«Mit den paar Statiönli der Meteo Schweiz...
Verfasst: Sa 3. Jun 2006, 16:07
...kann man nicht arbeiten»
Die Bauern bräuchten jetzt einige sonnige und trockene Tage, sagt Jörg Kachelmann, aber das sei nicht in Sicht. Mehr als das momentane Wetter interessiert den Meteorologen aber der Aufbau eines Schweizer Wetterstationen-Netzes, mit dem er in Kürze im Kanton Bern beginnen will – weil er das Angebot der Meteo Schweiz für absolut ungenügend hält.
«Bund»: Herr Kachelmann, was ist mit dem Wetter los?
Jörg Kachelmann: Es ist kalt. Die Temperaturen sind am untersten Ende dessen, was Anfang Juni möglich ist.
Aber nicht beunruhigend?
Eigentlich nicht – aber natürlich traurig für die Bauern, die bis jetzt weder Heu noch Silofutter noch irgendetwas anderes machen konnten. Wenn ich bei mir im Appenzellerland zum Fenster hinausschaue, ist alles weiss.
Können Sie den Bauern Hoffnung machen, dass sich das Wetter bessert?
Es wird wärmer, aber es sieht nicht nach einer stabilen Wetterlage mit anhaltend trockenem, warmem und sonnigem Wetter aus.
Für wie lange gilt diese Prognose?
Moment, ich schaue rasch auf meinen Computer. – Nach und nach geht es wieder Richtung 20 Grad. Die Bauern bräuchten jetzt aber zwei, drei Tage lang sonniges und vor allem durchgehend trockenes Wetter. In den nächsten fünf Tagen ist davon nichts zu sehen.
Auf wie weit hinaus sind denn Wetterprognosen heute möglich?
Grobe Trendmeldungen machen wir bis auf zehn Tage hinaus. Allerdings werden dann mit jedem Tag die Unsicherheiten grösser.
Es gibt auch ganz andere Prognosen. Der nasse Frühling deute auf einen schönen Sommer hin, heisst es etwa.
Das ist Mumpitz. Niemand weiss, wie der Sommer wird. Auf was man achten kann, ist die so genannte Siebenschläfer-Regel: Wenn das Wetter in der ersten Juliwoche stabil ist, ist die Wahrscheinlichkeit recht gross, dass in den übrigen Juliwochen auch stabiles Wetter herrscht. Aber jetzt sind wir noch nicht im Juli.
Diese erste Juliwoche wird also entscheidend.
Für den Juli. Die erste Juliwoche hat natürlich für das Feriengefühl eine besondere Bedeutung: Der Juni kann noch so sonnig und heiss sein, wenn es einen verregneten Juli gibt, haben die Leute das Gefühl, der ganze Sommer sei verregnet. Das Gleiche gilt auch umgekehrt: Der Juni kann noch so verregnet und kalt sein, wenn es im Juli heiss und schön ist, reden alle von einem super Sommer.
Vom Mai behaupten die Meteorologen, er sei überdurchschnittlich warm gewesen. Dabei war der Mai nass und kalt.
Er war überdurchschnittlich warm, aber weil das Monatsende extrem kalt war, erinnert man sich nicht mehr an die erste Maihälfte. Punkto Wetter ist das Erinnerungsvermögen gering. Wenn ich Sie frage, was vor zwei Wochen für Wetter war, haben Sie keine Ahnung.
Nicht schön, sonst wüsste ich es noch.
Nein, Sie wissen nicht mehr, was vor zwei Wochen war.
Jetzt hat der so genannte meteorologische Sommer begonnen. Was heisst das eigentlich?
Es ist nichts anderes als der Sommeranfang der Meteorologen: Wir machen Monats- und Jahreszeitenstatistiken. Würden wir mit den astronomischen Zeiten mitten in den Monaten rechnen, wäre das mühsam. Deshalb haben die Meteorologen einfach gesagt: Sommer ist bei uns vom 1. Juni bis 31. August. Wieso es dann aber in den Zeitungen immer heisst, der 1. Juni sei der meteorologische Sommeranfang, habe ich nie verstanden.
Sie haben in Deutschland gegen 500 Wetterstationen aufgebaut. Wie man hört, haben Sie Pläne für ein Netz in der Schweiz.
Ja, weil das Netz der Meteo Schweiz völlig ungenügend ist. Zählen wir im Kanton Bern die Stationen auf, wo wenigstens Temperatur, Wind, Niederschlag und Sonne gemessen werden – vergessen wir also den Bantiger, der nur Wind und Temperatur registriert. Der Kanton Bern besteht beim staatlichen Netz lediglich aus Bern-Liebefeld, Interlaken, Adelboden und Grimsel – mehr gibt es nicht.
Reicht das nicht aus?
Das ist viel zu wenig. Es gibt in der Meteorologie eine wichtige Regel: Lokale Prognosen sind nur dann möglich, wenn auch lokal gemessen wird. Unsere Firma betreibt schon ein paar Stationen: Niesen, Mülenen, Lauberhorn und Wengen. Die Stationen brauchen wir unter anderem, um die Prognosen fürs Lauberhorn-Rennen zu machen, bei dem der Guggi-Föhn eine grosse Rolle spielt. Nur wir wissen dank diesen konstanten Messungen, wann der Guggi-Föhn kommt.
Wenn Sie jetzt weitere Messstationen aufbauen wollen, wollen Sie offenbar über mehr als nur den Guggi-Föhn Bescheid wissen.
Ja. Fragen Sie irgendwelche Meteorologen, ob es in Eggiwil im Emmental oder im Kemmeribodenbad einen Föhnsturm gibt. Es gibt in der Schweiz zwar lustige Blinklichter an Seeufern. Die blinken bereits ab einer Windstärke von 40 Kilometern pro Stunde . . .
. . . also beim besten Segelwetter.
Richtig. Die Leute an diesen Seen werden ab Windstärken von 40 Kilometern pro Stunde gewarnt. Nicht so, wenn es in den Berner Voralpen- und Alpentälern einen Föhnsturm mit Windgeschwindigkeiten von 100 und 120 Kilometern pro Stunde gibt. Niemand wird in Röthenbach im Emmental, in der Lenk, im Simmental oder in Frutigen vor einem Föhnsturm gewarnt. Kein Mensch weiss, was in diesen Tälern eigentlich passiert. Diesen Zustand wollen wir ändern.
Haben Sie für einen solchen Dienst schon potenzielle Kunden?
Nein. Zuerst einmal platzieren wir in den Voralpen und Alpen 200 Wetterstationen. Wir wollen zunächst die Voraussetzungen dafür schaffen, anständige Arbeit leisten zu können. Angesichts der schwierigen Topografie ist das Schweizer Wetterstationen-Netz auf dem Stand eines Drittweltlandes.
Sie haben sich seinerzeit mit dem Deutschen Wetterdienst angelegt, jetzt machen Sie offenbar das Gleiche mit Meteo Schweiz.
Ich kann doch nichts dafür, dass Meteo Schweiz ihre zig Millionen Franken nicht für etwas Sinnvolles ausgibt. Fragen Sie die Leute in den Voralpen- und Alpentälern, ob sie jemals vernünftig vor einem Föhnsturm gewarnt wurden. Noch nie, werden die antworten. Die Leute dürfen nur beim Satz in der Wetterprognose «in den Alpentälern zum Teil Föhn» darüber rätseln, ob sie zum Teil mit oder ohne Föhn gehören.
Mit anderen Worten: Bei Meteo Schweiz gibt es in dieser Beziehung schwere Unterlassungssünden.
Nochmals: Es gibt einen weltweiten Konsens darüber, dass es für lokale Prognosen lokale Messungen braucht. Mit den paar Statiönli der Meteo Schweiz kann man nicht arbeiten.
Wenn in Zeitungen Prognosen fürs Lokalwetter gemacht werden – mit Wolken und Sonnen in schönen Grafiken –, ist das also nichts wert?
Nein. Da wird aus dem Bauch heraus gerätselt.
Und Sie möchten das jetzt ändern?
Ja, wir nehmen für die Messstationen ein paar 100 000 Franken in die Hand. Wenn der Staat nicht macht, was er eigentlich tun sollte, kann ich als private Firma, die keine Steuergelder bekommt, nicht darüber jammern, sondern muss es selber machen.
Sind Sie denn so sicher, dass Meteo Schweiz nicht auch plant, mehr Messstationen zu betreiben?
Was die im Sinn haben, weiss ich nicht. Ich habe gehört, dass Meteo Schweiz Geld ausgibt, um Kameras aufzustellen. Das ist aus dem Fenster hinausgeworfenes Geld. Webcams gibt es schon zuhauf, und Kameras zeigen nur, wie das Wetter im Moment ist. Für die Prognose bringt das nichts, dafür braucht es Messungen.
Und die können tatsächlich nur Sie anbieten?
Nochmals: Mit Bern, Interlaken, Adelboden und Grimsel kann man für den Kanton Bern keine seriöse Meteorologie betreiben, auch nicht mit Computermodellen, wie Ihnen vielleicht einige Leute beibringen wollen. Wir selber haben das feinmaschigste Computermodell, das es gibt, feinmaschiger als das von Meteo Schweiz. Aber dieses Modell muss durch Werte am Boden gefüttert werden. Wenn nicht, ist das schönste Modell nichts wert.
Es ist schwer zu glauben, dass Sie ein Netz aufbauen, ohne schon potenzielle Kunden im Auge zu haben.
Ich will die Voraussetzungen für eine seriöse Meteorologie in der Schweiz schaffen. Dass man auf dieser Basis vielleicht später etwas aufbauen kann, ist denkbar, aber im Moment kein Thema. Es ist zunächst eine grosse Arbeit, in der Schweiz 200 Wetterstationen zu verteilen.
Wie schwierig war es, Gemeinden zu finden?
Das weiss ich noch nicht. Die erste Station bauen wir vermutlich Mitte Juni beim Hotel Kemmeribodenbad, danach kontaktieren wir weitere Gemeinden – und nach diesem Interview kommen vielleicht auch Gemeinden auf uns zu, weil Wetterstationen auch für sie nützlich sind, für den Winterdienst und den Tourismus. Wir schenken diesen Gemeinden etwas und hoffen also, interessierte Gemeinden zu finden.
Wetterstationen informieren doch nur darüber, wie das Wetter im Moment ist.
So ist es nicht. Die genauste Prognose ergibt sich aus einer Kombination der Statistik einer Wetterstation mit dem Computermodell. Das heisst: Bevor eine Prognose möglich wird, muss eine Zeit lang gemessen werden. Nach einem Jahr im Kemmeribodenbad erzähle ich Ihnen ganz viel über Berg- und Talwind sowie Föhnstürme und Neuschneemengen dort oben.
Dass Sie diese Investition ohne Aussicht auf Kunden machen, heisst doch, dass Ihre Firma floriert.
Ja. Wir sind inzwischen 100 Leute und gross genug, um solche Investition zu leisten. Wir möchten langfristig für die Schweiz etwas Ähnliches anbieten wie schon für Deutschland und Österreich, etwas, das die Menschen in den Voralpen und Alpen nicht vergisst. Der Kanton Bern ist mehr als die Agglomeration Bern.
Geht es Ihnen so gut, weil Sie beim ARD-Fernsehen die Wetterprognosen machen?
Nein, die ARD haben wir schon lange, und wir sind auch in vielen dritten Programmen zu sehen. Es geht uns gut, weil wir diversifiziert haben. Wir haben eine erfolgreiche Tochter in Wien und mit weather.us auch ein amerikanisches Internet-Unternehmen, das sehr schnell wächst. Wir machen also auch viel ausserhalb des Medienbereichs.
Was sind das für Aufträge?
Zusammenarbeit mit Versicherungen, vor allem auf dem Gebiet von Unwetterwarnungen in Deutschland und Österreich, Zusammenarbeit mit Energiefirmen, die wissen wollen, ob sich ihr Stausee füllt und ob sie Strom zukaufen müssen oder verkaufen können. Alle Formen von Wetterprognosen für alle wirtschaftlichen Bereiche.
Und Sie selber moderieren weiter eine Talk-Show?
Nur ungefähr sechsmal pro Jahr «Kachelmanns Spätausgabe» auf dem Mitteldeutschen Rundfunk.
Hat es nie Protest gegeben, weil die Wettersendung der ARD aus dem Appenzellerland kommt?
Da sind die Deutschen sehr tolerant. Dank unserem dichten Netz an Wetterstationen weiss auch niemand mehr über Deutschland als wir. Peinlich wäre es, wenn wir auf einer Appenzeller Wiese stünden, die dortige Temperatur im Fernsehen zeigten und hofften, dass das für Deutschland von Bedeutung wäre. Sehr lustig, dass bei uns der Nation permanent die Temperatur auf einem Zürcher Vorort-Hochhaus aufgedrängt wird, die für 99,9 Prozent der Bevölkerung nicht stimmt. Wir glauben nicht, dass wir der Nabel der Welt sind.
Haben Sie Tickets für die WM?
Ich darf an einen Viertelfinal gehen, am 1. Juli in Gelsenkirchen.
Da wird aber die Schweiz laut Spielplan nicht spielen.
Macht nichts. Ich bin dankbar, dass ich bei einem Spiel dabei sein darf, und ich werde mir ohnehin das Schweizer Trikot anziehen. Vielleicht trete ich damit auch im deutschen Fernsehen auf.
Und wie wird das Wetter während der WM?
Der Beginn am 9. Juni sieht eher kühl und wechselhaft aus. Für die Zeit danach kann man noch nichts sagen.
Jörg Kachelmann
Jörg Kachelmann, Jahrgang 1958, ist in Lörrach geboren und in Schaffhausen aufgewachsen. Er studierte Geografie in Zürich, arbeitete für den «SonntagsBlick», das Schweizer Fernsehen und wurde 1988 stv. Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten». 1990 gründete er die Firma Meteomedia in Gais, deren Hauptaktionär er auch heute noch ist. 1992 begann seine Karriere als Wettermann bei der ARD, 1996 wurde er Programmleiter des Wetterkanals, der seinen Betrieb 1998 einstellte. Seither ist er vor allem als Direktor und Moderator bei der Meteomedia tätig. (bur)
Der Bund, Interview: Rudolf Burger [03.06.06]
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Ich enthalte mich mal jeglichen Kommentars...
... ausser vielleicht, dass der Chasseral auch noch zum Kanton Bern gehört, gell Jörg?
Die Bauern bräuchten jetzt einige sonnige und trockene Tage, sagt Jörg Kachelmann, aber das sei nicht in Sicht. Mehr als das momentane Wetter interessiert den Meteorologen aber der Aufbau eines Schweizer Wetterstationen-Netzes, mit dem er in Kürze im Kanton Bern beginnen will – weil er das Angebot der Meteo Schweiz für absolut ungenügend hält.
«Bund»: Herr Kachelmann, was ist mit dem Wetter los?
Jörg Kachelmann: Es ist kalt. Die Temperaturen sind am untersten Ende dessen, was Anfang Juni möglich ist.
Aber nicht beunruhigend?
Eigentlich nicht – aber natürlich traurig für die Bauern, die bis jetzt weder Heu noch Silofutter noch irgendetwas anderes machen konnten. Wenn ich bei mir im Appenzellerland zum Fenster hinausschaue, ist alles weiss.
Können Sie den Bauern Hoffnung machen, dass sich das Wetter bessert?
Es wird wärmer, aber es sieht nicht nach einer stabilen Wetterlage mit anhaltend trockenem, warmem und sonnigem Wetter aus.
Für wie lange gilt diese Prognose?
Moment, ich schaue rasch auf meinen Computer. – Nach und nach geht es wieder Richtung 20 Grad. Die Bauern bräuchten jetzt aber zwei, drei Tage lang sonniges und vor allem durchgehend trockenes Wetter. In den nächsten fünf Tagen ist davon nichts zu sehen.
Auf wie weit hinaus sind denn Wetterprognosen heute möglich?
Grobe Trendmeldungen machen wir bis auf zehn Tage hinaus. Allerdings werden dann mit jedem Tag die Unsicherheiten grösser.
Es gibt auch ganz andere Prognosen. Der nasse Frühling deute auf einen schönen Sommer hin, heisst es etwa.
Das ist Mumpitz. Niemand weiss, wie der Sommer wird. Auf was man achten kann, ist die so genannte Siebenschläfer-Regel: Wenn das Wetter in der ersten Juliwoche stabil ist, ist die Wahrscheinlichkeit recht gross, dass in den übrigen Juliwochen auch stabiles Wetter herrscht. Aber jetzt sind wir noch nicht im Juli.
Diese erste Juliwoche wird also entscheidend.
Für den Juli. Die erste Juliwoche hat natürlich für das Feriengefühl eine besondere Bedeutung: Der Juni kann noch so sonnig und heiss sein, wenn es einen verregneten Juli gibt, haben die Leute das Gefühl, der ganze Sommer sei verregnet. Das Gleiche gilt auch umgekehrt: Der Juni kann noch so verregnet und kalt sein, wenn es im Juli heiss und schön ist, reden alle von einem super Sommer.
Vom Mai behaupten die Meteorologen, er sei überdurchschnittlich warm gewesen. Dabei war der Mai nass und kalt.
Er war überdurchschnittlich warm, aber weil das Monatsende extrem kalt war, erinnert man sich nicht mehr an die erste Maihälfte. Punkto Wetter ist das Erinnerungsvermögen gering. Wenn ich Sie frage, was vor zwei Wochen für Wetter war, haben Sie keine Ahnung.
Nicht schön, sonst wüsste ich es noch.
Nein, Sie wissen nicht mehr, was vor zwei Wochen war.
Jetzt hat der so genannte meteorologische Sommer begonnen. Was heisst das eigentlich?
Es ist nichts anderes als der Sommeranfang der Meteorologen: Wir machen Monats- und Jahreszeitenstatistiken. Würden wir mit den astronomischen Zeiten mitten in den Monaten rechnen, wäre das mühsam. Deshalb haben die Meteorologen einfach gesagt: Sommer ist bei uns vom 1. Juni bis 31. August. Wieso es dann aber in den Zeitungen immer heisst, der 1. Juni sei der meteorologische Sommeranfang, habe ich nie verstanden.
Sie haben in Deutschland gegen 500 Wetterstationen aufgebaut. Wie man hört, haben Sie Pläne für ein Netz in der Schweiz.
Ja, weil das Netz der Meteo Schweiz völlig ungenügend ist. Zählen wir im Kanton Bern die Stationen auf, wo wenigstens Temperatur, Wind, Niederschlag und Sonne gemessen werden – vergessen wir also den Bantiger, der nur Wind und Temperatur registriert. Der Kanton Bern besteht beim staatlichen Netz lediglich aus Bern-Liebefeld, Interlaken, Adelboden und Grimsel – mehr gibt es nicht.
Reicht das nicht aus?
Das ist viel zu wenig. Es gibt in der Meteorologie eine wichtige Regel: Lokale Prognosen sind nur dann möglich, wenn auch lokal gemessen wird. Unsere Firma betreibt schon ein paar Stationen: Niesen, Mülenen, Lauberhorn und Wengen. Die Stationen brauchen wir unter anderem, um die Prognosen fürs Lauberhorn-Rennen zu machen, bei dem der Guggi-Föhn eine grosse Rolle spielt. Nur wir wissen dank diesen konstanten Messungen, wann der Guggi-Föhn kommt.
Wenn Sie jetzt weitere Messstationen aufbauen wollen, wollen Sie offenbar über mehr als nur den Guggi-Föhn Bescheid wissen.
Ja. Fragen Sie irgendwelche Meteorologen, ob es in Eggiwil im Emmental oder im Kemmeribodenbad einen Föhnsturm gibt. Es gibt in der Schweiz zwar lustige Blinklichter an Seeufern. Die blinken bereits ab einer Windstärke von 40 Kilometern pro Stunde . . .
. . . also beim besten Segelwetter.
Richtig. Die Leute an diesen Seen werden ab Windstärken von 40 Kilometern pro Stunde gewarnt. Nicht so, wenn es in den Berner Voralpen- und Alpentälern einen Föhnsturm mit Windgeschwindigkeiten von 100 und 120 Kilometern pro Stunde gibt. Niemand wird in Röthenbach im Emmental, in der Lenk, im Simmental oder in Frutigen vor einem Föhnsturm gewarnt. Kein Mensch weiss, was in diesen Tälern eigentlich passiert. Diesen Zustand wollen wir ändern.
Haben Sie für einen solchen Dienst schon potenzielle Kunden?
Nein. Zuerst einmal platzieren wir in den Voralpen und Alpen 200 Wetterstationen. Wir wollen zunächst die Voraussetzungen dafür schaffen, anständige Arbeit leisten zu können. Angesichts der schwierigen Topografie ist das Schweizer Wetterstationen-Netz auf dem Stand eines Drittweltlandes.
Sie haben sich seinerzeit mit dem Deutschen Wetterdienst angelegt, jetzt machen Sie offenbar das Gleiche mit Meteo Schweiz.
Ich kann doch nichts dafür, dass Meteo Schweiz ihre zig Millionen Franken nicht für etwas Sinnvolles ausgibt. Fragen Sie die Leute in den Voralpen- und Alpentälern, ob sie jemals vernünftig vor einem Föhnsturm gewarnt wurden. Noch nie, werden die antworten. Die Leute dürfen nur beim Satz in der Wetterprognose «in den Alpentälern zum Teil Föhn» darüber rätseln, ob sie zum Teil mit oder ohne Föhn gehören.
Mit anderen Worten: Bei Meteo Schweiz gibt es in dieser Beziehung schwere Unterlassungssünden.
Nochmals: Es gibt einen weltweiten Konsens darüber, dass es für lokale Prognosen lokale Messungen braucht. Mit den paar Statiönli der Meteo Schweiz kann man nicht arbeiten.
Wenn in Zeitungen Prognosen fürs Lokalwetter gemacht werden – mit Wolken und Sonnen in schönen Grafiken –, ist das also nichts wert?
Nein. Da wird aus dem Bauch heraus gerätselt.
Und Sie möchten das jetzt ändern?
Ja, wir nehmen für die Messstationen ein paar 100 000 Franken in die Hand. Wenn der Staat nicht macht, was er eigentlich tun sollte, kann ich als private Firma, die keine Steuergelder bekommt, nicht darüber jammern, sondern muss es selber machen.
Sind Sie denn so sicher, dass Meteo Schweiz nicht auch plant, mehr Messstationen zu betreiben?
Was die im Sinn haben, weiss ich nicht. Ich habe gehört, dass Meteo Schweiz Geld ausgibt, um Kameras aufzustellen. Das ist aus dem Fenster hinausgeworfenes Geld. Webcams gibt es schon zuhauf, und Kameras zeigen nur, wie das Wetter im Moment ist. Für die Prognose bringt das nichts, dafür braucht es Messungen.
Und die können tatsächlich nur Sie anbieten?
Nochmals: Mit Bern, Interlaken, Adelboden und Grimsel kann man für den Kanton Bern keine seriöse Meteorologie betreiben, auch nicht mit Computermodellen, wie Ihnen vielleicht einige Leute beibringen wollen. Wir selber haben das feinmaschigste Computermodell, das es gibt, feinmaschiger als das von Meteo Schweiz. Aber dieses Modell muss durch Werte am Boden gefüttert werden. Wenn nicht, ist das schönste Modell nichts wert.
Es ist schwer zu glauben, dass Sie ein Netz aufbauen, ohne schon potenzielle Kunden im Auge zu haben.
Ich will die Voraussetzungen für eine seriöse Meteorologie in der Schweiz schaffen. Dass man auf dieser Basis vielleicht später etwas aufbauen kann, ist denkbar, aber im Moment kein Thema. Es ist zunächst eine grosse Arbeit, in der Schweiz 200 Wetterstationen zu verteilen.
Wie schwierig war es, Gemeinden zu finden?
Das weiss ich noch nicht. Die erste Station bauen wir vermutlich Mitte Juni beim Hotel Kemmeribodenbad, danach kontaktieren wir weitere Gemeinden – und nach diesem Interview kommen vielleicht auch Gemeinden auf uns zu, weil Wetterstationen auch für sie nützlich sind, für den Winterdienst und den Tourismus. Wir schenken diesen Gemeinden etwas und hoffen also, interessierte Gemeinden zu finden.
Wetterstationen informieren doch nur darüber, wie das Wetter im Moment ist.
So ist es nicht. Die genauste Prognose ergibt sich aus einer Kombination der Statistik einer Wetterstation mit dem Computermodell. Das heisst: Bevor eine Prognose möglich wird, muss eine Zeit lang gemessen werden. Nach einem Jahr im Kemmeribodenbad erzähle ich Ihnen ganz viel über Berg- und Talwind sowie Föhnstürme und Neuschneemengen dort oben.
Dass Sie diese Investition ohne Aussicht auf Kunden machen, heisst doch, dass Ihre Firma floriert.
Ja. Wir sind inzwischen 100 Leute und gross genug, um solche Investition zu leisten. Wir möchten langfristig für die Schweiz etwas Ähnliches anbieten wie schon für Deutschland und Österreich, etwas, das die Menschen in den Voralpen und Alpen nicht vergisst. Der Kanton Bern ist mehr als die Agglomeration Bern.
Geht es Ihnen so gut, weil Sie beim ARD-Fernsehen die Wetterprognosen machen?
Nein, die ARD haben wir schon lange, und wir sind auch in vielen dritten Programmen zu sehen. Es geht uns gut, weil wir diversifiziert haben. Wir haben eine erfolgreiche Tochter in Wien und mit weather.us auch ein amerikanisches Internet-Unternehmen, das sehr schnell wächst. Wir machen also auch viel ausserhalb des Medienbereichs.
Was sind das für Aufträge?
Zusammenarbeit mit Versicherungen, vor allem auf dem Gebiet von Unwetterwarnungen in Deutschland und Österreich, Zusammenarbeit mit Energiefirmen, die wissen wollen, ob sich ihr Stausee füllt und ob sie Strom zukaufen müssen oder verkaufen können. Alle Formen von Wetterprognosen für alle wirtschaftlichen Bereiche.
Und Sie selber moderieren weiter eine Talk-Show?
Nur ungefähr sechsmal pro Jahr «Kachelmanns Spätausgabe» auf dem Mitteldeutschen Rundfunk.
Hat es nie Protest gegeben, weil die Wettersendung der ARD aus dem Appenzellerland kommt?
Da sind die Deutschen sehr tolerant. Dank unserem dichten Netz an Wetterstationen weiss auch niemand mehr über Deutschland als wir. Peinlich wäre es, wenn wir auf einer Appenzeller Wiese stünden, die dortige Temperatur im Fernsehen zeigten und hofften, dass das für Deutschland von Bedeutung wäre. Sehr lustig, dass bei uns der Nation permanent die Temperatur auf einem Zürcher Vorort-Hochhaus aufgedrängt wird, die für 99,9 Prozent der Bevölkerung nicht stimmt. Wir glauben nicht, dass wir der Nabel der Welt sind.
Haben Sie Tickets für die WM?
Ich darf an einen Viertelfinal gehen, am 1. Juli in Gelsenkirchen.
Da wird aber die Schweiz laut Spielplan nicht spielen.
Macht nichts. Ich bin dankbar, dass ich bei einem Spiel dabei sein darf, und ich werde mir ohnehin das Schweizer Trikot anziehen. Vielleicht trete ich damit auch im deutschen Fernsehen auf.
Und wie wird das Wetter während der WM?
Der Beginn am 9. Juni sieht eher kühl und wechselhaft aus. Für die Zeit danach kann man noch nichts sagen.
Jörg Kachelmann
Jörg Kachelmann, Jahrgang 1958, ist in Lörrach geboren und in Schaffhausen aufgewachsen. Er studierte Geografie in Zürich, arbeitete für den «SonntagsBlick», das Schweizer Fernsehen und wurde 1988 stv. Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten». 1990 gründete er die Firma Meteomedia in Gais, deren Hauptaktionär er auch heute noch ist. 1992 begann seine Karriere als Wettermann bei der ARD, 1996 wurde er Programmleiter des Wetterkanals, der seinen Betrieb 1998 einstellte. Seither ist er vor allem als Direktor und Moderator bei der Meteomedia tätig. (bur)
Der Bund, Interview: Rudolf Burger [03.06.06]
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Ich enthalte mich mal jeglichen Kommentars...
... ausser vielleicht, dass der Chasseral auch noch zum Kanton Bern gehört, gell Jörg?
