ich möchte mal versuchen, das Thema "schlechtes" Timing von sommerlichen Kaltfronten in der Schweiz aufzugreifen mit einer subjektiven Beobachtung sowie einer theoretischen Überlegung, warum es öfters unpassend ist für Schwergewitter zur besten Tageszeit. Ich bin mir fast sicher, dass Dinge dazu hier im Forum schon von verschiedenen Leuten erwähnt wurden, und dies quasi ein alter Hut ist. In dem Fall betrachtet man diese Notiz am besten als Hinweis, dass auch ich das nun langsam checke...
Aufgefallen ist mir, dass die Ankunft von Fronten aus Sektor West öfters mal zu früh erfolgt, um noch eine volle tageszeitliche Erwärmung zu ermöglichen, die zu heftigen Gewittern führt. Im Weiteren ist mir aufgefallen, dass es weiter östlich von uns häufiger passt, insbesondere in den neuen Bundesländern Deutschlands, im Südosten Bayerns sowie in Teilen Österreichs und in der Po-Ebene.
Meine Überlegung, warum das so sein könnte, falls dem wirklich so ist, liegt in der Distanz unseres Landes zum Ostatlantik und dem zugehörigen Tagesgang des Wetters über Frankreich bei einer typischen Wetterlage mit Höhenwind aus Sektor West. Wir sind rund 600 bis 700 Kilometer vom Atlantik entfernt. Wenn kühle Luft sich vom Atlantik her dem europäischen Kontinent nähert, dann trifft sie auf ein gewisses tageszeitlich bedingtes Forcing, dass zwar eine solche Front nicht komplett bestimmt, aber doch in der Tendenz beeinflusst. Ich denke hier vor allem an den sommerlichen Tagesgang des Wetters über dem Kontinent. Im Laufe des Tages erwärmt sich über uns die Luft, die Luftsäule dehnt sich nach oben aus, und in den höheren Luftschichten entsteht ein Luftdruck-Gradient zu den Regionen mit weniger erwärmter Luft. Durch fliesst Luft in der Höhe aus dem erwärmten Gebiet ab und führt dann zu Druckabfall am Boden. Dann zieht an der Westküste Frankreichs der Meerwind an, und die Tore sind dann besonders offen für den Einfall kühler Meeresluft. Anders sieht es dort in den Vormittags-Stunden aus, wenn die Temperatur- und damit die Druckunterschiede zum Meer kleiner sind und ggf. sogar der Landwind weht. Dieses tägliche Spiel ist wie gesagt stark an die Tageszeit gekoppelt und damit quasi hart ins Wettergeschehen eincodiert.
Synoptische Wellen und ihre Fronten kommen zeitlich viel zufälliger vom Atlantik her, aber sie werden von diesem Tageszeiten-Forcing beeinflusst. Ich stelle mir vor, dass ein heisser Tag mit Gewittertief über Frankreich mit seiner Dynamik, den vertikalen Umlagerungen sowie der Energieumsetzung in allfälligen Hitzegewittern mit resultierenden Cold-Pools einen wesentlichen Einfluss auf die Struktur und das Timing von Fronten hat, die mit den Wellen einhergehen. Es bilden sich zB. vorgelagerte Linien, die die Rolle der Kaltfront übernehmen, oder die Fronten laufen in ungünstige Bedingungen rein und werden abgebremst. Rechnet man jetzt die 600 bis 700 Kilometer ein wenig hoch auf, sagen wir mal, 40 bis 60 km/h Verlagerung einer Front, kommt man grob auf etwa 10 bis 16 Stunden, die eine meerwind-getriggerte Kaltfront von der Küste Frankreichs zum günstigen Zeitpunkt der "offenen Tore" bis zu uns braucht. Da dies an der Küste etwa gegen Ende des Nachmittags der Fall ist, bekommen wir die Auswirkungen davon also etwa ab den frühen Morgenstunden oder bei langsamerem Vorankommen gegen Mittag vom Jura her zu spüren. Sprich: Die Front oder zumindest der kühle Outflow der Vorgeschichte ist in vielen Fällen etwas zu früh da, um bei uns tageszeitlich voll erhitzte und gewitter-unterstützende Bedingungen anzutreffen. Es gibt dann vielleicht zwei Runden mit mässigen Entwicklungen, oder der Himmel bleibt nach dem Einschub kühler Luft ganz zu, weil es unten stabilisiert und sich die Wolken an einer Inversion ausbreiten. Nach München sind es von der Atlantik-Küste 900 bis 1000 Kilometer, was dieser Front einige Stunden mehr Zeit gibt, um nach dem Start in Westfrankreich erneut Tageshitze vorzufinden.
Wie bekommen wir ein besseres Timing hin für die Schweiz?
Sicherlich mit einer schnelleren Verlagerung der Störung bei stärkerem Jetstream, damit zB. die Welle oder etwas Vorgelagertes es noch vor der nächtlichen Abkühlung zu uns schafft. Schnelle Verlagerung von Systemen im Sommer scheinen mir hier in der Schweiz nicht mehr so häufig vorzukommen, der Jetstream scheint in neuerer Zeit klimawandelbedingt eher schwächer und weiter nördlich zu sein.
Abflauen der Winde in der Höhe, die das Vorankommen der Gewitter abbremsen, oder diese der synoptischen Hebung beraubt werden und sich auflösen. Ist manchmal schwierig zu gestalten, denn wenn eine Gewitterlinie in schwülwarmer Luft mal Fahrt aufgenommen hat, ist sie wegen Eigendynamik nur sehr schwer zu bremsen, vor allem bei westlichen oder nordwestlichen Windrichtungen. Bei Südwest geht das hingegen, und diese Lagen können uns sehr gut aus dem ungünstigen Timing holen, auch mit Spanish Plumes und anderen Effekten, aber ich wollte hier vor allem auf die Westlagen hinweisen.
Zum Schluss noch einige Modellkarten von kommender Woche vom heutigen 0z-Ecmwf-Modell, die meiner Meinung nach den beschriebenen Effekt ein wenig aufzeigen, weshalb ich mich auch entschlossen hatte, das einmal hier im Forum zu notieren:
Erwärmung der Luft über Frankreich, Druckgradient baut sich an der Küste auf, der Trog nähert sich:

Quelle: https://kachelmannwetter.com/ch/modellk ... 1200z.html
12 Stunden später rauscht die Front über Frankreich mit voller Kraft ostwärts. Vorgelagerte Gewitter bilden sich in der Nacht bereits bis zum Jura und den Vogesen, zu erkennen an den kleinen blauen RH700 > 90% Kringel:

Quelle: https://kachelmannwetter.com/ch/modellk ... 0000z.html
Mittags resp. 14 Uhr Lokalzeit am nächsten Tag ist eine erste Gewitterfront bereits im Osten der Schweiz angekommen. Sie übernimmt mehr und mehr die Rolle Rolle der nachfolgenden Kaltfront:

Quelle: https://kachelmannwetter.com/ch/modellk ... 1200z.html
Auf der T2m-Karte vom selben Termin erkennt man, wo es nochmals richtig heiss wäre, wie so oft:

Quelle: https://kachelmannwetter.com/ch/modellk ... 1200z.html
Feedback, Ergänzungen, Diskussionen und zukünftige Fallbeispiele dazu gerne erwünscht!
Gruss
Markus
PS: Der neue Ecmwf 12z-Lauf hält mit mehr Südwest wieder bessere Gewitter-Aussichten für uns bereit.





