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Mesomodelle Mitteleuropa Quo Vadis?

Alles zu (Un)wetter relevant für die Schweiz
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Markus Pfister
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Mesomodelle Mitteleuropa Quo Vadis?

Beitrag von Markus Pfister »

Zitat Fabienne:
Puh, was für eine blitzreiche Linie da gerade über mich hinwegzieht... Und wieder völlige Modellahnungslosigkeit. Gerade mal 7 Stunden früher als vom Arome 18z- und ICON-D2 21z-Lauf berechnet. Der ICON 00z hat die Linie immerhin drin, hätte aber nur den Jura erwischen sollen und nicht das gesamte Mittelland und sogar die Voralpen. Und mit solchen Werkzeugen muss man in den kommenden Festival-Sommer, da bekomm ich ehrlich gesagt Bauchschmerzen :-?
Ich hatte jetzt dreieinhalb Wochen USA-Wetterferien, wurde prognose-technisch verwöhnt durch das Storm Prediction Center und insb. die Mesomodelle NAM Nest 3km sowie das stündlich neu gerechnete HRRR-Modell. Ich möchte gerne aus Usersicht und subjektiv darüber berichten, wie stark die Leistung dieser sogenannten CAMs (Convection Allowing Models) in den USA inzwischen ist. Alleine schon mit den beiden eingangs erwähnten Modellen ist es inzwischen möglich, am Morgen eine 5-stündige Fahrt in die Great Plains an eine Initiation zu wagen, um dann voll im Gewitter-Spass zu stecken, ohne grösseren Überraschungen, auch nicht für den Rest des Tages. Mindestens 15-fach so erlebt. Fairerweise kann man sagen, dass es eine räumliche Ungenauigkeit von vielleicht 30 Meilen sowie eine zeitliche von 1 bis 2 Stunden gegenüber der Idee der Modelle geben kann. Diese konnte man mit Satbildern und sonstigem Nowcasting wie zB. Wind und Taupunkte aber locker ausgleichen.

Das geht in Mittel-Europa meines Erachtens nicht. Nicht mal ansatzweise! Hier wird man zB. von Icon-D2 und Arome etc. mehr verwirrt als geleitet. Zeitliche Missgriffe von 7 Stunden sind eine Katastrophe, die kaum durch Nowcating wettzumachen sind. Sie sollten nicht jeden zweiten Tag, sondern nur sehr selten vorkommen. Es wird allerhöchste Zeit, dass hier etwas in die richtige Richtung passiert. Entweder halten die staatlichen Wetterdienste oder Institute ihre neuesten Wunderwaffen unter Verschluss, oder es gibt schlicht nichts besseres. An guten Leuten scheitert es bestimmt nicht. Vielleicht an den Strukturen? An den Ländern? Dem Verhältnis Privat-Öffentlich? Spardruck? Was auch immer es ist, es liegt nicht an mir, hier bei den Ursachen jetzt den Finger in potentielle Wunden zu stecken. Aber ich kann eben sehr wohl berichten, was ich persönlich denke, und zwar, dass wir in Mitteleuropa allmählich etwas hinterher hinken beim Modellieren von Konvektion.

Und nein, es hat nicht nur "flaches", einfaches Terrain im mittleren Westen. In der Tornado-Alley gibt es auch Rocky Mountains-Ausläufer, Black Hills, Edwards Mountains, Trans-Pecos und Ozarks usw. Wenn schon, sind die dortigen extremen Loaded Gun-Lagen mit 4000 CAPE und starkem Deckel schwieriger in den Griff zu bekommen als unsere Low-CAPE Strömungslagen mit klar definierten Höhenfeatures.

Gruss

Markus
Zuletzt geändert von Markus Pfister am Di 7. Jun 2022, 20:35, insgesamt 2-mal geändert.

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Federwolke
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Re: Mesomodelle Mitteleuropa Quo Vadis?

Beitrag von Federwolke »

Danke Markus für diesen Einblick über die Instrumente ennet dem Teich. Ich musste nur schmunzeln bei der Passage "an jedem zweiten Tag". Schön wär's, wenn es nur jeden zweiten Tag danaben gelegen hätte in den letzten Wochen... Diese Penetranz der Rechnungen von entstehenden Gewitterclustern in der Region Genf zum immer selben Zeitpunkt am Abend bei gleichzeitigem Unterschätzen der Lebensdauer von Clustern und Linien aus dem entfernteren Südwesten war schon mehr als peinlich.

Im Unterforum "Wissenswertes" ist das dann wahrscheinlich besser aufgehoben, vor allem wenn man die Diskussion vielleicht noch über Jahre weiterführen möchte, sollte. ICON-D2 ist ja erst seit etwas mehr als einem Jahr in Betrieb, da dürfte so schnell nix Neues kommen, allenfalls schraubt man noch gewisse Mängel durch Updates weg. Arome ist schon etwas älter, ob da etwas in Planung ist - keine Ahnung. UKMO hat das NA mit 4x4 Kilometer Gitter kürzlich eingestampft, stattdessen gibt's jetzt eines mit 10 km Gitter, was für ein Fortschritt!

Was mir halt als Wetterstations-Fetischistin auffällt, ist die durchgreifende Automatisierung und zum Teil auch massive Ausdünnung (v.a. in gewissen Regionen Frankreichs) des Messnetzes. Wenn die Stationen einen Stuss raushauen, weil sie Hagel nicht von Regen unterscheiden können, wenn immer weniger Stationen Wind und Sonnenschein messen oder gar ganze Gegenden schlicht gar keine Bodenstationen mehr haben, weil man meint die Satelliten sehen das alles viel genauer, dann können die Modelle nicht besser werden. Und da sind wir halt schon von der Messgüte unseres westlichen Nachbarn angewiesen, aus dem wir die meisten Gewitter importieren. Arome hatte da jahrelang einen massiven Qualitätsvorsprung gegenüber COSMO, dafür konnte Arome keine Ostlagen. Und das ist meines Erachtens der deutlichste Hinweis darauf, dass die dem Modell zur Verfügung stehende Dichte des Bodenmessnetzes den Unterschied ausmacht.

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