«Darüber muss man nun reden»
Bern ohne Schwelle vor der Matte? Das müsse jetzt ernsthaft diskutiert werden, findet der Berner Stadtingenieur Hans-Peter Wyss.
Die Unmengen von Schwemmholz, die sich vor der Berner Matte an der Schwelle verfingen respektive sich im Kanal zum Matte-Kraftwerk ansammelten, haben bewirkt, dass dieses Quartier schlimmer überflutet ist als 1999 (siehe «Bund» von gestern). Das wirft die Frage auf, ob es der Matte besser ginge, gäbe es die Schwelle nicht. Schon 1999 forderten einige Mätteler: «Sprengt die Schwelle!» Ob es besser wäre, gäbe es sie nicht mehr, hat sich gestern auch der Stadtingenieur Hans-Peter Wyss gefragt. «Angesichts der Tatsache, dass die Matte innert sechs Jahren zweimal dermassen überflutet worden ist, müssen grundsätzliche und unkonventionelle Überlegungen möglich sein», sagt er. Für ihn ist nun der Moment gekommen, die denkmalgeschützte Schwelle in Frage zu stellen. «Darüber muss man nun reden. Denn es geht um die Sicherheit der Matte.» Wyss denkt weiter: Für ihn muss auch ein Rückbau des Wehrs Engehalde in Betracht gezogen werden.
Auch Schutzziel neu definieren
Der Zufall wills, dass Wyss und die zuständige Person beim Kanton erst am letzten Donnerstag das weitere Vorgehen in Sachen Hochwasserschutz auf Stadtberner Gebiet verabschiedet haben. Es geht um das Hochwasserschutzkonzept, das 2003 vorgestellt wurde. Darin ist das Ziel formuliert worden, dass die Aare bei der Matte 550 Kubikmeter Wasser pro Sekunde transportiert. Das Wasser dürfe höchstens bis zum tiefsten Punkt der Gerberngasse reichen, hiess es bei der Vorstellung des Konzepts.
Nun hat die Aare aber sechs Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser von 1999 wieder mehr als 600 Kubikmeter geführt. Wyss findet deshalb, dass das Schutzziel in Frage zu stellen ist. «Das heisst nicht, dass die Schwelle verschwinden muss. Es kann aber heissen, dass die Aare beim Schwellenmätteli anders fliesst als heute. Wir müssen dem Wasser dort einfach mehr Platz geben, so dass der Pegel sinkt.» Zusammen mit den Fachleuten sei das jetzt zu besprechen. Wyss hofft, dass im nächsten Frühling die verschiedenen Varianten, die heute auf dem Tisch liegen, in einen Lösungsvorschlag münden. Zur Diskussion stehen weitere Ausbaggerungen sowie Entlastungsstollen – an verschiedenen Stellen. Der Vorschlag kommt dann vor den Gemeinderat. In der Folge wird ein Wasserbauplan ausgearbeitet, der öffentlich aufliegen wird.
«Nicht an uns, zu entscheiden»
Würde die Schwelle vor der Matte aufgehoben, flösse womöglich kein Wasser mehr über den Kanal zum Kraftwerk von Energie Wasser Bern (EWB), das dort im letzten Jahr immerhin 7000 Megawattstunden Strom produzierte, also den Bedarf von etwa 1500 Haushalten deckte. Da dies nur 0,4 Prozent der Gesamtproduktion ausmache, fiele ein Verzicht nicht dermassen ins Gewicht, macht EWB-Chef Kurt Bill klar. «Die Schwelle wurde aber nicht in erster Linie für das Kraftwerk gebaut», fügt er an und weist auf die lange Geschichte dieses Bauwerks hin. Floss doch schon im Mittelalter Aarewasser via Mattekanal zur Erzeugung von – damals noch mechanischer – Energie ins Quartier. «Es ist nicht an uns, das zu entscheiden», folgert Bill. Gar nicht in Frage kommt für ihn hingegen, das Kraftwerk Engehalde aufzuheben. Dort sei viel investiert worden und es liefere 66 000 Megawattstunden pro Jahr.
Der Bund, Rainer Schneuwly [24.08.05]
[hr]
Dazu ein paar Eindrücke, die ich heute gesammelt habe. Lustig war's nicht, aber nach zwei Tagen wollte ich nun doch mit eigenen Augen sehen, was sich wenige Schritte von meiner Haustür entfernt abspielt.
Die im Artikel erwähnte Schwelle mit dem Schwemmholz. Statt rechts runter über die Schwelle, fliesst viel mehr Wasser geradeaus in den Kanal, über die Aarestrasse (links) und dann hinten ins Mattequartier:
Die überschwemmte Gerberngasse. Bei den Häusern links befürchtet man, dass die Fundamente unterspült werden, daher werden die Bewohner zwangsevakuiert. Man sieht Feuerwehrleute auf den Dächern, die den Abtransport per Helikopter vorbereiten:
Die evakuierten Leute werden auf der Untertorbrücke abgesetzt:
Im Hintergrund des oberen Bildes sieht man das Publikum auf der Nydeggbrücke. Dort hätte man Eintritt verlangen sollen, zugunsten der Betroffenen. Was sich dort oben abspielte war schier unglaublich:
Rechts sieht man, wie die Leute nach oben schauen. Soeben transportiert der Heli einen Feuerwehrmann nach links rüber in die Matte. Im Hintergrund sieht man, wie Leute von der rechten auf die linke Seite rennen, um nichts zu verpassen. Auf den sich nähernden Bus wird natürlich nicht geachtet. Diese Szene wiederholte sich bei jedem Überflug des Helis, dass es keine Unfälle gab, ist ein Wunder, denn die Brücke war für den Verkehr normal geöffnet, und es war Feierabendverkehr.
Angesichts der immer noch hohen Wasserstände der Oberländer Seen wird es noch lange dauern, bis das Wasser aus der Matte verschwindet. Hoffen wir, dass zumindest die Fundamente halten.
Gruss