Allegra
Habe mal huschhusch eine kleine Auslegeordnungen zum Thema Naturgefahren und Warnungen gemacht. Hoffe sie kann diese spannende Diskussion in diesem Thread noch weitertreiben. Keine Garantie auf Vollständigkeit...
Technische und psychologische Aspekte von Naturgefahren und Warnungen
Raumplanung
Seit 1892 hat sich die Bevölkerung in der Schweiz mehr als verdoppelt, von drei auf sieben Millionen. Der Platzbedarf jedes Einzelnen nahm dabei überproportional zu. In den vergangenen Jahrzehnten ist im Flachland und teilweise auch in den Alpen eine starke Expansion der Siedlungsräume zu beobachten (Zersiedelung). Dabei stiess der Mensch auch in Gebiete vor, welche zuvor im Gedächtnis der Menschheit als gefährdet galten (Lawinen, Hochwasser, Erdrutsche). Ausserdem befinden sich wichtige Verkehrswege in stark gefährdeten Gebieten (Alpen). Grosse Personen- und Sachwerte sind einer grösseren Gefährdung ausgesetzt.
Umgang mit Naturgefahren
In den von Naturgefahren besonders betroffenen Gebieten, namentlich den Alpen, hat sich im Laufe der Zeit mittels mündlicher und schriftlicher Überlieferung ein umfangreiches Wissen bezüglich lokaler Naturgefahren entwickelt. So trafen Ereignisse in den letzten Jahren häufig (nicht immer) jene Gemeindeflächen, welche erst in jüngster Zeit besiedelt wurden. Unter Annahme einer Klimaänderung verliert dieses Wissen aus der Vergangenheit an Bedeutung, da sich die System und Prozesse in der Natur verändern.
Beim Risikomanagement besteht bei Personen- und Sachwerten ein diametral unterschiedlicher Ansatz. Bei Sachwerten ist eine Optimierung in finanzieller Hinsicht anzustreben (Kosten für Prävention versus potenzielle Schadenskosten). Bei Personenwerten muss die Minimierung des Risikos angestrebt werden.
Komplexe Prozesse
Gefahren wie Hochwasser, Hangrutsche und Murgänge sind hochkomplizierte Prozesse, welche in den Systemen Atmosphäre, Hydrosphäre, Geologie, Biosphäre und Boden ablaufen. Um ein Ereignis prognostizieren zu können, müssten bestenfalls der aktuelle Zustand des ganzen Systems und die genauen Abläufe bekannt. Eine Modellbildung mit Reduktion und Abstraktion führt zwangsläufig zu einem Qualitätsverlust. Kleinräumige Ereignisse fallen zudem oft durch das Raster von Modellrechnungen und Messnetzen. Eine hohe Qualität der Warnungen in mehreren Prozessbereich kann nur durch intensive Vernetzung der entsprechenden Kompetenzstellen erreicht werden: z. B. der Meteorologe berechnet die Regenmenge, der Hydrologe den entsprechenden Pegel, der Statiker die Standfestigkeit der Schutzbauten und der Geologe die Hanginstabilität.
Zeitliche Aspekte von Ereignissen
Wichtig bei einem Ereignis ist seine Dauer und Intensität. Für eine Warnung zusätzlich die Zeit zwischen dem Feststellen und dem Eintreten. Hier sind die Unterschiede beträchtlich. Eine Hangrutschung im Bereich von Sekunden oder Minuten, ein Gewitterregen mit Hochwasser im Bereich einer Stunde, Hochwasser in mittleren Gewässern im Bereich eines Tages und Hochwasser in den grossen Gewässern im Bereich einer Woche. Ausserdem kommt es zu zeitlichen Überlagerungen mehrerer Ereignisse, was eine Prognose zusätzlich erschwert. Oft wird ein Ereignis nach dem Eintreten als solches erkannt. Grundsätzlich gilt: je kleinräumiger das Ereignis, desto kürzer die Vorwarnzeit.
Die Warnung als Informationsfluss
Die Warnung vor einer Gefahr ist meist eine lange Prozesskette. Es entsteht eine zeitliche Verzögerung und meist auch einen Verlust von Information.
Eine Warnung wird vom Empfänger immer gedeutet. Entscheidend dabei sind sein Vorwissen, seine Erfahrung mit solchen Gefahren, sein emotionaler Zustand und seine Haltung gegenüber dem Verfasser oder Übermittler der Warnung.
Die Verbreitung und Erreichbarkeit
Warnungen können via Massenmedien (Radio, TV, elektronische Medien), via Warnsystem (akustisch, optisch) oder persönlich (Telefon, FAX, SMS) übermittelt werden. Jede der drei Varianten hat ihre Vor- und Nachteile. Besonders die Erreichbarkeit der zu warnenden Personen problematisch. Oft kommt es bei Naturereignissen zu Einschränkungen der Kommunikationsverbindungen. Im Weiteren muss fast immer mit einer zu breiten Streuung (Fehlalarm) gerechnet werden. Ein einziges perfektes System existiert bei den meisten Naturgefahren nicht.
Art der Warnungen
Warnungen werden nach Prozessbereich (z. B. Hagel, Hochwasser, Murgang) erstellt. Dabei kommen meist Intensitätsstufen zum Einsatz, welche sich einerseits an der Physik des Ereignisses messen (Niederschlagssumme, Pegel) oder an den Auswirkungen (Schadenspotenzial). Letztere Methode ist für die Bevölkerung von grösserem Nutzen, jedoch ist die Einschätzung für die Experten auf dieser Skala ungleich schwieriger. Ausserdem ist bei einem Ereignis nicht zweifelsfrei festzustellen ob Sach- und/oder Personenwerte bedroht sind.
Glaubwürdigkeit von Warnungen
Der springende Punkt bei Warnungen ist die Glaubwürdigkeit und das Ansehen jener Organisation, welche die Warnungen verfasst und übermittelt. Die Vorgeschichte und Reputation eines Warnsystems ist entscheidend. (nach wiederholten falschen Brandalarmen wird beim nächsten Alarm niemand mehr das Gebäude verlassen). Fehler sind aus diesen Gründen im Warnwesen verboten, jedoch unvermeidlich: Eine Warnung ist immer eine Prognose eines Ereignisses. Zwei Fehler können dabei auftreten: Fehler erster Art: Eine Warnung wird verbreitet, das Ereignis tritt nicht ein. Fehler zweiter Art: Es wird keine Warnung verbreitet, das Ereignis tritt dennoch ein. Bei jedem Fehlalarm (erster oder zweiter Art) verliert das Warnwesen in den Augen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit, welche nur mit Mühe wieder erarbeitet werden kann.
Weitere Psychologische Aspekte
Es spielt eine grosse Rolle, ob eine Gefahr manifest oder latent ist. Eine Warnung hat eine viel grössere Wirkung, wenn die Gefahr manifest ist. Wenn eine Hochwasserwarnung während intensivem Regen eintrifft, sorgt sie für eine grössere Wirkung, als am Unterlauf des Flusses, wo es allenfalls trocken und sonnig ist.
Bei einer Warnung kommt es darauf an, ob sie Hinweischarakter („Liftstyle-Warnungen“ vor schwachen Gewittern mit Aufforderungen Dachfenster zu schliessen und Storen einzufahren) besitzt, oder aber Verhaltensanweisungen beinhaltet. Anweisungen müssen zwingend in jeweils gleichem Wortlaut von einer im Voraus bekannten und anerkannten Stelle ausgeben werden.
Mat