Hoi zäme
Chasingbericht, 20.06.2013:
Wie im Thread vom 19.06.2013 bereits erwähnt, kehrte ich in der Nacht auf den 20.06.2013 vom Chasing bei Nancy in Richtung Schweiz zurück und übernachtete auf einem LKW-Parkplatz auf der Ostseite des Col du Bonnehomme, in Richtung Colmar, einige Kilometer nach der Passhöhe vor Lapoutroie (Plan kleines Viereck):
In Kaffeelaune fuhr ich um ca. 09 30 Uhr los, passierte das Rondelle bei Hachimette rd. 5-7 Min. später und bemerkte erst bei Ankunft der Talsohle bei Colmar verdächtige Wolkenstrukturen, die nach Gewitter aussahen, checkte kurz den Donnerradar und traute meinen Augen nicht. Aus dem Nichts hatte sich eine Gewitterzelle gebildet, die um ca. 09 43 - 09 45 Uhr die ersten Blitze (Erdblitze) produzierte, ärgerlicherweise genau bei Hachette, wo ich 6-8 Min. vorher das Rondelle passierte (siehe grosses Viereck und Donnerradar):
Blick auf die von den Vogesen orografisch unterstützte Zelle in Richtung NW:
Dann endlich den verdienten Kaffee im sehr empfehlenswerten Bistro Cappuccinos in Breisach am Rhein und danach (so um die Mittagszeit) bei Rheinfelden über die Schweizer Grenze. Der Zöllner kannte mich von etlichen Grenzübertritten und aus dem Fernsehen ("Ah, auch wieder mal hier!) und wollte natürlich wissen, was ich erwartete und wohin ich chasen gehe. Von Genf her komme eine Gewitterlinie dem Jura entlang über Biel in Richtung Basel, meinte ich kurz, um hinter mir die Kolonne nicht allzu lang werden zu lassen. Im Café hatte ich schon mal die Karten studiert, inkl. Cosmo2, dessen Prognose sich auch um ca. 13 00 Uhr nicht wesentlich verändert hatte. Hier die Zellen, bzw. die Linie (von Genf her), die von Cosmo 2 auch noch um 12 50 Uhr auf 17 00 Uhr gerechnet wurde - mit Position Biel/Seeland - die 5 Stunden später zur hier viel diskutierten Katastrophe am Turnfest geführt hatte:
Mit SRH (Storm Relativ Helicity)-Werten von gg. 280 J/kg (0-3 km) rechnete ich mit etwas Gröberem und entschied mich mal bei Egerkingen zu positionieren.
Um die Wartezeit etwas zu verkürzen, überlegte ich mir, wo die nächste Auslöse (die meines Wissens bei Cosmo2 nicht angegeben war) sein würde und sah die günstigen SFC-Theta-E im Napfgebiet (Zellverlagerung in Richtung Norden):
Kaum hatte ich die mühsame Baustelle hinter mir und auf der Strecke Sursee-Luzern wieder freie Fahrt, löste es am Napf aus:
Zum Glück war ich bereits beinahe bei der Ausfahrt Reiden und fuhr via Pfaffnau nach Netzelen-Roggliswil und suchte mir einen idealen Spotterplatz, südlich vom Stotzigrain (Nomen est Omen
![Unschuldig :unschuldig:](./images/smilies/icon_smilie_unschuldig.gif)
/ für unsere deutschen User: schweizerdeutsch "stotzig" = dt. "sehr steil"). Bei der Kreuzung auf der Anhöhe, liess mir ein Bauer auf seinem Traktor mit Güllenwagen den Vortritt und ich überlegte noch kurz, ob ich ihn über die enorme Gefahr aufklären sollte, fuhr aber auf die Anhöhe. In dem Moment schlug ein gewaltiger CG rd. 300 Meter vor mir bei Netzelen ein, mit entsprechender brachialer Soundkulisse (vermutlich rd. 100 Meter neben dem Bauern auf seinem Traktor).
Blick von der Anhöhe in Richtung SSE, unten im Tal Netzelen. Am linken Bildrand die abziehende und schwächelnde Zelle:
Dann ein wichtiger Anruf, der Priorität hatte. Chasingabbruch und Rückfahrt nach Winterthur an die Besprechung. Noch vor dem Anruf hatte ich bereits mein nächstes Ziel im Auge: Biel / Solothurn. Es war etwa 14 30 Uhr und die SRH-Werte (0 -1 km) sahen bei Biel wirklich sehr knackig aus (11 40 UTC):
Man erkennt Werte von gg. 120 J/kg. Das entspricht nach der kinetischen Formel von Masse (m) mal Beschleunigung (v) 120 m2/s2. In der Fachliteratur (Welt der Synoptik) heisst es dazu unter "Hinweise zur Vorhersage von Tornados" (Abschnitt SRH):
"Untersuchungen haben gezeigt, dass für die Tornadoentwicklung die SRH im Low Level (0 bis 1 km) völlig ausreichend ist. So spielt bei der Tornadovorhersage die Storm Relative Helicity (SRH) in den unteren 1000 m eine wichtige Rolle (Rasmussen 2003). Dabei sind Werte von mehr als 150 m²/s² notwendig, wobei hier 120 m²/s² als guter Grenzwert zwischen tornadischen und nicht-tornadischen Superzellen dient. Auch die Betrachtung der SRH bis 3 km kann sehr hilfreich sein. Treten hier mehr als 250 m²/s² auf, sind F1 + Tornados möglich."
http://www.synoptische-meteorologie.de/ ... orhersage/
Da es sich meiner Ansicht nach bei Biel, bzw. entlang des Juras nicht um eine klassische Superzelle gehandelt hat, was aus den von Urbi geposteten NS-Radarloops und Sat.-Bilder interpretiert werden könnte, sondern um eine QLCS, gäbe es allenfalls in der Untersuchung des Starkwindereignisses von Biel neue Aspekte. Zu den Unterschieden Superzelle vs. QLCS:
http://weather.ou.edu/~ckuster/http/res ... rison.html
Dazu ein hochinteressanter Artikel zu einem Fall in den USA (Creston / Iowa), am 14.04.2012:
"Most tornadoes associated with squall lines, bow echoes, comma heads and quasi-linear convective systems (QLCS) occur near the leading edge of the higher radar reflectivity. - Linear cases exhibiting rotation and tornadoes on the trailing edge of the higher reflectivity appear to be much less common. Despite being rare, these tornadoes can be strong to violent, with some rated EF2 or greater. It is hypothesized that strong tornadoes are possible with trailing mesocyclone/trailing mesovortex linear convective systems due to the strong vertical wind shear with which they are associated. - The goal of the study and presentation is to allow all meteorologists to become more familiar with the importance of these atypical systems, ..."
https://ams.confex.com/ams/26SLS/webpro ... 11720.html
Zu diesem Thema finde ich den zitierten Aspekt unter Kap. 4 "Mesovortex Genesis" ebenfalls sehr interssant:
"As the gust front from the QLCS begins to propagate ahead of the main system ,bulges in the gust front have been observed. This bulge produces cyclonic rotation to the north and anti-cyclonic rotation to the south with a vertical orientation." usw.
http://www.meteor.iastate.edu/~ralliss/ ... ticies.pdf
Dies als Gedankenanstoss.....
Nach der Besprechung in Winterthur fuhr ich erneut los und positionierte mich bei Lieli, wo ich etwas südlich von meinem Standort die Geburt und Auslöse der späteren Zürichsee-Zelle verfolgen konnte (die schliesslich bis nach Winterthur zog).:
Abziehende Zelle am Zürichsee....
Gruss Cyrill