Atlantik-Blockade, Januar bis Juni 2010
Verfasst: Do 20. Mai 2010, 15:29
Hoi zäme
Im Thread über die bisherige Mai-Witterung kam die auffällige Erhaltungsneigung zur Sprache, welche unser Wetter im Prinzip seit Jahresbeginn prägt. Vor allem eines sticht ins Auge: Die atlantische Westzirkulation, auch "Westrutsche" genannt, bei der Mitteleuropa grossflächig und lang anhaltend unter einer zonalen Strömung (also einer Westwindströmung) liegt, hat sich seit Januar mehr oder weniger aus unseren Breitengraden verabschiedet. Ich möchte dies zunächst anhand einer Analyse der Grosswetterlage seit Januar aufzeigen. Anschliessend können wir hoffentlich gemeinsam über die möglichen Ursachen (von NOA-Index bis El Nino) und die mögliche künftige Entwicklung diskutieren.
Drehen wir das Rad der Zeit etwas zurück.
Beim Blick auf die Grosswetterlage vom 1. Januar 2010 fällt auf, dass Mitteleuropa unter einem massiven Höhentrog liegt. Diese Ausbuchtung mit tiefem Geopotenzial wird in der 500hpa-Karte vor allem anhand der Färbung erkennbar: Je dunkler und kühler die Farbtöne desto tiefer das Geopotenzial. Ein guter Ansatz zur Trennung der zirkulierenden Luftmassen ist die Polarfront. Sie trennt einfach gesagt die kühl-trockenen Polaren Luftmassen von den warm-feuchten Subtropischen Luftmassen. In der Karte ist die Polarfront durch die dicke schwarze Linie gekennzeichnet (552er Linie).
Über Sibieren und dem Nordatlantik liegen Gebiete hohen Luftdrucks, am südlichen Rand des Höhentroges über Mitteleuropa drehen sich im Übergangsbereich der beiden erwähnten Primärluftmassen typischerweise Bodentiefs ein.

Wenn wir nun das Rad der Zeit vorwärts drehen merken wir, dass sich an dieser Ausgangslage in den kommenden Tagen mehr oder weniger gar nichts ändert. Die Konstellation nuanciert zwar, sie bleibt in den groben Zügen aber erhalten: Austrogung über Mitteleuropa, hoher Luftdruck über Nordatlantik und Sibieren, Tiefdruckbildung am Südrand des Troges:

Auf Mitte Januar ändert sich die Konstellation insofern, dass sich über Nordeuropa hoher Luftdruck breit macht. Gleichzeitig kommt die Westwindzirkulation über dem Atlantik etwas stärker in Fahrt.

An der Blockade-Situation über Mitteleuropa ändert sich deswegen aber wenig. Das mächtige Hochdruckgebiet über Nordeuropa verhindert ein Ausgreifen der westlichen Strömung auf unsere Breitengrade.

Erst nach Monatsmitte wird der Block ansatzweise durchbrochen. Auch hier würde ich aber eher von einem Streifschuss reden, weil sich in der Folge rasch wieder hoher Luftdruck über unseren Köpfen etabliert.


Dieses Spiel wiederholt sich in der Folge grob betrachtet fast im Copy-Paste-Stil. Natürlich gibt es Nuancen: So liegt der Trog nun bsp. etwas weiter östlich. Vergleicht man aber die Situation auf der 500er Karte am 25. Januar mit jener am 1. Januar mit leicht zugekniffenen Augen, dann wird man unschwer feststellen, dass sich an der Ausgangslage eigentlich relativ wenig geändert hat: Trog in der Mitte, flache Hochdruckrinne über dem Atlantik, Hochdruck über Sibirien.

Gegen Ende des Monats erscheint es dann so, als ob die grossräumige Zirkulation entgültig wieder in ihren Zustand vom Monatsbeginn zurückkehren wollte: Klassischer Höhentrog Mitteleuropa, der Atlantik ist blockiert. Ein Schachspieler würde sich angesichts dieser Konstellation wohl verwundert die Augen reiben: Sämtliche Figuren sind wieder auf ihre anfänglichen Felder zurückgekehrt.

Und wie es danach weiterging? Ich denke dass könnt ihr euch vorstellen. Die Austrogung über Mitteleuropa, resp. die weitgehende atlantische Blockade war auch im Februar DAS dominierende Element. Gegen Ende Februar sah es kurzzeitig danach aus, als ob sich die Westwinddrift würde durchsetzen können. Bereits Anfang März kehrte die Grosswetterlage aber wieder in den bekannten Zustand zurück:


Wobei man ehrlicherweise zugeben muss, dass der März bezüglich dieses Themas noch jener Monat war, der die grössten Ausreisser hinlegte. Man darf sagen, dass es etwa ab dem 18. März erstmals seit langem wieder eine schöne WLA über Mitteleuropa gab und sich danach für gewisse Zeit einige Tiefdruckgebiete die Klinke in die Hand gaben.

Bereits im April wars dann aber wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Wieder etablierte sich das bereits bekannte Spiel: Austrogung über Mitteleuropa, hoher Luftdruck über dem Nordatlantik, hoher Luftdruck über Sibirien. Zu diesem Zeitpunkt durfte man sich bereits berechtigterweise Fragen, wo denn in diesem Winter eigentlich die berüchtigten "Winterstürme" geblieben waren. Die Antwort zeigt stellvertretend das Bild vom 10. April. Die "Stürme" taten das, was sie mehr oder weniger bereits seit Januar getan hatten: Ferien machen hinter dem atlantischen Hochdruckwall...

In der weiteren Phase sah es kurzzeitig erneut so aus, als ob sich einmal eine Westzirkulation einstellen könnte. Allerdings wurde um die Monatsmitte schnell klar, dass es erneut nur ein Streifschuss werden würde. Auf Anfang Mai besannen sich die Figuren auf dem Schachbrett wieder ihrer Anfänge und kehrten mehr oder weniger an den Start zurück...

Und wo stehen wir heute? Nun, in den kommenden Tagen bricht wohl (endlich) der Frühling aus. Von Westen her stösst ein Keil nach Mitteleuropa vor, gestützt durch die WLA eines atlantischen Langwellentroges. Bevor jetzt aber der Jubel ausbricht würde ich mir nochmals die Situationen der vergangenen paar Monate vor Augen führen. Der Atlantik dürfte nämlich auch bei dieser Entwicklung früher oder später auf der Strecke bleiben, weil sich wohl erneut eine Hochdruckbrücke quer über den Nordatlantik legen wird und somit das Potenzial für neuerliche Kaltluftvorstösse aus nördlicher oder nordöstlicher Richtung eröffnet. Ob und wie das so passieren wird sei mal dahingestellt.

Eines ist aber weit und breit nirgendwo zu erkennen: Die "Westrutsche"...
Die Frage ist nun: Was sind die Gründe für diese permanente Aussparung der Westwindzirkulation aus unseren Breitengraden? Wieso regenerierte sich diese Wetterlage in den letzten vier bis fünf Monaten derart hartnäckig immer und immer wieder? Und was bedeutet das für unseren Sommer?
Im Thread über die bisherige Mai-Witterung kam die auffällige Erhaltungsneigung zur Sprache, welche unser Wetter im Prinzip seit Jahresbeginn prägt. Vor allem eines sticht ins Auge: Die atlantische Westzirkulation, auch "Westrutsche" genannt, bei der Mitteleuropa grossflächig und lang anhaltend unter einer zonalen Strömung (also einer Westwindströmung) liegt, hat sich seit Januar mehr oder weniger aus unseren Breitengraden verabschiedet. Ich möchte dies zunächst anhand einer Analyse der Grosswetterlage seit Januar aufzeigen. Anschliessend können wir hoffentlich gemeinsam über die möglichen Ursachen (von NOA-Index bis El Nino) und die mögliche künftige Entwicklung diskutieren.
Drehen wir das Rad der Zeit etwas zurück.
Beim Blick auf die Grosswetterlage vom 1. Januar 2010 fällt auf, dass Mitteleuropa unter einem massiven Höhentrog liegt. Diese Ausbuchtung mit tiefem Geopotenzial wird in der 500hpa-Karte vor allem anhand der Färbung erkennbar: Je dunkler und kühler die Farbtöne desto tiefer das Geopotenzial. Ein guter Ansatz zur Trennung der zirkulierenden Luftmassen ist die Polarfront. Sie trennt einfach gesagt die kühl-trockenen Polaren Luftmassen von den warm-feuchten Subtropischen Luftmassen. In der Karte ist die Polarfront durch die dicke schwarze Linie gekennzeichnet (552er Linie).
Über Sibieren und dem Nordatlantik liegen Gebiete hohen Luftdrucks, am südlichen Rand des Höhentroges über Mitteleuropa drehen sich im Übergangsbereich der beiden erwähnten Primärluftmassen typischerweise Bodentiefs ein.

Wenn wir nun das Rad der Zeit vorwärts drehen merken wir, dass sich an dieser Ausgangslage in den kommenden Tagen mehr oder weniger gar nichts ändert. Die Konstellation nuanciert zwar, sie bleibt in den groben Zügen aber erhalten: Austrogung über Mitteleuropa, hoher Luftdruck über Nordatlantik und Sibieren, Tiefdruckbildung am Südrand des Troges:

Auf Mitte Januar ändert sich die Konstellation insofern, dass sich über Nordeuropa hoher Luftdruck breit macht. Gleichzeitig kommt die Westwindzirkulation über dem Atlantik etwas stärker in Fahrt.

An der Blockade-Situation über Mitteleuropa ändert sich deswegen aber wenig. Das mächtige Hochdruckgebiet über Nordeuropa verhindert ein Ausgreifen der westlichen Strömung auf unsere Breitengrade.

Erst nach Monatsmitte wird der Block ansatzweise durchbrochen. Auch hier würde ich aber eher von einem Streifschuss reden, weil sich in der Folge rasch wieder hoher Luftdruck über unseren Köpfen etabliert.


Dieses Spiel wiederholt sich in der Folge grob betrachtet fast im Copy-Paste-Stil. Natürlich gibt es Nuancen: So liegt der Trog nun bsp. etwas weiter östlich. Vergleicht man aber die Situation auf der 500er Karte am 25. Januar mit jener am 1. Januar mit leicht zugekniffenen Augen, dann wird man unschwer feststellen, dass sich an der Ausgangslage eigentlich relativ wenig geändert hat: Trog in der Mitte, flache Hochdruckrinne über dem Atlantik, Hochdruck über Sibirien.

Gegen Ende des Monats erscheint es dann so, als ob die grossräumige Zirkulation entgültig wieder in ihren Zustand vom Monatsbeginn zurückkehren wollte: Klassischer Höhentrog Mitteleuropa, der Atlantik ist blockiert. Ein Schachspieler würde sich angesichts dieser Konstellation wohl verwundert die Augen reiben: Sämtliche Figuren sind wieder auf ihre anfänglichen Felder zurückgekehrt.

Und wie es danach weiterging? Ich denke dass könnt ihr euch vorstellen. Die Austrogung über Mitteleuropa, resp. die weitgehende atlantische Blockade war auch im Februar DAS dominierende Element. Gegen Ende Februar sah es kurzzeitig danach aus, als ob sich die Westwinddrift würde durchsetzen können. Bereits Anfang März kehrte die Grosswetterlage aber wieder in den bekannten Zustand zurück:


Wobei man ehrlicherweise zugeben muss, dass der März bezüglich dieses Themas noch jener Monat war, der die grössten Ausreisser hinlegte. Man darf sagen, dass es etwa ab dem 18. März erstmals seit langem wieder eine schöne WLA über Mitteleuropa gab und sich danach für gewisse Zeit einige Tiefdruckgebiete die Klinke in die Hand gaben.

Bereits im April wars dann aber wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Wieder etablierte sich das bereits bekannte Spiel: Austrogung über Mitteleuropa, hoher Luftdruck über dem Nordatlantik, hoher Luftdruck über Sibirien. Zu diesem Zeitpunkt durfte man sich bereits berechtigterweise Fragen, wo denn in diesem Winter eigentlich die berüchtigten "Winterstürme" geblieben waren. Die Antwort zeigt stellvertretend das Bild vom 10. April. Die "Stürme" taten das, was sie mehr oder weniger bereits seit Januar getan hatten: Ferien machen hinter dem atlantischen Hochdruckwall...

In der weiteren Phase sah es kurzzeitig erneut so aus, als ob sich einmal eine Westzirkulation einstellen könnte. Allerdings wurde um die Monatsmitte schnell klar, dass es erneut nur ein Streifschuss werden würde. Auf Anfang Mai besannen sich die Figuren auf dem Schachbrett wieder ihrer Anfänge und kehrten mehr oder weniger an den Start zurück...

Und wo stehen wir heute? Nun, in den kommenden Tagen bricht wohl (endlich) der Frühling aus. Von Westen her stösst ein Keil nach Mitteleuropa vor, gestützt durch die WLA eines atlantischen Langwellentroges. Bevor jetzt aber der Jubel ausbricht würde ich mir nochmals die Situationen der vergangenen paar Monate vor Augen führen. Der Atlantik dürfte nämlich auch bei dieser Entwicklung früher oder später auf der Strecke bleiben, weil sich wohl erneut eine Hochdruckbrücke quer über den Nordatlantik legen wird und somit das Potenzial für neuerliche Kaltluftvorstösse aus nördlicher oder nordöstlicher Richtung eröffnet. Ob und wie das so passieren wird sei mal dahingestellt.

Eines ist aber weit und breit nirgendwo zu erkennen: Die "Westrutsche"...
Die Frage ist nun: Was sind die Gründe für diese permanente Aussparung der Westwindzirkulation aus unseren Breitengraden? Wieso regenerierte sich diese Wetterlage in den letzten vier bis fünf Monaten derart hartnäckig immer und immer wieder? Und was bedeutet das für unseren Sommer?