Hallo Sturmforumianer!
Hochwasser-Chasing-Bericht vom 10. Oktober 2011 im Berner Oberland mit Foto- und Videomaterial.
Warum erst jetzt? Das Erstellen des Beitrages benötigte viel Zeit, da die Bilder von Blausee-Mitholz von miserabler Qualität sind/waren. Kondenswasser im Innern der Linsen . Mithilfe extremer Überarbeitung konnte ich noch was aus den Bildern rausholen.
Warum nicht im Thread? Bei mir war die Ladezeit dieses Postings sehr lange. Eine Integration im Nowcast Thread würde den ganzen Thread verlangsamen, deshalb extern.
Das Hochwasser kam in seiner Intensität unerwartet. In einigen Talschaften wurde ein Rekordabfluss (höher als 1999 oder 2005) erreicht.
Ursache der Hochwasserwelle war eine intensive Schneeschmelze, ausgelöst durch eine aktive Warmfront mit Starkregen. Infos zur Wetterlage:
http://www.meteoschweiz.admin.ch/web/de ... antes.html
Und eine Übersicht zu den Niederschlagssummen (Danke an Kaiko!):
http://www.sturmforum.ch/viewtopic.php? ... 3&start=83
Die Vorgeschichte:
6. Oktober
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Eine Serie von schönen und sehr warmen Oktobertagen geht zu Ende. Ich arbeitete in diesen Tagen in Grindelwald/Kleine Scheidegg / Jungfraujoch als Guide der EigerKlimaSchulen:
http://www.eigerclimate.ch
Hier ein Bild auf das Eismeer von einem speziellen Standort (freier Blick, ohne Fenster):
Die Gletscherschmelze ist massiv. Hier im Innern der letzten Eishöhle bei der Station Eigergletscher (2300m). Der Aufenthalt war nicht ungefährlich, der Zeitpunkt (starkes Tauwetter und Sonnenschein) "suboptimal"

Der Steinschlag wegen des schmelzenden Eises war bemerkenswert. Die Höhle bricht spätestens im nächsten Sommer zusammen.
7. Oktober
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In der Nacht von Donnerstag 6. Oktober auf Freitag 7. Oktober brachte eine Kaltfront Schneefall bis weit runter. Hier ein Video vom Jungfraujoch (3500m, 07.10.2011, mittags). 2300 Meter über der Schneefallgrenze!! BlizzardConditions (-14 Grad, Böen bis 70 kmh, Graupelschauer):
Ein
VIDEO mit australischen Gästen als Hauptdarstellern...ohne Handschuhe und Kappe
http://www.youtube.com/watch?v=fH7TtYCLnTo
9. Oktober
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Vorübergehend beruhigt sich das Wetter. In den Bergen herrscht sonniges Wetter mit viel Neuschnee. Am Abend zogen Wolken der Warmfront auf, hier mit Blick zur Jungfrau:
10. Oktober
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Eine Warmfront bringt intensiven Regen bis 2500 Meter Höhe. Kombiniert mit der Schneeschmelze führt dies zu markant steigenden Pegelständen. Das Chasing beginnt um 09:30 Uhr und führt zu folgenden Flüssen und Bächen:
- Simme (Wimmis)
- Kander (Hondrich – Mitholz)
- Lütschine (Wilderswil)
- Aare (Brienzersee – Spreitgraben)
- Spreitgraben
Die Abflussspitzen der Hauptgerinne bei deren Mündung lagen zum Teil nur knapp unter den Rekordpegeln vom August 2005:
Aare Brienzwiler: Rekordpegel 2005 444 m3/s, aktuell Nr 2 seit Messbeginn (1905) mit 357 m3/s
Lütschine Gsteig: Rekordpegel 2005 254 m3/s , aktuell Nr 2 seit Messbeginn (1920) mit 222 m3/s
Kander Hondrich: Rekordpegel 2005 273 m3/s, akutell Nr 2 seit Messbeginn (1903) mit 265 m3/s
Im Oberlauf dieser Flüsse wurden nach Angaben der Anwohner die Pegelstände von 2005 teils übertroffen! Beispielsweise gab es an der Weissen Lütschine in Zweilütschinen einen neuen Rekordpegel (Messbeginn 1933).
Hier nun die Bilder:
SIMME (Wimmis) – „normales“ Hochwasser, aber wegen des Stauwehres eindrücklich:
VIDEO der Simme:
http://www.youtube.com/watch?v=VEWt3dP-yrw
LÜTSCHINE (Wilderswil) – Die Lütschine schwappt über den Damm. Erste leichte Überflutungen. Der Damm ist an dieser Stelle bewusst weniger hoch als im Dorf. Die Wiese dient als Flutungszone.
AARE (Brienzersee-Innertkirchen) - Der braune und kalte Aarezufluss hebt sich farblich deutlich vom blau-grünen Brienzersee ab. Nach rund 100 Metern sinkt die Brühe in tiefere Wasserschichten ab.
Viel höher darf das Wasser nicht steigen…
Die starke Strömung und grosse Steine produzieren teilweise einen Drachenrücken (Resonanzwellen):
Leichte Schäden in Innertkirchen:
SPREITGRABEN – Das eigentliche Ziel des Chasings. Seit 2 Jahren treten dort immer wieder Murgänge auf. Noch nie konnte ich einen Murgang live beobachten. Ein erster Murgang trat um 08:15 Uhr auf. Per SMS erhielt ich um 08:45 Uhr eine Warnung. Ein zweiter Murgangschub trat um 10:30 Uhr. Nun war ich um 11:30 Uhr vor Ort und erkundete mich bei Geotest über die Lage.
Auf dem Weg zum Beobachtungsplatz war die Strasse gesperrt. Ein Teilstück war massiv unterspült.
Beim gegenüberliegenden Hang vom Spreitgraben wartete ich im Regen auf mögliche Murgänge. Der erste Murgang donnerte bis zu meinem Beobachtungsplatz hoch (etwa 10 Meter über die Aare). Auf diesem Bild sind Geschiebereste des Murgangs auf dem Wanderweg zu sehen (ca. 10 Meter über dem aktuellen Wasserstand).

Man beachte auch die Grösse vom Schuttkegel.
Ein Standbild der Überwachungskamera vom Spreitgraben vom ersten Murgang 08:15 Uhr. (Quelle:
http://www.spreitgraben.ch/cms/neuigkeiten.html) Der Murgang führt viel Wasser, selbst im Flussbett der Aare ist der Wasserstand rund 10 Meter höher.
Könnte also spannend werden. Rund 20 Minuten passiert nix. Kommt noch was, kommt nix mehr?....Dann wird ein Donnern hörbar und eine braune Masse begleitet von Nebel wälzt sich den Spreitgraben runter. Was für eine Gewalt! Darauf telefoniere ich mit Christian Schlieren (Murgang!) und in kurzer Folge treten weitere Murgänge auf. Die Murgänge reissen zum Teil auch Bäume mit.
Hier ein VIDEO eines MURGANGS ! Die Videoqualität ist nicht berauschend, damit man etwas erkennt sollte das Video in hoher Qualität angeschaut werden (leider lange Ladezeit):
http://www.youtube.com/watch?v=Xl9vaaUBw1w
Nach dem Video wurde es kurz kritisch. Die Aare wurde durch den Schub an meinen Hang gedrückt – plötzlich bebte die Erde und 1 Meter vor mir brach der Hang (auf ca 10 Meter Länge )ein. Nach etwa 30 Minuten beruhigte sich die Lage. Nun liegt ein ordentlicher Schuttkegel im Flussbett der Aare (Man vergleiche diesen Schuttkegel mit dem Schuttkegel vor der Murgang-Serie):
Die Elektronik war komplett durchnässt und die Akkus fast leer. Auf dem Rückweg meldete sich noch ein letzter Murgang.
Das Murgangmaterial in der Aare führt zu lokalen Überschwemmungen.
Auf dem Rückweg wollte ich nochmals die Lage an Lütschine und Kander beobachten. Die Lütschine beruhigte sich. Ein Weg nach Lauterbrunnen schien mir zeitlich zu aufwändig. Bei der Kander wollte ich ursprünglich nur bis Frutigen fahren, aber je weiter man vorstiess, desto erheblicher wurden die Überflutungen:
Ein glücklicher Zufall wollte es, dass ich Thomas traf (ein Kollege, wohnhaft in Kandergrund). Zusammen ging es bergauf, auf der Suche nach der Quelle. Einige Fotos stammen von ihm. Freundlicherweise darf ich sie hier posten.
Ausserordentliche Ausmasse nahm das Geschehen nun ab Kandergrund an. Ein reissender Bach floss über die Hauptstrasse, obwohl die Kander bereits stark sinkende Pegel hatte. Von wo kamen diese Wassermassen? Keine Ahnung was uns erwartete. Die Bilder dokumentieren nun den Weg nach Mitholz - ins Kerngebiet eines Jahrhunderhochwassers. Je weiter man vorstiess, desto krasser die Lage:
Ein reissender Bach fliesst über die Hauptstrasse nach Kandergrund:
...vorbei am Blausee. Der Parkplatz ist komplett geflutet. Ab hier wurden Personen per Helikopter evakuiert. Die Wassermasse auf der Strasse nimmt zu...
Kurz vor Mitholz. Die Lage ist dynamisch, ständig werden Siloballen untergespült.
In Mitholz ist die Lage dramatisch. Die Quelle der Siloballen. Schutt, Strassenbelag und Holz liegen rum:
Ständig evakuiert die REGA Personen per Helikopter:
Die Hauptstrasse ist komplett auseinandergerissen:
Kurz vor dem Mitholztunnel ist die Lage dramatisch:
Das Wasser schiesst aus dem Mitholz-Tunnel. Hab ich so auch noch nie gesehen...und wird wohl kaum je wieder zu sehen ein..
Hier ein VIDEO vom MITHOLZTUNNEL:
http://www.youtube.com/watch?v=dA0qoIwk2vk
Die Teerplatten des Tunnels flogen uns zeitweise mit der Strömung regelrecht um die Ohren.
Der Tunnel, die Quelle? Nein..Oberhalb vom Tunnel fliesst ein Teil der Kander rein. Mehrere Autos der Feuerwehrleute wurde weggeschemmt. Sie wurden vom Ausbruch der Kander überrascht.

Bilder vom Ausbruch der Kander waren leider aufgrund der Dunkelheit nicht mehr möglich. Aber die Lage präsentierte sich so. Kander-Hochwasser staut sich an Brücke. Geschiebe lagert sich ab. Kander bricht seitlich aus. Später wird Brücke mitgerissen und Kander fliesst zur Hälte im Bachbett, zur Hälfte durch den Tunnel.
Im Dunkeln ging es dann auf trockenen Schleichwegen zu Fuss zurück nach Kandergrund.
Angeblich war ich in Kandergrund vorübergehend eingeschlossen. Der neue Kanderlauf überflutete die Hauptstrasse nach Frutigen ein zweites Mal, aber das Timing war optimal. Sobald ich von der Erkundungstour zurück war, konnte die Strasse knapp passiert werden.
Viele Grüsse
Philippe