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Föhnsturm ohne Wolken?

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swissmac
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Föhnsturm ohne Wolken?

Beitrag von swissmac »

Hallo

Haben in Brunnen seit ca. 12:00 mittags Föhnsturm mit Temperaturen von nicht mehr unter 10 Grad. Um 14:00 Uhr waren's sogar 14 Grad! Die letzten 35 cm Schnee schmelzen wie Schokolade im Backofen ;-(

Ich frage mich, wie das zustande kommt, denn ich habe im Meteo im Süden keine tiefen Wolken gesehen! So etwas widerspricht meinem Verständnis vom Föhneffekt. Kommen die hohen Temperaturen aus der Inversion oder wie kommt das.

Wer hat 'ne Erklärung?

Vielen Dank im voraus.

Gruss Markus

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Federwolke
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Föhnsturm ohne Wolken?

Beitrag von Federwolke »

Hi Markus

Die aktuelle Föhnlage ist in der Tat nicht typisch, aber Föhn muss nicht unbedingt mit Regen oder tiefen Wolken im Süden zusammenhängen. Das "klassische Föhnmodell", das noch bis vor kurzem in den Lehrbüchern stand, musste aufgrund der neuesten Forschungsergebnisse ganz schön revidiert werden.

1. These: Ich hab zwar die genauen Messwerte von heute Nachmittag nicht im Kopf, aber meiner Schätzung nach war es auf der Alpensüdseite nicht viel kühler als in den "Föhntälern". Somit wäre das ein normaler Transport von wärmerer Luft aus dem Süden auf die Alpennordseite. Also hat sich die Luft genau um so viel erwärmt, wie sie sich im Süden abgekühlt hat. Wer genaue Messwerte hat, die diese These widerlegen, korrigiere mich bitte.

2. These: Nach dem neuen Föhnmodell ist die unterste Luftschicht auf der Alpensüdseite nicht am Föhn beteiligt, sondern bleibt als Kaltluftsee in der Poebene liegen. (Siehe dazu auch die aktuellen Messwerte in der Nacht: Alpensüdseite hat Frost in tiefen Lagen, z.B. Stabio -1.7°, Locarno Magadino 0.4°) Mit anderen Worten: Die Luft, welche über die Alpen fliesst, hat ihre ursprüngliche Höhe auf etwa 2000 m oder sogar noch höher. Auf der Alpennordseite fällt sie dann aber tiefer, nämlich bis zum Talboden (ca. 400 m). Das würde die Erwärmung erklären.

Übrigens: 14° bei 35 cm Schnee, da würde ich nicht jammern! Hat man schliesslich nicht alle Tage. Also geniess es :-)

Liebe Grüsse


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Dani (Niederurnen)
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Föhnsturm ohne Wolken?

Beitrag von Dani (Niederurnen) »

Der Föhn scheint in der Nacht mal durchgebrochen zu sein. Der erste morgen an dem ich keinen Frost verzeichnete.....und die Lägern melden über +5 Grad.
Neu nicht mehr in der Nebelsuppe von Uster sondern in im sonnigen Glarnerland

swissmac
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Beitrag von swissmac »

Hallo Fabienne

Vielen Dank für die ausführliche Beschreibung! These 1 würde ich im Moment eher verneinen, da wirklich fast 5 Grad Differenz zwischen Nord und Süd herrscht (ca. 13 vs 8 Grad).

Betr. Wolken sehe ich immer noch nichts, also muss die Wärme effektiv von oben kommen:
Bild

Die Temperaturdifferenz zwischen Lugano (6.2 C) und Gütsch (-5) müsste bei schönem Wetter ziemlich genau 20 C sein, ist aber nur ca. 11 Grad, also bleibt die Luft scheinbar unten im Tessin liegen und wird nicht 'hinaufgeschoben'. Auf der anderen Seite dann genau das Gegenteil: Gütsch - 5 C plus 18(00m) x 1 C gibt genau die 12.9 Grad von Altdorf.

Super! Vielen Dank nochmals, man lernt eben nie aus ...

Gruss Markus

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Andreas -Winterthur-
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Föhnsturm ohne Wolken?

Beitrag von Andreas -Winterthur- »

Die aktuell noch andauernde Föhnphase ist tatsächlich aussergewöhnlich, die sonst typischen meteorologischen Phänomene fehlen fast gänzlich:

Im Tessin ungehinderter Sonnenschein und eine sehr tiefe Luftfeuchtigkeit:so betrug gestern das tiefste Stundenmittel der Luftfeuchtigkeit in Locarno Monti nur gerade 22,4%, in Lugano 28.3%. Die sonst bei diesen Lagen herangeführte feuchte Luft aus der Poebene fehlte fast gänzlich. Die Sondierung Milano von gestern Mitternacht zeigt nur in den untersten Hundert Metern eine Bodeninversion.

Durch die bis in etwa 2000 Meter lagernde Kaltluft im Tessin, wurde mit der Sonneneinstrahlung im Laufe des Tages eine trockenlabile Schichtung ausgelöst -dies bei einer eigentlichen Subsidenzlage mit Absinken, das sich allerdings erst etwa oberhalb 2300 Metern bemerkbar machte!-

Die sonst übliche Inversion zwischen 1500-2000 Metern mit der hochnebelartigen Bewölkung fehlte dementsprechend. Die Station Cimetta auf 1632 Meter erreichte als tiefstes Luftfeuchtigkeits Stundenmittel gerade mal 12.3%! Dies ist nur unwesentlich mehr als die tiefsten Werte in den nördlichen Föhntälern.

Auch auf der Alpennordseite gab es einige Besonderheiten: überraschend war sicher das weite Vorstossen des Föhns. Neben den typischen Föhnstationen (ALT,GLA,CHU,VAD) kam z.B. Interlaken schon gestern Mittag in die Föhnströmung und das noch vor Brienz, wo erst im Laufe des Nachmittags der Föhn von Meiringen her vorgestossen ist. Aber auch in Adelboden und Gstaad gab es Föhn. In der Zentralschweiz stiess der Föhn bis gegen Aegeri vor. Dies ist recht erstaunlich, denn im Bodendruckfeld betrug die Nord-Süd Differenz nie mehr als 6 bis 7 hpa, und die Schichtung über dem nördlichen Alpenvorland war eigentlich recht stabil: so wurden auf dem Moléson und Pilatus um 15 Uhr je +2 Grad gemessen; Luzern registrierte gleichzeitig +6 und Bern +9 Grad. Ich nehme an, dass die Kaltluftschicht zwischen 2000 und 2500 Metern über den Alpenkamm gegen Norden gedrückt wurde und durch die so entstandene Labilität der Fallwind auch untypischere Gebiete "heimsuchte"; ein Indiz dafür wären die -2°C auf der 1950 Meter hohen Grimsel um 15 Uhr, was doch immerhin 4 Grad weniger wären als PIL und MOL zur selben Zeit und gut mit der Höchsttemperatur von Interlaken (11.7°C) korrespondiert.

Die Luftfeuchtigkeit war auch auf der Alpennordseite aussergewöhnlich tief, so reistrierte der Napf als tiefstes Stundenmittel gerade mal 8,7%, wahrscheinlich einer der tiefsten Werte die dort je registriert worden sind. In Vaduz wurden 11.1% gemessen, was damit der 3. tiefste je gemessene Wert für diese Station darstellt.

Die höchste Temperatur registierte übrigens Sion mit 14.9°C um 15 Uhr. Eindrücklich z.B. die Gegenüberstellung mit dem Tiefstwert von Tänikon am Morgen früh, dort sank das Thermometer auf -12°C! In Vaduz wurden 14.3, in Altdorf 13.0 und in Glarus 12.4°C gemessen. Aber auch Stabio im Südtessin konnte mit 13.2°C mit den Föhntemperaturen mithalten.

Die höchste Windspitze wurde in Altdorf mit 85 km/h gemessen.

Grüsse Andreas
“Some people are weather wise, but most are otherwise” Benjamin Franklin

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Joachim
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Beitrag von Joachim »

Hallo

diese Föhnlage ohne Wolken erinnert mich doch an bora-artiges Überströmen des Alpenkammes (Wasserfall über Berge und Pässe) von potentiell kälterer Luft aus Süden. Dafür spricht der stets sehr grosse Temperaturunterschied zwischen Gütsch und Pilatus, der mit bis zu 9K wesentlich grösser war als sonst bei Föhn.
Antrieb war der Druckunterschied in tieferen Lagen, auf 500 hPa fehlte die kräftige Südkomponente!
Auch die trockene Luft/der tiefe Taupunkt zeigen den Bora-Charakter...die bis zu 15° in Sion/Vaduz waren von Taupunkt um -15° begleitet > nicht gerade "T-Shirt Wetter" :=(

Viele Grüsse

Joachim

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