Tornadoverdacht bei Opfershofen (TG) - 20. Juli 2008, zwischen 18 Uhr und 18.30 Uhr MESZ
Aufmerksam geworden bin ich durch einen Hinweis meines deutschen Kollegen Thomas Sävert, welcher mir einen Link der Thurgauer Zeitung mailte:
http://www.thurgauerzeitung.ch/default2 ... &id=370354
Windhose wütet in Obstanlage
Ein kleiner Wirbelsturm hat am Sonntagabend die Kirschenanlage von Ernst Bär in Opfershofen weitgehend zerstört. Familie Meyer war Zeuge des Naturschauspiels.
Opfershofen – Bauer Ernst Bär in Opfershofen muss sich zuerst sammeln. Betrübt blickt er auf die Zerstörung. In seiner Kirschenanlage an der Kreuzlingerstrasse in Opfershofen hat am Sonntag um 18 Uhr eine Windhose, ein kleinräumiger Wirbelsturm, erheblichen Schaden angerichtet. «Ich war im Stall am Melken und hörte ein unheimliches Rauschen. Ich rannte nach draussen und sah, wie der Sturm die Vogel- und Hagelschutz-Netze und Folien über der Anlage steil in die Luft riss und wieder senkte.» Nach ein paar Sekunden war der Spuk vorbei. Der Sturm knickte Pfähle und zerriss Drahtseile in der Anlage. Das vier Meter breite und 50 Meter lange Netz gegen die Strassenseite hin fegte der Wind weg. Ein Bauer fand es in dem ein paar Kilometer entfernten Dorf Leimbach wieder.
Das durch die Luft fliegende Netz hat Theo Meyer von seinem Haus aus an der Oberdorfstrasse in Opfershofen fotografiert. Es habe ausgesehen wie eine Schlange.
Es braute sich was zusammen
Meyer hatte den Himmel schon den ganzen Nachmittag über mit einer gewissen Sorge beobachtet. Er befürchtete, dass ein schwerer Sturm aufziehen würde und wollte die Kamera holen. Karin Meyer war aufgefallen, dass es tagsüber ausserordentlich schwül war und der Wind seine Richtung immer wieder wechselte. Gegen 18 Uhr stand der zwölfjährige Domenic Meyer vor dem Haus und beob-achtete fasziniert das Spiel der Wolken, die durcheinander wirbelten. So etwas hatte er bisher nur im Fernsehen gesehen. Karin Meyer erinnert sich, dass es dunkel, kalt und windstill war und kein Vogel pfiff. «Plötzlich gab es einen Mordslärm, der sich anhörte wie ein gewaltiges Flattern. Ich sah, wie der Sturm die Folien und Netze auf der Kirschenanlage in die Luft riss und wieder senkte. Dann sah ich das Netz vorbeifliegen», erzählt Domenic. Nach einer halben Stunde war der Himmel wieder blau und die Vögel sangen wieder. Domenic konnte trotzdem nicht gut schlafen. «Ich hatte Angst, dass es wieder passiert.» Auch für Theo Meyer und seine Frau war die Windhose ein unheimliches Erlebnis. So etwas hätten sie noch nie gesehen.
Die Windhose hatte nur gerade in der Anlage von Ernst Bär gewütet. Menschen und Tiere kamen nicht zu Schaden. Von umstehenden Gebäuden sind keine Schäden bekannt.
Kirschen liegen am Boden
Seine rund 5000 Quadratmeter grosse Kirschenanlage sei sonst sehr stabil, sagt Bauer Ernst Bär. Sie habe schon Windgeschwindigkeiten von über 100 Stundenkilometern unbeschadet überstanden. Viele Kirschen liegen nun am Boden. Den Rest will Bär so rasch wie möglich ernten und nicht wie üblich an der Strasse, sondern über den Grosshandel verkaufen. Glück im Unglück: Die Wetterprognosen sind gut. Würde es stark regnen, könnten die jetzt grösstenteils ungeschützten Kirschen platzen. Ernst Bär: «Hunderte von Arbeitsstunden brauchen wir ohnehin, bis alles wieder aufgebaut ist.» Zusammen mit seiner Familie und den vielen Helfern, die sich bei Bär gemeldet haben, will er den Schaden so rasch wie möglich beheben. lESTHER SIMON
Quelle: Thurgauer Zeitung
Gestern abend bin ich dann nach Opfershofen im Kanton Thurgau gefahren, um die Sturmschäden zu begutachten und mit Augenzeugen zu sprechen. Ich habe mit dem betroffenen Bauern, sowie mit 5 weiteren Zeugen (aus Mauren und Opfershofen) sprechen können. Einige haben mehr, andere weniger gesehen. Alle aber haben ein lautes Rauschen gehört und ausgesagt, dass es bei Ihnen praktisch windstill war. Die Vögel hätten nicht mehr gezwitschert. Der Augenzeugenbericht eines Anwohners von Mauren (dieses kleine Dorf liegt nordwestlich von Opfershofen leicht erhöht) ist besonders detailreich und daher interessant: Er habe gesehen, wie eine dichte weisslich-gelbliche Wand südlich durch den Ort Bürglen zog. Davor (aus seiner Sicht, also nördlich in der Ebene zwischen Bürglen, Mauren und Opfershofen) waren dunkle Wolken zu sehen, die von verschiedenen Richtungen aufeinander zukamen. Kurze Zeit später hätten die Wolken grossräumig rotiert. Er war fasziniert von dem Schauspiel und hätte gleich an den Film Twister denken müssen. Einen Schlauch oder Trichter hätte er nicht gesehen, aber die Drehung der Wolken sei augenscheinlich und unglaublich gewesen. Gleichzeitig bemerkte er wie rechterhand vom Kieswerk Bürglen Sand und Kies hochgewirbelt wurde. Ein paar Sekunden später hätten die Maishalme eines Maisfeldes in der Mitte der Ebene hin- und hergewackelt. Und wiederum Sekunden später habe er dann gesehen, wie die Vogelschutzabdeckung des Bauern aus Opfershofen abgerissen und in einer Drehbewegung in die Höhe gesogen wurde. Diese Abdeckung wurde dann später rund 1km weiter östlich (in Leimbach) wieder aufgefunden. Weder vor noch nach dem Windereignis habe es geregnet.
Hier eine Übersichtskarte der Gegend (Kreise markieren aufgefundene Sturmschäden):
Das Ereignis soll zwischen 18.00 und 18.30 Uhr stattgefunden haben (im Zeitungsbericht steht zwar 18 Uhr, aber die Zeugen schätzen eher gegen 18.30 Uhr). Gemäss den Augenzeugenberichten und auch den Radarbildern zufolge könnte es durchaus sein, dass der Downdraft der Gewitterzelle über Bürglen bzw. südlich davon zog und der Updraft über Weinfelden/Mauren/Opfershofen/Leimbach (also im Norden der Zelle).
Hier das ETH Radarbild von 18.10 Uhr:
Radaranimation 18 - 19 Uhr
Die Schäden bei der Kirschenplantage in Opfershofen (Schadensplatz Nr. 2) waren beträchtlich. Die Hagelnetze waren zusammen mit einer Plastikabdeckung (ich glaube zum Schutz vor Regen) über Dutzende von Holzpfeilern gespannt und gesichert mit starken Drahtseilen. Die Holzpfeiler sind vor allem in einem Bereich der Anlage geknickt (zum Teil mehrfach) oder aus dem Boden gehoben worden. Die Netze und Blachen sind an dieser Stelle richtiggehend weggelitzt resp. aufgerollt worden. Es ist schwierig zu beschreiben, aber ich kann sagen, dass die Kräfte enorm gewesen sein müssen. Klar können auch Gewitterböen enorme Kräfte entwickeln (vor allem wenn sie unter eine Abdeckung oder ein Dach greifen können). Die Augenzeugenberichte und die vorgefundenen Schäden (punktuell enorm, ansatzweise in einer Schneise, rundherum nicht den Hauch eines Windschadens), sowie die Vermutung, dass sie im Aufwindbereich des Gewitters entstanden sein könnten (siehe Augenzeugenbericht weiter oben), lassen in mir den Verdacht auf einen Tornado erhärten. Dennoch: Das Schadensmuster ist nicht eindeutig (z.B. nicht eindeutig konvergent) und eine Schneise ist auch nur ansatzweise erkennbar. Ein Foto oder Video konnte ich nicht auftreiben. Herr Meyer aus Opfershofen (im Artikel der Thurgauer Zeitung erwähnt) hat leider erst zu spät zur Kamera gegriffen und nur noch festhalten können, wie die eine Vogelfolie Richtung Leimbach fortgetragen wurde (als der Spuk eigentlich schon fast wieder vorbei war).
Nach Webcams in der Umgebung habe ich auch kurz gesucht. Habe eine Mail an den Betreiber der Wetterstation Weinfelden geschickt. Evtl. hat er von seiner Webcam Archivbilder.
Hier also mal ein paar Bilder der Schäden (werde später dann noch mehr posten, inkl. einer etwas genaueren Analyse):
Schadensplatz 2:
Schadensplatz 1:
Gruss Chrigi
- Editiert von Christian Matthys am 25.07.2008, 02:52 -