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Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 02:53
von Marco (Hemishofen)
Nach dem fast-Rohrkrepierer von gestern Freitag gibt's heute Samstag die nächste spannende Wetterlage:

Zyklonale SW-Lage über Westeuropa, Luftmassengrenze erstreckt sich von Spanien über NW-FRA bis Dänemark,
östlich davon strömt im Warmsektor feuchtwarme Luft (feuchtpotentielle 10-15°C auf 850 hPa) heran. Über den
Alpen intensiviert sich der Föhngradient im Tagesverlauf von drei auf sechs hPa Südüberdruck, im Flachland der
Alpennordseite als Folge der anhaltenden und weiträumigen Tiefdruckbildung über SW-Europa "Föhnbise".

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Forcingfaktoren: large scale / upper level ein schwaches bis mässiges forcing, kurze Wellen reiten auf dem grossen
Trog / cut off über N-Portugal, die Musik ist dbzgl. aber deutlich lauter über Spanien/Balearen/Südfrankreich.
Allenfalls kann man eine leichte, aber kontinuierliche Divergenz im Jetniveau vermerken.

Hierzulande dürften die Beiträge aus der niederen Troposphäre entscheidender sein, mesoscale und Orographie
gilt es zu beachten: Fokus ist Romandie, angrenzende Gebiete BE/FR/SO und Jurabogen sowie Juranordfuss/Oberrheingraben.
Labilität mässig, lokal hoch, CAPE_MU geht v.a. nördlich des Juras über 1500 J/kg hoch. Deckel ist markant, je weiter
gegen Osten desto stärker gedeckelt (CIN 50-150 J/kg oder noch mehr am Bodensee). Bise verliert sich irgendwo
in der Romandie, d.h. hier konvergente Strömung, dann v.a. Orographie als Trigger (Savoyer und VD/FR Alpen, W-Jura).

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Wenn isolierte Zellen zur Auslösung kommen (was von allen Modellen so +/- gezeigt) wird es interessant: Scherungen
sind beträchtlich, absolut gesehen um die 30 KT (6km-SFC), mit der Drehung von Bise auf SW in der Höhe besteht
durchaus das Potential für rotierende updrafts und Hagelzellen.

Letzte Handvoll COSMO-2 Niederschläge (1h-Summen) für Samstagnachmittag:

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Spielverderber könnten abgeschwemmte Ci-Felder von "Primär-Cbs" über Zentral- und S-FRA (Rhone-Alpes) sein,
welche bei uns die Einstrahlung massiv dämpfen. In der Ostschweiz sicher zu viel CINH, westlich der Linie Napf-Schwarzwald
wird der Deckel wohl geknackt und daher ein Tag mit Potential ... hoffentlich nicht wieder ein Rohrkrepierer :roll:

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 09:22
von Federwolke
Man darf allerdings die aktuelle Qualität der Karten in Frage stellen, hatten doch die Modelle selbst in den 0z-Läufen noch nichts von den Schauern in der zweiten Nachthälfte und am Morgen wissen wollen... :help:

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 09:30
von Severestorms
Hallo Marco

Danke für die Einleitung! Gerade auch deshalb, weil ich selber nicht gross Zeit für ein eigenes Kartenstudium habe.

Kurze Verständnisfrage zur Windscherung:
Marco (Stettfurt) hat geschrieben:Scherungen sind beträchtlich, absolut gesehen um die 30 KT (6km-SFC), mit der Drehung von Bise auf SW in der Höhe besteht
durchaus das Potential für rotierende updrafts und Hagelzellen.
30 Knoten auf 500hpa sind m.E. nicht besonders gross, nicht null aber auch nicht beträchtlich. So ab 35 bis 40 Knoten würde ich rotierende Updrafts erwarten (als Untergrenze). Oder siehst du das anders?

Edit: Ich würde bei 30 Kn eher Multizellen erwarten.

Gruss Chris

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 09:39
von nordspot
Moin und merci@Marco für deine Einschätzungen.
Ja, gestern kams dann doch nicht ganz dazu, trotzdem auch hier ein Danke an Alle welche im Thread zum gestrigen Tag mitgewirkt haben, Man lernt durch diese Beiträge als Laie trotzdem immer dazu :up:
Zum heutigen Tag blasen UWZ, Keraunos und Estofex mehrheitlich ins gleiche Horn, ja Estofex hat sogar die West und Nordschweiz zusammen mit SW Deutschland und Ostfrankreich auf LVL 1 gesetzt. http://www.estofex.org/cgi-bin/polygon/ ... recast.xml
"Current thinking is that storms will start over eastern France and will spread into south-western and central Germany in the afternoon hours. With moderate vertical wind shear, well-organized multicells and a few supercells are not ruled out. The main threat will be large hail with these storms."
Die Fexler scheinen sich auch Gedanken zu Föhneinfluß gemacht zu haben, denn hier folgt eine zusätzliche bemerkung:
"In the evening hours, isolated storms may also develop further east along the northern Alps. These storms will also have a potential to produce large hail."
Also weiter östlich Richtung Bayern nur wenn der von Marco angesprochene Deckel geknackt wird.
Der Föhn wird heute zumindest was die Nordschweiz anbetrifft, das Zünglein auf der Waage bedeuten, vielleicht gibts dazu noch Überraschungen, bin sehr gespannt. Die Soundings von heut früh lassen noch keine Deckelung erahnen (wenn ich das richtig gedeutet hab) also warten wir ab, Nowcastday :)
(Hab übrigens vorhin auf dem Balkon die mit Tau glitzernden Spinnweben bewundert, ein gutes Zeichen)

Gespannte Grüße

Ralph

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 10:33
von Severestorms
Ja, Fokus könnte (Süd)westschweiz werden.

Wie schon von Marco aufgeführt passt es dort vermutlich am besten bezüglich Feuchte, Höhendivergenz und Bodenkonvergenz. Siehe dazu folgende Karten:

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Entsprechend werden auch deutliche Konvektionssignale gerechnet:

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PS: Die Karten sind allerdings mit etwas Vorsicht zu geniessen, da nicht mehr die neusten.

Gruss Chris

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 11:23
von Thomas, Belp
Federwolke hat geschrieben:Man darf allerdings die aktuelle Qualität der Karten in Frage stellen, hatten doch die Modelle selbst in den 0z-Läufen noch nichts von den Schauern in der zweiten Nachthälfte und am Morgen wissen wollen... :help:
COSMO hatte gestern Abend die Schauer für heute früh aber drin (zumindest für die Region Bern)!

Nicht aber die Durchhaltefähigkeit und Stärke des grösseren NS-Gebiets, das jetzt aus Südwesten heranzieht... Das wird gleich wieder nass hier.

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 12:57
von Federwolke
Es ist einfach nur noch jämmerlich, was die Modelle in letzter Zeit in der Kürzestfrist (!) abliefern. An solchen Tagen ist man als Meteorologe versucht zu fragen, wo der technische Fortschritt der letzten Jahre geblieben ist. Jedenfalls wird man den persönlichen Eindruck nicht los, man hätte vor 20 Jahren allein mit Boden- und Höhenkarte, Satellitenbild, Barometer, einem prüfenden Blick aus dem Fenster und etwas Hausverstand nicht die schlechteren Prognosen für die nächsten 12 Stunden hingekriegt :fluchen:

Gestern Abend hatte ich noch eine ganztägige Tour ins Seeland/Region Solothurn geplant. Heute früh (trotz "sonnig und trocken" in den Modellkarten) habe ich anhand von Satellitenfilm und Radar die Übung abgeblasen und schaue jetzt zu, wie es Bindfäden schüttet (an einem ordentlichen Gewitter hätte ich zumindest etwas Trost gefunden). Jetzt bleibt nur noch die Hoffnung auf etwas Besserung am späteren Nachmittag, aber erneut ist ein bürofreier Tag verloren. Ich habe zum Glück nicht gezählt der wievielte in den letzten 6 Wochen, ich würde wohl sonst sämtliche Haare verlieren... :-/

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 12:59
von Marco (Hemishofen)
30 Knoten auf 500hpa sind m.E. nicht besonders gross, nicht null aber auch nicht beträchtlich. So ab 35 bis 40 Knoten würde ich rotierende Updrafts erwarten (als Untergrenze). Oder siehst du das anders?
@ Chrigi: da hast du natürlich recht, 30 KT sind marginal für Superzellen. In unseren COSMO Karten ist 0-6 km windshear als
simple Differenz der absoluten Geschwindigkeitsbeträge, diese Grösse muss daher korrekterweise als BULK shear angesprochen werden.
Für 15 UTC zeigte der plot gerade so die 30 KT im Westen. Da aber zumindest in Teilen des Westschweiz, Jura und Juranordfuss
(vgl. aktuelle Grenchen Windprofilermessung) unterhalb des Deckels die Bise weht, dürfte die Vektordifferenz lokal
grössere Beträge aufweisen --> das entsprechende Signal im Helicity-plot bleibt nicht aus.

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Man darf gespannt sein auf den Hodographen in Payerne 12 UTC. Schade, dass genau dort die Bise im boundary layer schon schwächelt.
Auf jeden Fall kein big day für Superzellen sondern eben marginal, das schleckt keine Geiss weg, aber es muss ja auch nicht
jeder Tag die totale Verwüstung bringen ;)
Nicht aber die Durchhaltefähigkeit und Stärke des grösseren NS-Gebiets, das jetzt aus Südwesten heranzieht... Das wird gleich wieder nass hier.
@ Thomas: nur Geduld, das ist schnell vorüber und dann kommt die Sonne wieder. Mit gefallen die höheren Taupunkte
im zentralen und westlichen Mittelland, sowie konvergente das Windfeld, soweit alles plangemäss.

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Fantastisch anzusehen in den aktuellen Satellitenbildern (stv. MetOp 1030 UTC), wie sich das Benzin über dem Golfe du Lyon nach
Südfrankreich reinschleicht. Sehr viel Feuchtigkeit in der boundary layer, vor allem über Katalonien und den Balearen
und angrenzenden Gewässern, weiter östlich scheinbar etwas trockenere Luft (leider, das ist eher unsere Trajektorie).
Mit sea breaze dringt die Soosse westwärts ins Ebro-Delta, zwischen die Pforte Pyrenäen-Massif Central sowie das
Rhonetal hinauf zu uns. Die Schwerewellen ein sichtbares Zeichen für die stabile Schichtung an der Grenzschichtinversion,
der Deckel halt. Schade, dass das Mittelmeer im Frühjahr noch verhältnismässig kühl ist --> grosse CIN-Beträge, die es
zu überwinden gilt, was im WRF von der Modellzentrale.de schön simuliert wird:

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Bin gespannt, ob's für die BE-FR Fraktion etwas schönes zu knipsen gibt heute, wer ist unterwegs?

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 13:09
von Marco (Hemishofen)
Es ist einfach nur noch jämmerlich, was die Modelle in letzter Zeit in der Kürzestfrist (!) abliefern.
@ Fabienne: du darfst nur deine Ansprüche nicht zu hoch ansetzen, dann kannst du Freude an Modellrechnungen haben.
Den Stuhl etwas weiter vom Bildschirm weg rücken und die Augen etwas zukneifen, und schon stimmen die Prognosen ;)
In der Modellierer- und Verifikatoren-Terminologie nennt man des dann fachmännisch "upscaling" oder "fuzzy verification".

Re: Schauer/Gewitter 19.05.2012

Verfasst: Sa 19. Mai 2012, 13:11
von Federwolke
Mit gefallen die höheren Taupunkte im zentralen und westlichen Mittelland, sowie konvergente das Windfeld, soweit alles plangemäss.
Hehe, "plangemäss" alles etwa um 100 km nach Nordosten verschoben? Oder gleich alles neu geschüttelt statt gerührt?
Das aktuelle Regenband ist u.a. einem Vordringen des Bodenwindes aus SW geschuldet, man darf gespannt sein, wo die Konvergenz schlussendlich zu liegen kommt. Im Genferseebecken zieht jetzt die Bise an, in der Region Bern-Solothurn herrscht aber derzeit ein Windfedern-Mikado. Anstelle einer Konvergenz haben wir in einer Stunde in unserer Region möglicherweise eine Bodendivergenz ;-)