Das Klima am Welt-Wettertag, Interview mit Stephan Bader
Verfasst: Mi 23. Mär 2011, 10:13
Hoi zäme
Ich durfte kürzlich ein sehr interessantes Interview mit Stephan Bader, Klimatologe von Meteoschweiz führen. Der Text ist heute in der "Zürichsee-Zeitung" erschienen. Dem Forum möchte ich das Ganze natürlich nicht vorenthalten; vielleicht eine interessante Diskussionsgrundlage.
Quelle: http://www.zsz.ch/dossiers/serien.cfm?vSerie=wetter
Interview:
«Am Zürichsee sollte man auf Überschwemmungen vorbereitet sein»
Wetter. Nicht nur die Natur, auch der Mensch ist dafür verantwortlich, dass Unwetter immer grössere Schäden anrichten, sagt Klimatologe Stephan Bader. Und er räumt am heutigen Welt-Wettertag ein, dass seiner Wissenschaft Grenzen gesetzt sind.
Interview: Martin Steinegger
Es ist kein Zufall, dass sich Stephan Bader zum «ZSZ»-Fototermin einen verwitterten Baumstumpf als Treffpunkt ausgesucht hat. Für den Klimatologen von Meteo Schweiz ist der Stumpf in einem Waldgebiet oberhalb seines Wohnortes Ürikon ein Mahnmahl für die unbändigen Kräfte der Natur. Hier tobte 1999 der Orkan «Lothar». Wer nun aber denkt, dass Stephan Bader solche Zerstörungen als Beweis für die Klimaerwärmung sieht, irrt. Die Klimaerwärmung an Extremereignissen festzumachen, sei ein Fehler, sagt er im Gespräch mit der «ZSZ» anlässlich des heutigen Welt-Wettertages.
Herr Bader, wo ist eigentlich die Klimaerwärmung geblieben? Die Winter sind immer noch kalt, und im Sommer regnet es dauernd.
Stephan Bader: Ja, das höre ich häufig. Und ich sage trotzdem: Wir leben heute unter anderen Klimaverhältnissen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Klimaänderung ist keine Vision der Zukunft, sie hat bereits stattgefunden.
Woran merkt man das?
An den Temperaturen. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt in der Schweiz heute 1,6 Grad höher als Ende des 19. Jahrhunderts. Was auffällt, ist, dass wir eine Erwärmung in allen vier Jahreszeiten feststellen: Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Wie können Sie das so genau wissen?
Weil wir bei den Temperaturen über sehr weit zurückreichende Messreihen verfügen. Die Temperaturentwicklung in der Schweiz ist über die letzten 150 Jahre gut aufgearbeitet.
Wie gross ist das menschliche Verschulden an dieser Erwärmung?
Wir gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Erwärmung dem menschlichen Einfluss zuzuordnen ist: Also 0,8 Grad.
Und die andere Hälfte?
Die geht auf Kosten der Natur. In den letzten 150 Jahren hat sich das Klima in der Schweiz auch ohne Zutun des Menschen erwärmt. Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte in Europa eine ausgeprägte Kaltphase, das letzte Aufbäumen der sogenannten kleinen Eiszeit. Diese Kaltphase musste irgendwann zu Ende gehen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts reden wir von einer natürlichen Erwärmung. Erst dann, mit der immer stärker voranschreitenden Industrialisierung, kam der spürbare menschliche Einfluss dazu.
Wenn es wärmer geworden ist, wieso erlebten wir in den letzten Jahren dennoch immer wieder kalte Winter?
Weil sich die Klimaerwärmung nicht mit dem Verlauf einzelner Jahreszeiten oder mit einzelnen Wetterereignissen in Verbindung bringen lässt. Der Sturm Lothar 1999, der Hitzesommer 2003 in Mitteleuropa oder einige aussergewöhnlich milde oder kalte Winter bei uns sind keine klaren Zeichen für die Klimaerwärmung.
Die Winter werden also auch künftig kalt bleiben?
Es wird weiterhin milde und kalte Winter geben. Primär verantwortlich für unser Wetter sind die grossräumigen Strömungsverhältnisse in der Atmosphäre. Und die stellen sich nicht einfach so um. Die Wetterlagen bleiben trotz Klimaerwärmung dieselben: Kommt die Luft aus Sibirien, ist sie kalt, kommt sie vom Mittelmeer, ist sie mild. Möglich ist aber, dass sich alles künftig auf einem grundlegend erhöhten Temperaturniveau abspielen wird.
Aber wie muss man nun Wetter-Extreme einordnen?
Extreme Wetterereignisse sind seit jeher Teil unserer Natur. Historische Aufzeichnungen aus vergangenen Jahrhunderten zeigen auf, dass extreme Wetterereignisse in der Schweiz oft gehäuft auftraten und sich dann wieder längere ruhige Phasen einstellen. So war das 20. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte eher ereignisarm und erst gegen Ende unwetteraktiv.
Liest man die Schlagzeilen, entsteht aber häufig ein anderer Eindruck.
Das ist aber eher ein Effekt des heutigen Informationsflusses. So wird mit viel Dramatik über jeden Wirbelsturm berichtet, aber kaum je erwähnt, dass diese Ereignisse zur normalen Klimatologie gehören. Es entsteht der Eindruck, dass alles immer schlimmer wird, was aber nicht stimmt. Zwar nehmen die Schäden bei Unwettern zu – daran ist der Mensch aber in erster Linie selber schuld. Wir bauen heute Häuser und Siedlungen an Orten, an denen man gar nicht bauen sollte.
Man kann also nicht sagen, dass es wegen der Klimaerwärmung künftig häufiger stärkere Unwetter geben wird?
Nein, so absolut kann man das nicht sagen. Aber: In einer wärmeren Atmosphäre ist auch mehr Energie vorhanden. Das können wir heute bereits nachweisen. Die sommerliche Gewitterenergie in den Luftmassen hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Wir bezeichnen diese Energie als Cape (Convective Available Potential Energy). Dieses Cape sagt zwar nichts darüber aus, wie häufig starke Gewitter auftreten werden. Es ist aber ein Indiz dafür, dass in der Luft mehr «Nahrung» für Unwetter vorhanden ist. Damit steigt auch das Risiko für grosse Schäden.
Das alles klingt so, als ob die Wissenschaft beim Wetter und beim Klima nach wie vor vieles nicht versteht.
Wetter und Klima sind chaotische Systeme. Wir versuchen, diese Systeme mit Computersimulationen in den Griff zu bekommen. Die Wetterprognosen können wir dadurch einige Tage im Voraus erstellen, je nach Wetterlage. Aber dann nehmen die Unsicherheiten und Probleme zu. Bei der Berechnung des Wetters eine Woche im Voraus sind wir schon im Bereich von Wahrscheinlichkeiten. Und die Abschätzung des künftigen Klimas in 50 oder 100 Jahren wird wohl immer mit grossen Unsicherheiten verbunden sein.
Dennoch wird mit viel Aufwand versucht, die Klimazukunft zu berechnen.
Und das ist auch gut so. Das Thema ist zu ernst, als dass man nicht versuchen müsste, drohende Szenarien zu ermitteln. Allerdings sollte man sich stets bewusst sein, dass Wetter- und Klimaprognosen reine Empfehlungen sind. Die Leute dürfen nicht den Anspruch haben, dass ihnen die Meteorologen auf Wochen, Monate oder Jahre hinaus sagen können, wie das tatsächliche Wetter wird. Das ist unmöglich.
Sie leben in Uerikon. Hier am Zürichsee hat man das Gefühl, einigermassen sicher zu sein vor Unwettern und den Kräften der Natur. Stimmt das?
Der Zürichsee ist sicher weniger den Naturkräften ausgesetzt als andere Regionen, beispielsweise in den Alpen. Wenn man aber in den Chroniken zurückgeht, dann findet man heraus, dass auch am Zürichsee schon extreme Unwetter getobt haben. In den vergangenen Jahrhunderten gab es zum Beispiel mehrmals gigantische Hagelzüge, die fast alles kaputtgeschlagen haben. Was damals passiert ist, kann wieder passieren. Die Zürichseeregion ist wegen ihrer Nähe zu den Voralpen prädestiniert für schwere Gewitter. Und vor allem auf Überschwemmungen sollte man vorbereitet sein.
Droht unserer Region durch die Klimaerwärmung eine Verstärkung dieser Gefahren?
Das ist möglich. Ich denke, was man sagen kann, ist, dass die Region Zürichsee, genauso wie der gesamte Voralpenraum, künftig wohl am ehesten ein Problem mit dem Wasser bekommen könnte – und zwar nicht mit zu wenig, sondern mit zu viel Wasser.
Ich durfte kürzlich ein sehr interessantes Interview mit Stephan Bader, Klimatologe von Meteoschweiz führen. Der Text ist heute in der "Zürichsee-Zeitung" erschienen. Dem Forum möchte ich das Ganze natürlich nicht vorenthalten; vielleicht eine interessante Diskussionsgrundlage.
Quelle: http://www.zsz.ch/dossiers/serien.cfm?vSerie=wetter
Interview:
«Am Zürichsee sollte man auf Überschwemmungen vorbereitet sein»
Wetter. Nicht nur die Natur, auch der Mensch ist dafür verantwortlich, dass Unwetter immer grössere Schäden anrichten, sagt Klimatologe Stephan Bader. Und er räumt am heutigen Welt-Wettertag ein, dass seiner Wissenschaft Grenzen gesetzt sind.
Interview: Martin Steinegger
Es ist kein Zufall, dass sich Stephan Bader zum «ZSZ»-Fototermin einen verwitterten Baumstumpf als Treffpunkt ausgesucht hat. Für den Klimatologen von Meteo Schweiz ist der Stumpf in einem Waldgebiet oberhalb seines Wohnortes Ürikon ein Mahnmahl für die unbändigen Kräfte der Natur. Hier tobte 1999 der Orkan «Lothar». Wer nun aber denkt, dass Stephan Bader solche Zerstörungen als Beweis für die Klimaerwärmung sieht, irrt. Die Klimaerwärmung an Extremereignissen festzumachen, sei ein Fehler, sagt er im Gespräch mit der «ZSZ» anlässlich des heutigen Welt-Wettertages.
Herr Bader, wo ist eigentlich die Klimaerwärmung geblieben? Die Winter sind immer noch kalt, und im Sommer regnet es dauernd.
Stephan Bader: Ja, das höre ich häufig. Und ich sage trotzdem: Wir leben heute unter anderen Klimaverhältnissen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Klimaänderung ist keine Vision der Zukunft, sie hat bereits stattgefunden.
Woran merkt man das?
An den Temperaturen. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt in der Schweiz heute 1,6 Grad höher als Ende des 19. Jahrhunderts. Was auffällt, ist, dass wir eine Erwärmung in allen vier Jahreszeiten feststellen: Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Wie können Sie das so genau wissen?
Weil wir bei den Temperaturen über sehr weit zurückreichende Messreihen verfügen. Die Temperaturentwicklung in der Schweiz ist über die letzten 150 Jahre gut aufgearbeitet.
Wie gross ist das menschliche Verschulden an dieser Erwärmung?
Wir gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Erwärmung dem menschlichen Einfluss zuzuordnen ist: Also 0,8 Grad.
Und die andere Hälfte?
Die geht auf Kosten der Natur. In den letzten 150 Jahren hat sich das Klima in der Schweiz auch ohne Zutun des Menschen erwärmt. Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte in Europa eine ausgeprägte Kaltphase, das letzte Aufbäumen der sogenannten kleinen Eiszeit. Diese Kaltphase musste irgendwann zu Ende gehen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts reden wir von einer natürlichen Erwärmung. Erst dann, mit der immer stärker voranschreitenden Industrialisierung, kam der spürbare menschliche Einfluss dazu.
Wenn es wärmer geworden ist, wieso erlebten wir in den letzten Jahren dennoch immer wieder kalte Winter?
Weil sich die Klimaerwärmung nicht mit dem Verlauf einzelner Jahreszeiten oder mit einzelnen Wetterereignissen in Verbindung bringen lässt. Der Sturm Lothar 1999, der Hitzesommer 2003 in Mitteleuropa oder einige aussergewöhnlich milde oder kalte Winter bei uns sind keine klaren Zeichen für die Klimaerwärmung.
Die Winter werden also auch künftig kalt bleiben?
Es wird weiterhin milde und kalte Winter geben. Primär verantwortlich für unser Wetter sind die grossräumigen Strömungsverhältnisse in der Atmosphäre. Und die stellen sich nicht einfach so um. Die Wetterlagen bleiben trotz Klimaerwärmung dieselben: Kommt die Luft aus Sibirien, ist sie kalt, kommt sie vom Mittelmeer, ist sie mild. Möglich ist aber, dass sich alles künftig auf einem grundlegend erhöhten Temperaturniveau abspielen wird.
Aber wie muss man nun Wetter-Extreme einordnen?
Extreme Wetterereignisse sind seit jeher Teil unserer Natur. Historische Aufzeichnungen aus vergangenen Jahrhunderten zeigen auf, dass extreme Wetterereignisse in der Schweiz oft gehäuft auftraten und sich dann wieder längere ruhige Phasen einstellen. So war das 20. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte eher ereignisarm und erst gegen Ende unwetteraktiv.
Liest man die Schlagzeilen, entsteht aber häufig ein anderer Eindruck.
Das ist aber eher ein Effekt des heutigen Informationsflusses. So wird mit viel Dramatik über jeden Wirbelsturm berichtet, aber kaum je erwähnt, dass diese Ereignisse zur normalen Klimatologie gehören. Es entsteht der Eindruck, dass alles immer schlimmer wird, was aber nicht stimmt. Zwar nehmen die Schäden bei Unwettern zu – daran ist der Mensch aber in erster Linie selber schuld. Wir bauen heute Häuser und Siedlungen an Orten, an denen man gar nicht bauen sollte.
Man kann also nicht sagen, dass es wegen der Klimaerwärmung künftig häufiger stärkere Unwetter geben wird?
Nein, so absolut kann man das nicht sagen. Aber: In einer wärmeren Atmosphäre ist auch mehr Energie vorhanden. Das können wir heute bereits nachweisen. Die sommerliche Gewitterenergie in den Luftmassen hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Wir bezeichnen diese Energie als Cape (Convective Available Potential Energy). Dieses Cape sagt zwar nichts darüber aus, wie häufig starke Gewitter auftreten werden. Es ist aber ein Indiz dafür, dass in der Luft mehr «Nahrung» für Unwetter vorhanden ist. Damit steigt auch das Risiko für grosse Schäden.
Das alles klingt so, als ob die Wissenschaft beim Wetter und beim Klima nach wie vor vieles nicht versteht.
Wetter und Klima sind chaotische Systeme. Wir versuchen, diese Systeme mit Computersimulationen in den Griff zu bekommen. Die Wetterprognosen können wir dadurch einige Tage im Voraus erstellen, je nach Wetterlage. Aber dann nehmen die Unsicherheiten und Probleme zu. Bei der Berechnung des Wetters eine Woche im Voraus sind wir schon im Bereich von Wahrscheinlichkeiten. Und die Abschätzung des künftigen Klimas in 50 oder 100 Jahren wird wohl immer mit grossen Unsicherheiten verbunden sein.
Dennoch wird mit viel Aufwand versucht, die Klimazukunft zu berechnen.
Und das ist auch gut so. Das Thema ist zu ernst, als dass man nicht versuchen müsste, drohende Szenarien zu ermitteln. Allerdings sollte man sich stets bewusst sein, dass Wetter- und Klimaprognosen reine Empfehlungen sind. Die Leute dürfen nicht den Anspruch haben, dass ihnen die Meteorologen auf Wochen, Monate oder Jahre hinaus sagen können, wie das tatsächliche Wetter wird. Das ist unmöglich.
Sie leben in Uerikon. Hier am Zürichsee hat man das Gefühl, einigermassen sicher zu sein vor Unwettern und den Kräften der Natur. Stimmt das?
Der Zürichsee ist sicher weniger den Naturkräften ausgesetzt als andere Regionen, beispielsweise in den Alpen. Wenn man aber in den Chroniken zurückgeht, dann findet man heraus, dass auch am Zürichsee schon extreme Unwetter getobt haben. In den vergangenen Jahrhunderten gab es zum Beispiel mehrmals gigantische Hagelzüge, die fast alles kaputtgeschlagen haben. Was damals passiert ist, kann wieder passieren. Die Zürichseeregion ist wegen ihrer Nähe zu den Voralpen prädestiniert für schwere Gewitter. Und vor allem auf Überschwemmungen sollte man vorbereitet sein.
Droht unserer Region durch die Klimaerwärmung eine Verstärkung dieser Gefahren?
Das ist möglich. Ich denke, was man sagen kann, ist, dass die Region Zürichsee, genauso wie der gesamte Voralpenraum, künftig wohl am ehesten ein Problem mit dem Wasser bekommen könnte – und zwar nicht mit zu wenig, sondern mit zu viel Wasser.