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Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 17:24
von Tinu (Männedorf)
Um vielleicht Meteoschweiz noch etwas in Schutz zu nehmen: Ich denke nicht, dass man den Meteorologen hinsichtlich des Sturms in Biel einen grossen Vorwurf machen kann.

Meteoschweiz warnte seit dem Morgen des gestrigen Tages grossflächig vor Gewittern. Dies mit Stufe 3. Das bedeutet:
Stufe 3 (orange)
Heftige Gewitter möglich:
90-120 km/h,
2-4 cm (Hagel),
30-50 mm/h
Heftige Gewitter (Gewitterflash):
90-120 km/h,
2-4 cm (Hagel),
30-50 mm/h

Mögliche Auswirkungen
Plötzliches Auftreten von Flutwellen in Bächen.
Umstürzen von Bäumen.
Hangrutsche aus stark geneigten Hängen lokal möglich.
Hagelschäden und Blitzeinschläge.
Versagen von Entwässerungssystemen und Kanalisationen.
Überflutung von Strassenunterführungen, Tiefgaragen und Kellerräumen.
Behinderung des Strassen-, Schienen- und Luftverkehrs.
Gefährdung des Schiffsverkehrs auf Seen durch plötzlich auftretende, sehr starke Windböen.

Verhaltensempfehlungen (Die Anweisungen der Behörden sind in jedem Fall zu befolgen!)
Die lokale Wetterentwicklung beobachten, Informationen einholen und das Verhalten den Verhältnissen anpassen.


Ich bin der Ansicht, dass in diesem Fall früh und ausreichend gewarnt wurde. Betrachtet man sich den Verlauf des Gewitters etwa seit Genf fällt auf, dass sich die effektiv gemessenen Böenspitzen stets in einem Bereich zwischen 100 und 120 km/h bewegten. Somit fällt das Ereignis bezüglich Wind eigentlich klar in den Bereich der besagten Stufe 3. Erst unmittelbar beim Turnfestgelände, also in Biel selber, wurde die 120er-Marke nachweislich geknackt. Zu diesem Zeitpunkt war es aber definitiv zu spät. Eine Erhöhung auf Stufe 4 hätte da nichts gebracht, da der Sturm bei Umsetzung der Warnung schon vorbei gewesen wäre.

Somit liegt der Ball meines Erachtens in dieser Situation klar und deutlich beim Veranstalter. Er muss die Verantwortung dafür übernehmen, dass er beim sich nähern der Gewitterzelle, die mit Stufe 3 durchaus intensiv bewarnt war, nicht reagiert hat. Den Wetterdiensten kann in dieser Situation kein Vorwurf gemacht werden.

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 17:27
von lukasm
http://www.srf.ch/news/schweiz/sturm-in ... ug-gewarnt

Interview mit Franklin Cooper, Abteilungsleiter Sicherheit am Eidg. Turnfest.
"Wir haben ständig die Wetterlage beobachtet und ständig etwas erwartet und es ist nicht gekommen. Schönes Wetter gewesen, schönes Wetter gewesen ... [...] Wir sind von der Geschwindigkeit überrascht gewesen, aber im Prinzip vorbereitet gewesen. Wir haben Einsatzkräfte, Zivilschutz, etc. koordiniert. [...] Deshalb ist es auch so schnell gegangen, denn wir sind vorbereitet gewesen. [...] Das war total nicht möglich [früher zu evakuieren], weil die Situation, da muss man am Boden bleiben, es hat sich nicht so gezeigt, dass man das so muss machen. Aber wir haben wirklich schon am Abend vorher vorbereitet [...] in der Annahme dass wenn es pressiert, dass wir dann Zeit gewinnen. Aber diese Zeit haben wi rnicht gewonnen. [...] Es hat uns die Aussage gefehlt, jetzt geht es konkret los, es tut wie verrückt, aber es hat bis dahin nicht getan bis auf die Meldungen von Meteo. Wir haben nicht gewusst, dass es losgeht in unserer Region. Wir wussten, dass es in Neuenburg abgeht, aber nicht meh rInformationen gehabt, dass es rasant schnell geht. Man hat es beobachtet, gesagt es kommt, aber als wir gesagt haben jetzt evakuieren, ist gleichzeitig der Sturm reingekommen. [...] Was wäre passiert, wenn man es eine halbe Stunde vorher evakuiert hätte? Es wäre schön Wetter gwesen, leichter Wind geweht. Es wären auch so Leute auf dem Gelände gewesen, weil nicht alle weggegangen wären so. Der Überrauschungseffekt wäre noch grösser gewesen. [...] Man hört es überall, wenn man Fachleute fragt, es war ein Sturm, wie man ihn eigentlich nicht in usnerer Gegend kennt, das ist orkanmässig gewesen. [...] Ich würde jedem Veranstalter empfehlen, die Wetterwarnungen ganz genau im Auge zu behalten. [...]"
:help:

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 17:31
von Andreas (Zürich)
Ist ein bisschen verwirrend mit dem Warnstufen:

3 Warnstufen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wetter-Alarm


4 Warnstufen:
http://www.meteoschweiz.admin.ch/web/de ... itter.html


Das sollte doch einheitlich sein europaweit.

LG Andreas

ps: die Aussage des OK-Präsidenten ist schlicht unglaublich und deutet auf grobfahrlässiges Verhalten hin.

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 17:51
von Thomas Jordi (ZH)
Tinu (Männedorf) hat geschrieben:Um vielleicht Meteoschweiz noch etwas in Schutz zu nehmen: Ich denke nicht, dass man den Meteorologen hinsichtlich des Sturms in Biel einen grossen Vorwurf machen kann.

Meteoschweiz warnte seit dem Morgen des gestrigen Tages grossflächig vor Gewittern. Dies mit Stufe 3. Das bedeutet:
Hoi TInu,
danke für deinen Beitrag, erlaube mir die Präzisierung: Ich hatte am Mittwochabend Dienst und Warnverantwortung. Die Warnung Stufe 3 vor "schwere Gewitter möglich" wurde nicht am Donnerstagmorgen, sondern bereits am Abend davor um 18 Uhr von den Westschweizer Kollegen ausgegeben. In meinem Vorhersagegebiet habe ich die Region Basel, Laufental und Jurasüdfuss bis Region Solothurn in diese Warnung eingeschlossen. Das Turnfest war also am Mittwochabend 18 Uhr gewarnt. Die Vorlaufzeit betrug 24 h.
Am Donnerstagmorgen wurde diese Warnung auf die gesamte Alpennordseite ausgeweitet.

Das man dann Nowcasting betreiben muss und die aktiven Gewitter deshalb mit Flash Orages warnt, muss ich den Sturmforumianern ja nicht mehr erklären. Der FlashOrage für Biel war um 17.13 Uhr draussen.

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 17:57
von Andreas -Winterthur-
Ah. Endlich haben wir den Schuldigen:
Maurer zum Turnfest: «Petrus war zu schnell»
http://www.srf.ch/news/schweiz/maurer-z ... zu-schnell

Und so legt sich dann von oberster Stelle, ganz im freundeidgenössischen Sinne, wohlwollendes Schweigen über die Sache.

Noch kurz zu der "proaktiven Informationsbeschaffung bei MeteoSchweiz" die verschiedentlich durch die Medienbeiträge geistert:

Es gab keine offizielle Beratungen durch MeteoSchweiz, sowohl nicht von Genf oder Zürich. Dies übrigens im Gegensatz zu vielen anderen Organisatoren von Grossanlässen, welche telefonisch jederzeit von den zuständigen Prognostikern Informationen einholen können.

Gruss Andreas

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 18:04
von Federwolke
Tinu (Männedorf) hat geschrieben:Den Wetterdiensten kann in dieser Situation kein Vorwurf gemacht werden.
Sofern ich das noch überblicken kann, macht das - zumindest in diesem Forum - auch niemand.

Nach der Durchsicht der Medienberichte, Interviews und nach Anhörung der Pressekonferenzen zum Sturmereignis in Biel muss ich zu folgenden Schlüssen kommen:
- heftige Gewitter und Stürme kommen im Juni in der Schweiz kaum vor
- auch im Zeitalter der Informatik und weltweiten Vernetzung kann ein heftiges Gewitter mit Hagel und Sturmböen zwei Stunden lang durch die Westschweiz ziehen, ohne dass man in Biel etwas davon mitbekommt (hat wohl die APP versagt...)
- es ist sehr aussergewöhnlich, dass vor einem heftigen Gewitter den ganzen Tag lang und frecherweise bis 5 Minuten vor Einbrechen des Infernos die Sonne scheint
- eine drohende schwarze Wolkenwand im Südwesten ist kein Grund zur Beunruhigung, auch dann nicht, wenn bereits seit 24 Stunden auf allen Kanälen vor möglichen heftigen Gewittern gewarnt wird
- gegen das Wetter ist man ohnehin machtlos, also braucht man sich als Organisator eines Festes mit zehntausenden Besuchern auch nicht besonders darum zu kümmern
- es reicht aus, für die Durchführung eines Festes mit exponierten Anlagen am See gelegentlich die Prognosen auf der Homepage des staatlichen Wetterdienstes durch ungeschultes Personal zu konsultieren
- der beste Zufluchtsort für hunderte Menschen bei heftigen Sturmböen ist ein riesiges, halboffenes Festzelt mit grossen Angriffsflächen
- am besten evakuiert man die Leute in jene Richtung, in welche der Wind weht, sodass die Leute die herumfliegenden Gegenstände aus dem Rücken nicht sehen können und ihnen nicht die geringste Chance zum Ausweichen oder Schutz suchen bleibt
- die Krisenbewältigung durch die Einsatzkräfte sowie die Hilfsbereitschaft aller Anwesenden nach dem GAU war vorbildhaft, also alles Friede Freude Eierkuchen...
- auch unser Herr Bundespräsident ist ein Wetterexperte: http://www.srf.ch/news/schweiz/maurer-z ... zu-schnell :roll:

Ich wünsche allen Verletzten gute und rasche Genesung.

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 18:15
von Andreas -Winterthur-
Auch das interessant:

Doppelt so viele Verletzte nach Sturm an Turnfest
Das Unwetter am Eidgenössischen Turnfest in Biel hat weitaus mehr Verletzte gefordert, als zuerst gedacht. Die Berner Polizei erhöht die Opferzahl auf 76. 15 davon sind noch in Spitalpflege.
(Quelle: Tagesanzeiger)

Gruss Andreas

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 18:17
von Andreas (Zürich)
Ich glaube nicht, dass die Sache schon gegessen ist.

Im Prinzip ist es doch das gleiche, ob man einen Canyoning-Anlass organisiert oder eine Sport-Grossanllass mit vielen Zelten. Die Verantwortung liegt beim Organisator.
Das gibt sicher noch ein gerichtliches Nachspiel für die Organisatoren. Die haben ganz klar gewisse Regeln Verletzt.

LG Andreas

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 18:28
von Bruno Amriswil
Federwolke hat geschrieben:
Tinu (Männedorf) hat geschrieben:Den Wetterdiensten kann in dieser Situation kein Vorwurf gemacht werden.
Sofern ich das noch überblicken kann, macht das - zumindest in diesem Forum - auch niemand.

Nach der Durchsicht der Medienberichte, Interviews und nach Anhörung der Pressekonferenzen zum Sturmereignis in Biel muss ich zu folgenden Schlüssen kommen:
- heftige Gewitter und Stürme kommen im Juni in der Schweiz kaum vor
- auch im Zeitalter der Informatik und weltweiten Vernetzung kann ein heftiges Gewitter mit Hagel und Sturmböen zwei Stunden lang durch die Westschweiz ziehen, ohne dass man in Biel etwas davon mitbekommt (hat wohl die APP versagt...)
- es ist sehr aussergewöhnlich, dass vor einem heftigen Gewitter den ganzen Tag lang und frecherweise bis 5 Minuten vor Einbrechen des Infernos die Sonne scheint
- eine drohende schwarze Wolkenwand im Südwesten ist kein Grund zur Beunruhigung, auch dann nicht, wenn bereits seit 24 Stunden auf allen Kanälen vor möglichen heftigen Gewittern gewarnt wird
- gegen das Wetter ist man ohnehin machtlos, also braucht man sich als Organisator eines Festes mit zehntausenden Besuchern auch nicht besonders darum zu kümmern
- es reicht aus, für die Durchführung eines Festes mit exponierten Anlagen am See gelegentlich die Prognosen auf der Homepage des staatlichen Wetterdienstes durch ungeschultes Personal zu konsultieren
- der beste Zufluchtsort für hunderte Menschen bei heftigen Sturmböen ist ein riesiges, halboffenes Festzelt mit grossen Angriffsflächen
- am besten evakuiert man die Leute in jene Richtung, in welche der Wind weht, sodass die Leute die herumfliegenden Gegenstände aus dem Rücken nicht sehen können und ihnen nicht die geringste Chance zum Ausweichen oder Schutz suchen bleibt
- die Krisenbewältigung durch die Einsatzkräfte sowie die Hilfsbereitschaft aller Anwesenden nach dem GAU war vorbildhaft, also alles Friede Freude Eierkuchen...
- auch unser Herr Bundespräsident ist ein Wetterexperte: http://www.srf.ch/news/schweiz/maurer-z ... zu-schnell :roll:

Ich wünsche allen Verletzten gute und rasche Genesung.
Ziemlich bissig geschrieben und vor lauter Ironie kaum zu übertreffen! :lol: So scheint es zumindest auf den ersten Blick. In Tat und Wahrheit wiederspiegelt es aber all die in Erklärungsnot :warm: geratenen Personen/Veranstalter/Organisatoren. Auch wenn die ganze Situation nicht zum lachen ist, aber zu deinem Beitrag muss ich schon laut kichern. TOP! :up:
Ich lese immer wieder gerne deine Beiträge.... der ist einer der besten!

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Verfasst: Fr 21. Jun 2013, 18:31
von Christian Schlieren
Hoi zäme

Ich lese auch gespannt mit :)
Was ich noch hinzufügen möchte ist von wegen ungewöhnlich stark etc. vor gerade mal 1 oder 2 Wochen wurde das Festgelände ja schon mal verwüstet und da soll einer noch behaupten man hätte damit nicht rechnen können?
Beim ersten Ereignis hats ja mit der Evakuation scheinbar geklappt, es gab zumindest keine verletzten warum beim 2ten mal nicht?

Gruss