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So funktionieren Hagelraketen

Grundlagen und Expertenwissen.
Severestorms
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So funktionieren Hagelraketen

Beitrag von Severestorms »

Hagelraketen werden bei entstehenden Gewittern in der Wolkenbasis gezündet, wobei Silberjodid freigesetzt wird. Damit vermehrt sich die Anzahl der natürlichen Kristallisationskeime (Silberjodid ist bereits ab einer Temperatur von -5.2 Grad eiskeimbildend) und die Menge der Feuchtigkeit kann sich großflächiger und feiner verteilen. Die Bildung großer Hagelkörner soll dadurch vermindert werden. Zudem besteht die Chance, dass die kleineren Hagelkörner auf ihrem Weg zur Erde schmelzen und nur noch als schwere Regentropfen auf dem Boden ankommen. Soweit die Theorie. Über den Erfolg dieser Methode ist man sich teils noch uneinig. Andere Hagelabwehrstrategen verwenden Salzraketen, die Eiswolken in Regenwolken verwandeln oder Gasdruckkanonen, die das Wasser aus der Wolke "rausschütteln" sollen. Auch hier ist man sich über die Wirkung uneinig.

Weiterführende Links:
http://www.ucar.edu/communications/staf ... /here.html
http://www.weathersage.com/texts/boesen2/chapter7.htm
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DefineD
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Beitrag von DefineD »

In welchen Gebieten der Schweiz werden Hagelraketen eingesetzt?


Simon
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So funktionieren Hagelraketen

Beitrag von Simon »

@ Christian

Kennst du jemanden der solche Raketen hat. Z.b ein Bauer oder so. Wäre einmal interessant zum zuschauen.

Gruss Simon
@Simon Keller

Severestorms
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Beitrag von Severestorms »

@Simon: Nein, ich kenne keine Bauern, welche Hagelraketen einsetzen. Das liegt daran, dass ich keinen Bauern persönlich kenne ;-) Ich bin auch kein Hagelexperte, im Gegenteil. Aber was ich in Erfahrung bringen konnte ist, dass gewisse Gemeinden in der Schweiz über einen Hagelabwehrobmann und staatlich geprüfte Hagelabwehrschützen verfügen, welche bei Bedarf eingesetzt werden. Hagelraketen sind teuer (über 120 Franken), ca. 80cm lang und dürfen nur in Absprache mit der Flugsicherung gestartet werden. Trotzdem bereiten sie der Luftfahrt nicht selten Probleme oder gar gefährliche Situationen (interessanter Artikel hierzu über die Zuständigkeitsfrage der Hagelabwehr in Bosnien-Herzegowina: http://www.nato.int/sfor/trans/2003/t030610a.htm (SFOR-Transcript ganz unten)). In der Schweiz werden im gesamten Mittelland pro Sommer etwa 1000 Stück losgelassen.
Die Hagelabwehr mit Flugzeugen wird in Europa nicht nur in der Schweiz, sondern insbesondere auch in Italien, Frankreich, Österreich, Süddeutschland, Kroatien und Bosnien-Herzegowina betrieben.

Hagelgefahrenkarte der Schweiz:
Bild
Quelle: SFDRS Meteo

Hier noch ein Auszug aus einem Artikel:
Am Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. beschäftigen sich Wissenschaftler seit längerem mit dem sehr komplexen Phänomen „Hagel“.
Die Entstehung der zerstörerischen Eisklumpen ist von vielen Faktoren abhängig. Grundlegende Voraussetzung ist das Vorhandensein sogenannter „Embryonen“ in einer Gewitterwolke, kleinste Partikel, an denen sich die Luftfeuchtigkeit anlagert und dann gefriert.

Ausgehend von diesem Wissen fliegen speziell ausgebildete Hagelflieger im Alpenraum direkt in heranziehende Gewitter, um sie zu beeinflussen. Ihr Ziel: die landwirtschaftlichen Flächen vor schweren Unwetter-Schäden zu schützen. Dazu stürzen sich die mutigen Piloten mit speziell ausgerüsteten Flugzeugen direkt in die Aufwindzonen der aufkommenden Hagelstürme. Hier zünden sie Brenner, die Chemikalien ausstossen und in die Gewitterwolke einbringen. Die chemischen Stoffe sollen dort wie künstliche Hagelkerne wirken und so vor Ort aktiv in den Prozess der Hagelentstehung eingreifen.

Die Technik der Hagelflieger für die sogenannte Wolkenimpfung basiert auf der Erkenntnis, daß bestimmte Salze ähnlich wie die Hagelkeime wirken. In Mitteleuropa benutzen die Piloten hauptsächlich das Salz „Silberjodid“. Dieses wird entweder von Raketen oder aber speziellen Brennern ausgestossen. Bei der Zündung der Apparaturen werden Millionen mikroskopisch kleiner Salzteilchen freigesetzt. Die dienen dann in der Wolke als Embryonen für Hagelkörner.

In Dürregebieten wird die Wolkenimpfung seit langem eingesetzt, um mehr Regen zu erzeugen. Dort hofft man, die Wolken durch das gezielte Einbringen von Keimen zum Abregnen zu bringen. Die moderne Hagelfliegerei im Alpenraum kann so auf langjährige Erfahrungen der sogenannten „Regenmacher“ zurückgreifen. Aber trotzdem bleiben noch viele Fragen offen. Das größte, bislang noch nicht richtig gelöste Problem ist das Fehlen einer verlässlichen kurzfristigen Prognose: Nur ein Teil der Gewitter erzeugt heftigen Hagel. Aber im Falle des Falles bleiben den Piloten zwischen dem Erkennen der konkreten Gefahr und der Bekämpfung vor Ort in der Wolke nur fünfzehn bis zwanzig Minuten Ö und so kommen sie oft zu spät.
Quelle: http://www.3sat.de/3sat.php?http://www. ... tec/19835/

Eine Bauernregel zum Hagel habe ich auch gefunden: 'So selten ein Kopf ohne Nagel, so selten ein Juli ohne Hagel.' Hat was, oder?

Links:
http://www.sfdrs.ch/sendungen/meteo/lexikon/hagel.html
http://www.hagelabwehr.com/
http://www.hvm.at.tf/


PS: Wenn jemand Ergänzungen oder Korrekturen anzubringen hat, bitte melden. Ich bin auch nur ein Googler.
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Michael (St. Gallen)
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Beitrag von Michael (St. Gallen) »

Bei Hagelgefahr hört man hier in St. Gallen regelmässig die Hagelraketen.

Tiefausläufer
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Beitrag von Tiefausläufer »

Hallo!

Also oft beobachtete man, dass nach einen kräftigen Blitz die Intensität des Niederschlags plötzlich zunimmt. Ob das die "Druckwellen-Theorie" bestätigt oder mit der Ladungsänderung zusammenhängt, weiß ich net genau.

Übrigens: Eine Hagelrakete hinterlässt eine Spur ionisierter Verbrennungsgase, und ich habe mal einen Film gesehen, wo dadurch auf der Startrampe nach dem Start der Rakete der Blitz einschlug und eine Menge Unheil stiftete! 8-) :-O :L
Der Schnee fällt zum Schneiden dicht, die Straße ist spiegelglatt ...
Bild
... wohl dem, der statt eines Autos einen SCHLITTEN hat!

Martin
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Beitrag von Martin »

Meines Wissen arbeiten die St. Galler und Thurgauer Bauern mit System. Richtige Abwehrlinien sind da installiert.
Im Landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg 071 663 33 33 gibt es sicher Namen und Verantwortlichkeiten.
Gruss aus Seegräben wo wir den Hagel in 90% der Fälle knapp nördlich (Pfäffikon) oder knapp südlich (Wetzikon) vorbeiziehen lassen.
Martin Wetzikon/Seegräben


Severestorms
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Beitrag von Severestorms »

Weitere Threads zum Thema:

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http://www.sturmforum.ch/showthread.php?id=3660

- Editiert von Christian Matthys am 01.02.2006, 10:59 -
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Cry
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Beitrag von Cry »

Evt. ist es möglich, den Einsatz einer Hagelrakete beim Weinmuseum Wädenswil-Au zu besichtigen.
Zumindest eine Abschussvorrichtung haben sie dort.

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Federwolke
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Beitrag von Federwolke »

Hier ein aktueller Artikel aus dem Bund, Ausgabe vom 4. Juni 2005:

Petrus’ Helfer auf Erden

Werner Keller ist der letzte Hagelschütze aus Stettlen – wie viel seine Kunst nützt, ist umstritten

Wenn dunkle Gewitterwolken aufziehen, schiesst Werner Keller mit Raketen gegen den drohenden Hagel – erst muss er allerdings die Flugsicherung informieren, denn seine Geschosse explodieren auf bis zu 1500 Metern über Boden.

In Deckung geht er jeweils hinter der grossen Scheiterbeige, die am Strassenrand steht. «Man darf das nicht unterschätzen», sagt Werner Keller, «so eine Rakete hat die Sprengkraft einer Handgranate.» Oberhalb von Stettlen im Ghei zirpen die Grillen am Waldrand. Die Abschussrampe steht in der Wiese vor den Obstbäumen. Hier macht Landwirt und Milchverarbeiter Keller seine Raketen startklar. Er schliesst die Zündschnüre an, zieht sie über die Zufahrtsstrasse, schaut, ob kein Velofahrer oder Jogger in der Nähe ist, duckt sich dann hinter die Scheiterbeige und zündet über eine Batterie.

Ein- bis zweimal pro Jahr jagt er so zwei bis drei Raketen in den Himmel. Nur einen Fehlstart hatte er bisher: Die Rakete drehte ab und flog im Bogen auf den Sonnenhang von Stettlen zu. «Zum Glück explodierte sie über dem Feld.» Normalerweise fliegen die Hagelraketen jedoch vor der Detonation je nach Typ 1100 bis 1500 Meter in die Höhe. Vor dem Schiessen müsse die Flugsicherung jeweils den Luftraum freigeben, sagt Keller. «Manchmal werden die Flugzeuge auch umgeleitet.»

Hagel sehr ungleich verteilt

Hagel entsteht aus Wassertropfen, die im Aufwind der Gewitterwolken bis zu 10 000 Meter in die Höhe gewirbelt werden. Sie gefrieren, werden grösser und grösser, bis ihr Eigengewicht stärker ist als der Aufwind. Auf dem Weg zum Boden schmelzen die Körner zwar wieder, und manche erreichen die Erde als Wassertropfen – andere aber schlagen als Eisklumpen auf.

Hagelgewitter haben im letzten Jahr im Kanton Bern 8,9 Millionen Franken Schaden an landwirtschaftlichen Kulturen angerichtet, schweizweit waren es 81 Millionen Franken. Die versicherten Schäden an Fahrzeugen und Gebäuden waren um ein Mehrfaches höher. Nicht überall ist die Hagelhäufigkeit gleich hoch (siehe Karte). Die Hagelversicherungsprämien fürs Seeland etwa sind dreimal tiefer als die fürs Emmental. Aber nicht alleine die Hagelhäufigkeit zählt: Ein einziger starker Hagelzug vermag weit mehr Schaden anzurichten als zehn kleine.

100 bis 150 Franken pro Schuss

Seit 20 Jahren bekämpft Keller die schädlichen Eisstücke. «Man muss den Schuss genau an den unteren Rand der Wolke setzen, dann wirkts am besten.» 15 Gramm Silberjodidstaub werden pro Schuss freigesetzt. «Dieser Stoff gelangt in den Aufwind und bewirkt, dass die Wassertropfen früher wieder runterfallen», erklärt Keller. Die Wirkung der Rakete beschränke sich jedoch auf einen Umkreis von 500 bis 1000 Metern. Und die Wolken ziehen meist weiter nach Osten. Keller hilft mit seinen Raketen also vor allem Vechigen und Worb. «Damit mein Hof geschützt wäre, müssten eben auch die Ostermundiger und Bolliger schiessen.»

Schweizweit gibt es um die tausend Hagelschützen – Tendenz: abnehmend. Immer häufiger sind die Gemeinden nicht mehr bereit, die Kosten von 100 bis 150 Franken pro Hagelrakete zu tragen, zumal die Wirkung sehr umstritten ist: Vor 25 Jahren machte die ETH Versuche mit russischen Hagelraketen im Napfgebiet. Es habe sich gezeigt, dass Hagelraketen in der Schweiz «nur partiell sinnvoll» einsetzbar seien, sagt Jörg Schwarz, Vizedirektor der Hagel-Versicherungs-Gesellschaft. Selbst in den Gebieten, wo geschossen werde, sei man sich über die Wirkung der Raketen alles andere als einig. «Die einen behaupten, die anderen würden den Hagel durch das Schiessen nur in die nächste Gemeinde jagen.» Als viel wirkungsvoller hätten sich vor allem im Obstbau Hagelnetze aus Kunststoff erwiesen. «Sie bieten 80-prozentigen Schutz.» Allerdings koste es etwa 30 000 Franken, eine Hektare Obstplantage mit Netzen zu sichern.

Doch die Hagelbekämpfer lassen sich nicht so leicht unterkriegen: Im Süden Deutschlands sprühen sie Silberjodid aus dem Flugzeug, und im Thurgau testen sie während fünf Jahren die flächendeckende Raketenabwehr. Der Hagelabwehrverband Mittelland-Emmental will nun ein ähnliches Projekt auf die Beine stellen.

Keine «richtigen Männer» mehr

Werner Keller würde als Schütze gerne an diesem Projekt teilnehmen, aber Stettlen tritt nun aus dem Hagelabwehrverband aus. «Es lassen sich schlicht keine Schützen mehr finden», sagt Keller. Er zeigt über das Worblental auf die Stettler Sonnenseite, wo sich in den letzten Jahrzehnten Wohnsiedlungen und Einfamilienhäuser breit gemacht haben. «Es gab dort zwei weitere Abschusspunkte, aber jetzt sind sie zu nahe an den Siedlungen.» Hagelschützen arbeiteten zudem ehrenamtlich. «Und das macht heute nicht mehr jeder.» Ulrich Friedli, Präsident des Hagelabwehrverbandes Mittelland-Emmental, sieht noch einen weiteren Grund: Die Schützen trauten sich zum Teil nicht mehr, die Raketen zu zünden, denn «das chlöpft fei e chli». Es werde immer schwieriger, «richtige Männer» für diesen Job zu finden.
Keller hat das Handwerk des Schützen noch von seinem Vater gelernt. «Weil ich den Ort hier genau kenne, kann ich Farbe und Verlauf der Wolken deuten.» Existenziell sind die Raketen für ihn aber nicht mehr: Den Hof bewirtschaftet er nur noch extensiv. Sein Geld verdient er in der Milchverarbeitung in Freiburg. Dennoch: «Für die Obstbäume sind meine Raketen immer noch gut.»

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