ist. Unsicher sind wie immer die Details. Ob diese Entwicklung am Ende wirklich so wetterwirksam sein wird, kann man heute noch nicht sagen. Aber ich finde die Wanderung dieses Kaltlufttropfens und seinen noch bevor stehenden weiteren Werdegang doch interessant genug, um darauf hinzuweisen. Mal schauen, vielleicht kriegen wir am Wochenende tatsächlich eine nette herbstliche Gewitterlage als Belohnung.
Tinu (Männedorf ZH, 422 m ü. M)
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Uwe/Eschlikon
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Re: Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Beitrag von Uwe/Eschlikon »

Hallo

Diese "komische südöstl. Lage" brachte diese Nacht aus Osten immerhin mal etwas Regen: 5mm :roll:
Nicht viel, aber angesichts der Trockenheit, doch besser als nichts. Viele der wasserzehrenden Birken in der Region haben nur noch die Hälfte der Blätter, einige sind sogar ganz kahl.

Und ich sag Euch, ich habe am vergangenen Samstag ein Loch an einer Ecke in meinem Rasen buddeln müssen, etwa 20cm tief :warm: :warm: :warm:
Normalerweise geht das mit dem Spaten problemlos. Keine 5cm tief bin ich rein gekommen, da taten mir die Füsse weh. Selbst mit dem Pickel war das noch ein Riesen-Chrampf, war durchgeschwitzt, nur für so ein Löchlein. Selbst in 20cm war der Boden knochentrocken.

Uwe

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Alfred
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Re: Nomadischer Kaltlufttropfen, September 2009

Beitrag von Alfred »

Hoi zäme

Dann wäre es ja gut, wenn Tinus Billard-Wetterlage noch etwas auf sich warten läss, damit noch weiter feuchte Luft
herumgeführt werden kann.

Bild

Gruss, Alfred

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