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Back to the roots ?

Verfasst: Fr 23. Jul 2004, 22:02
von Matthias_BL
[Ich kopier mal die bereits darüber gelaufenen Posts zusammen]

Nun gut, es läuft ja gerade nichts oder nicht viel draussen:

Nach gestern Nacht und heute mittag/nachmittag stelle ich mal eine vielleicht etwas ketzerische Frage in de Hoffnung, dass vielleicht eine interessante Diskussion in der Zwischenzeit (bis wieder was läuft) darüber entsteht:

Wir verlassen uns hier so stark auf die verscheidenen Modelle und Prognosen, vergleichen diese miteinander, schauen uns die Regenmengen und vorausgesagte Windprofile an, usw. - jedoch hat keines der Modelle (meines Wissens nach) die Entwicklung gestern Nacht um 0230h an den östlichen Voralpen vorausgesagt. Glaube auch, dass kein Modell die Multizelle zwischen Bern und der Ostschweiz heute mittag/nachmittag vorausgesagt hat.

Könnte es sein, dass zur Zeit gerade das Modellieren der Voraussagen aus (mir unbekannten) Gründen gerade etwas schwierig ist ? Oder dass auch die krassen Daten aus dem BOLAM oder dem GFS auf Paramtetern basieren, die zur Zeit duch andere Faktoren (welche auch immer !) gestört sind und somit nicht die effektiv zu erwartende Realität im kurzfristigen Vorhersagebereich (3-6h) abbilden ?

Sollten wir vielleicht gerade zur Zeit mal stark unabhängig der Modelle denken ? Z.B. mal die Rohdaten der Messungen der einzelnen Parameter (z.B. Druckdifferenzen, Temperatur, Feuchtigkeit, TauP, Windrichtungen und -geschw. in verschiedenen Höhen, usw.) die im Umkreis von vielleicht 200-300km der CH gemessen werden, selbst zu interpretieren und mit unserer Erfahrung der letzten Jahre in Einklang zu bringen versuchen ?

Was ist so die Meinung hier ? Habe heute morgen bereits schon mal gefragt, leider war keine Antwort bisher.

grüsse
Matthias

Back to the roots ?

Verfasst: Fr 23. Jul 2004, 22:02
von Matthias_BL
[von Markus Pfister]

Hallo Matthias,

das stimmt! Die Modelle haben im Moment etwas Mühe. Gründe gibt es wohl verschiedene.

Ich nehme mal einfach einen raus und mache ein Beispiel:

Wenn Du eine energiereiche Luftmasse hast, wo viel Konvektion bzw. deren Unterbindung in
Form eines Deckels im Spiel ist, dann braucht es recht wenig, und alles entwickelt sich in
eine andere Richtung. Zb. kanns den Deckel zu früh lüpfen und Gewitter brechen los, die sich
dann sehr eigendynamisch irgendwie in der feuchten Luft austoben. Danach ist die Energie erst
mal draussen, bis der Zustrom neuer, geladener Luft oder die Sonne wieder auflädt. "Sieht" das
Modell diesen Vorgang 5 Stunden später, ist es wahrscheinlich, dass nach den unerwarteten
Gewittern erst mal nichts mehr geht - auch nicht nach 5 Stunden.

ABER: Obwohl die Auslösung 5 Stunden zu früh kam, hat sie möglicherweise einen Grund, der das
Modell sehr wohl "gesehen" hat. Zum Beispiel ein kleiner Trog. Der kam eventuell NICHT 5 Stunden
früher als im Modell, sondern es war so schwül, dass seine blosse Annäherung für die Auslösung
gereicht hat, und das Modell hat eigentlich die Zeit der Auslösung falsch eingeschätzt.

Fazit: Hättest Du Taupunkte, Modell-Höhenkarte (wo ist der kleine Trog) und Meteo-Gehirn benutzt,
wärst Du besser gewesen als die Modell-Niederschlagskarte. Es kommt also, genau wie Du schreibst,
je nach Lage drauf an, die richtige Mischung aus allen Daten zu nehmen und sich dann einen Reim
daraus zu machen. Das ist aber manchmal recht schwierig. WAS soll man WANN nehmen?

Gruss

Markus

PS @Christian: Ungefähr die gleiche Bedeutung wie die Menge Dynamit bei der Bombe. Aber damit es
knallt, reicht eine Bombe allein noch nicht aus. Jemand muss sie zünden (kleine Tröge können das zB. gut)

Back to the roots ?

Verfasst: Fr 23. Jul 2004, 22:03
von Matthias_BL
[von Bernhard Oker]

@Matthias
Einzelne Gewitterzellen vorhersagen kann bis heute noch kein Modell.

GFS und die anderen Grobmaschigen Modelle sind gut um einen Gesamtüberblick zu erhalten, so z.B. ist zu sehen, dass heute Nacht ein Gebiet mit starker Hebung und entsprechenden Niederschlagsmengen die Schweiz überquert.

Bei den Meso Modellen wie BOLAM mit deutlich geringerer Maschenbreite, ist das Problem hingegen, das wenn ein MCS zur falschen Zeit vorhergesagt wird das in der Folge Auswirkungen auf den weiteren Verlauf hat und somit die ganze Prognose schnell zur Makulatur verkommt.

In der kurzfristigen Vorhersage sind dann auch aktuelle Temperatur, Windrichtungen etc. von Bedeutung. Damit lässt sich abschätzen wo es die grössten Chancen für die Bildung von neuen Gewittern gibt und ob eine Verstärkung zu erwarten ist oder nicht.
Das SPC in den USA hat eine Auswahl solcher Karten die auf aktuellen Messwerten beruhen speziell für das Nowcasting entwickelt. Leider gibt es sowas für Europa noch nicht frei im Internet.
http://www.spc.noaa.gov/exper/mesoanalysis/

Gruss Bernhard
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Bernhard Oker
Urdorf
(ZH/CH)

Back to the roots ?

Verfasst: Fr 23. Jul 2004, 22:03
von Matthias_BL
[von mir]

Hallo Markus, Hallo Bernhard,

Danke für eure Antworten aus eurer Sicht. Dem hätte ich folgendes hinzuzufügen:

Markus nennt verschiedene Gründe wieso die Modelle im Moment etwas Mühe haben. Könntest Du mal diese aus Deiner Sicht in Stichworten zusammenfassen versuchen ?

Bernahard meieint, dass die Maschenbreite fatale Auswirkungen auf den weiteren Verlauf die ganze Prognose hat und diese somit schnell zur quer liegt. Ja dachte ich auch, jedoch meinte ich bisher dass eine Maschenbreite von "nur" 2km wie im NMM, eigentlich klein genug sein sollte um MSC im Kurzfristhorizonzt rechnen zu können. Oder ist hier etwa der gegenteilige Effekt wirksam, dass eine so kleine Maschenbreite, zuwenig die umgebenden Parameter, die im grösseren Umfeld Veränderungen bewirken können, berücksichtigen kann ? (Vielleicht kann hier Mathias Mueller was zu sagen ?!)

Nun wenn Du sagst dass es Karten, die auf aktuellen Messwerten beruhen und speziell für das Nowcasting entwickelt worden sind in den USA schon gibt, jedoch diese in Europa nicht frei im Internet erhältlich sind, schliesse ich daraus, dass man diese vielleicht kaufen könnte ? Oder sind diese Karten nur für die Meteo-"Créme de la Créme" zugänglich und unsereiner hat keine Chance dazu zu kommen ?

grüsse
Matthias

Back to the roots ?

Verfasst: Fr 23. Jul 2004, 22:04
von Matthias_BL
[von Christian Mathys]

@Matthias, BL: Interessante Anregung. Leider kenn ich mich mit den Modellen weniger aus. Soweit ich weiss hat mind. SFDRS vor weiteren teils heftigen Gewittern in der Nacht gewarnt. Ob speziell für die Ostschweiz, weiss ich nicht mehr. Wie die Modelle das gesehen haben, weiss ich nicht. Ich denke, dass vielleicht gerade in Situationen wie dieser, wo die Schichtung durch permanente Hinzugabe von Hebungseinflüssen, Feuchtenachschub, Einheizung, Jet-Streaks, etc. praktisch durchgehend labil geschichtet bleibt ("loaded gun"), die Modelle deshalb Mühe haben, weil es wahrscheinlich eben extrem minime Unterschiede braucht, damit eine "loaded gun" losgeht und all die wettertechnischen Konsequenzen einer losgegangenen "loaded gun" wie z.B. grosse Umschichtungen in der Atmosphäre (Feuchte- und Wärme-Transport, Stabilisierung/Labilisierung) durch ein MCS (obwohl ein MCS eigentlich von den Modellen erfasst werden sollte, wie ich meine), oder einer Multicell unter Umständen alles wieder über den Haufen werfen kann.. Beispiel: angenommen in Mittelfrankreich wehen die Höhenwinde erst aus Südwest und am späteren Abend bzw. in der Nacht drehen sie auf West. Von den Modellen wird die Entstehung eines MCS über dem Central Massive am frühen Nachmittag prognostiziert, welches dann im Laufe des Nachmittags nach Nordosten Richtung Westdeutschland driften soll. Aus irgendeinem Grund bildet sich der MCS später als vorgesehen erst am Abend und der Wind dreht bereits früher auf West. Der MCS driftet nun Richtung Schweiz und schwächt sich am frühen Morgen über der Schweiz ab. Die Wolken bleiben. Das war aber nicht vorhergesehen, es sollte ein heisser Tag mit abendlichen Hitzegewittern geben. Jetzt fehlt aber die Sonne dafür. Das Stichwort hierfür ist wohl: Kettenreaktion. Ich denke, dass es bei soviel Energie in der Atmosphäre einfach viel mehr mögliche Kettenreaktionen geben kann, welche das Wetter bereits 24 Stunden später entscheidend beeinflussen können. Deshalb ist bei solchen Wetterlagen viel mehr auf das Nowcasting zu setzen (siehe auch Unglück in Luzern -> sowas Unverantwortliches! ) oder wie du Matthias empfiehlst, back to the roots, die Rohdaten analysieren. So in etwa stelle ich mir das vor. Was denken die anderen?
PS: Matthias, mach doch einen neuen Thread auf.. die Diskussion finde ich zu interessant, um einfach im Riesenthread von heute unterzugehen.

So, jetzt muss ich erst mal duschen, das ist ja immer noch extrem schwül hier.. Ich hoffe für eine gewittrige Abkühlung heute Nacht, wäre jedenfalls chasingbereit und morgen kann ich ausschlafen (seid ihr auch etwas übermüdet )

Ich habe euch noch ein/die Video(s) von der vorletzten Nacht versprochen. Werde ich nachliefern, sobald ich es geschnitten habe. Ich will euch nicht mit 20 Sekunden Flauten während den Aufnahmen belästigen.. ich will euch nur kurz das Beste in geschnittener Form präsentieren. Aber ich kenn immer noch kein gescheites Tool dazu.

Betreffend Multizelle von heute, welche vom Emmental Richtung Ostschweiz gezogen ist:
Bin um ca. 15 Uhr von der Arbeit in ZH Oerlikon los, um auf einen Aussichtspunkt bei Bassersdorf zu gelangen und mich von der Zelle erwischen zu lassen. Oben angekommen, es war ca. 15.10 Uhr windete es teils stürmisch, obwohl die Front noch weit weg (ca. 15km) war! Ich konnte einen Niederschlagsdowndraft ausmachen über Zürich City und einen über dem Limmattal. Das beste Photo werde ich später noch uploaden. Das Teil über dem Limmattal hat mir intensiver ausgesehen und ich dachte es kommt über Kloten oder sogar noch westlicher durch.. Also bin ich Richtung Winkel gefahren.. Denkste, bis ichs gemerkt habe, dass die Multizelle im Westen abbaut und als Gesamtsystem mehr nach Osten abdreht, wars bereits zu spät für ein Chasing.. Aber das habe ich erst 1h später irgendwo im Toggenburg gemerkt ich fuhr am Sitzberg und Sternenberg vorbei, wenn das jemandem was sagt.. wenn ich gewusst hätte, wie zerklüftet das alles ist.. Hab mich schliesslich sogar bei einem Ortskundigen nach dem Weg zurück nach Winterthur erkundigen müssen *gg*
Ausser die bekannten Hagelschwaden, Windböen vor der Front und ein zwei Photos des Downdrafts war dieses Chasing nicht sehr erfolgreich.. naja, was solls.. ist ja Wochenende

Gruss Chrigi

Back to the roots ?

Verfasst: Sa 24. Jul 2004, 21:03
von Matthias_BL
Das war überigends der Thread, den ich gestern aus verschiedenen Postings zusammenkopiert habe.

Wie ich in den Threads weiter oben nun lese, hat man sich lieber über "grundsätzliches" unterhalten (!). Eigentlich schade, denn ich dachte, dass gerade dies ein "grundsätzliches" Thema sei und eine Diskussion in Bezug auf Moddele und deren Rohdaten auch für unser Newcomers interessant sein könnte.

grüse
Matthias

Back to the roots ?

Verfasst: So 25. Jul 2004, 00:54
von Federwolke
Hallo Matthias

Hm ja, die Diskussion wurde etwas auf verschiedene Threads verzettelt. Hier ein Beitrag von heute Nachmittag:
Original von Mathias D. Müller
Hallo

ich möchte mal klarstellen dass die globalen modelle wie z.b. GFS nicht in der Lage sind Gewitter aufzulösen, besonders wenn man bedenkt das eine GFS zelle etwa 8000 km2 gross ist!!!!! Die information hochaufgelöster Modelle mit sehr aufwendiger niederschlagsphysik über wasser und Eisphase, advektionen, tropfenspektren etc. liefert da viel wertvollere information. Unser NOAA/NCEP NMM4 mit 4 km auflösung parametrisiert konvektion noch, die 2 und 1 km runs (zellengrösse von 4 bzw. 1 km2) ist eine derartige parametrisierung der konvektion vermutlich nicht mehr notwendig, wenn die gitterskalige niederschlagsphysik sehr detailliert ist. Eine gute parametrisierung wie im NMM4 gibt sehr realistische mengen, die unparametrisierte variante im NMM2 gibt häuafig unrealistische Werte aber detailliertere Struktur.

NMM2: unparametrisierte konvektion:
Bild

NMM4: parametrisierte Konvektion:
Bild

aktuelle runs:
www.meteoblue.ch

allgemein gilt: je feiner die Auflösung desto grösser die chance zur falschen zeit am falschen ort zu sein.

grüsse
mathias
Ebenfalls lesenswert betreffend Prognostizierbarkeit von Gewittern ist der zweiteilige Beitrag von Wetterfuchs im vergangenen September im WZ-Forum (Achtung, seeeeehr lang und anspruchsvoll, der Wetterfuchs nennt sich nicht umsonst so ;-):
http://www.wetter-zentrale.com/cgi-bin/ ... l?read=145

Das sollte für alle Modell-Freaks mal ein Weilchen was hergeben.

Nun zu meiner Meinung: Als Laie ist das Erlernen des Umgangs mit Prognosemodellen nicht gerade einfach, denn in der Regel hat man den Bezug zur dahinter stehenden Mathematik und den physikalischen Messgrössen nicht. Zwar benutze ich einige dieser Karten, um mir einen Überblick zu verschaffen, eine genaue Interpretation ist mir jedoch nicht möglich. Daher gehe ich persönlich sehr stark von jahrelangen Beobachtungen aus. Erfahrung ist wohl das, was einen Meteorologen auszeichnet, wenn es darum geht, sich die in den Modellen angedeuteten Vorgänge in der Natur bildlich vorstellen zu können. Mir ist dabei auch die genaue Kenntnis der Orografie sehr wichtig. Das Verhalten von Gewittern ist sehr stark davon abhängig, also muss ich gut beobachten und mir überlegen, warum sich Gewitter über einer bestimmten Gegend immer abschwächen, verstärken oder die Richtung ändern.

Ich glaube nach wie vor daran, dass auch Gesetzmässigkeiten zwischen der Grosswetterlage und den Gewitterzugbahnen bestehen. Bei typischen Wetterlagen zumindest kann man diese nachweisen. Nun geht es um die Details. Und da bleibt nichts anderes übrig, als eine Menge Daten zu sammeln und auszuwerten, um diese Gesetzmässigkeiten ausfindig zu machen. Daran arbeite ich nun, in der Hoffnung, dass eine solche Datenbank uns irgendwann mal helfen wird, eine genauere Prognose abzugeben. So dass wir mal sagen können, statt: "Es wird lokale Gewitter in den Bergen geben, die vereinzelt auch ins Mittelland ausgreifen", vielleicht sogar ziemlich genau, wo sie entstehen und in welche Region diese Gewitter ziehen werden. Dann noch den genauen Zeitpunkt vorherzusagen, wird eine zusätzliche Herausforderung sein, doch das ist wieder ein anderes Kapitel, das nicht empirisch, sondern mit grosser Rechnerei angegangen werden muss. Das überlasse ich dann gerne wieder den Spezialisten aus der Abteilung Atmosphärenphysik und Numerik ;-)

Grüsslis