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Chronik der Wetterereignisse im Thurgau

Alles zu (Un)wetter relevant für die Schweiz
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Michael (Dietikon)
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Chronik der Wetterereignisse im Thurgau

Beitrag von Michael (Dietikon) »

Über den Hagelschlag im Kanton Thurgau am 6. Juni 1891

„Das Hagelwetter, welches am 6. Juni abends in der siebten Stunde mit verheerender Gewalt den Kanton Thurgau in westöstlicher Richtung durchzog, hatte seinen Entstehungsherd in dem nordöstlich von der Lägern, östlich von der Egg und südöstlich von Stadelerberg gelegenen Gelände mit den Ortschaften Schöfflisdorf, Steinmaur, Bachs und Stadel. Nachdem dasselbe in dieser Gegend fast überall gleichzeitig kurz vor 6 Uhr mit voller Wucht eingesetzt hatte, richtete es innerhalb weniger Minuten die zu schönen Hoffnungen berechtigten Kulturen fast vollends zu Grunde...“

So beginnt die Abhandlung von Dr. Clemens Hess, welche in den „Mitteilungen der Thurgauischen Naturforschenden Gesellschaft“ abgedruckt wurde.

Der Hagelzug wies beinahe durchgehend eine Breite von 8 km auf. Die Zugrichtung war, wie schon im obigen Text erwähnt West-Ost.

Schäden

Nennenswerte Schäden an Kulturland und Gebäuden traten in einem schmaleren Streifen mit einer variablen Breite von durchschnittlich 4 km auf. Nach Süden hin war der Hagelzug schärfer abgegrenzt als nach Norden. Südlich wird nur von leichtem Regen berichtet, während nördlich davon intensiver Gewitterregen gemeldet wurde. Der Streifen mit der grössten Schädigung verläuft hin und her und beschreibt eine Art Zick-Zack-Linie.

Auch in den Wäldern gab es grössere Schäden. Die Böden waren übersäht mit Ästen bis 1,5 cm Stärke.

Grosse Schäden wurden durch das Gewitter auf dem Wellenberg (westlich von Frauenfeld) verursacht. Aus Thundorf wird berichtet: „Am ärgsten hauste das Unwetter auf dem Rücken des Wellenberges. Die Bäume wurden aller Früchte beraubt, viele Äste wurden so sehr zerschlagen, dass die Rinde in Fetzen herunterhängt. Das Gras kann nur mit grosser Mühe noch abgeschnitten werden. Die Getreideäcker liefern keinen Ertrag mehr.“

Vor dem Gewitter war es praktisch windstill. Erst einige Sekunden bevor der Hagelschlag eingesetzt hatte, wütete ein „brausender Weststurm“. Am Nordrand des Hagelstreifens kamen die Böen aus SW, am Südrand aus NW, ansonsten kamen sie aus West. Ausserdem wurden viele Fensterscheiben an der Westseite der Gebäude zerschlagen.

Die Korngrösse betrug meist Baumnussgrösse. Das grösste gemessene Hagelkorn hatte einen Durchmesser von 38 mm.

Dauer

Die Hagelzelle entstand kurz vor 18 Uhr in der Region von Stadel, Buchs und Steinmaur. Der Hagel setzte in Frauenfeld um 18:30 Uhr ein und erreichte das Bodenseeufer 19:00 Uhr. Daraus lässt sich eine mittlere Zuggeschwindigkeit von 15 m/s oder 54 km/h herleiten. Der Hagelschlag dauerte im Zentrum des Gewitters ca. 9 min, der verheerende Hagelschlag ca. 4,5 min. Die Hagelzone war demnach bis 8 km breit, die Zone mit starkem Hagel ca. 4 km. Sie hatte also eine rundliche Form, da die Länge des Hagelzuges auch etwa 8 km betrug.

Dr. Clemens Hess schloss daraus „dass ein Horizontalschnitt durch das Hagel bildende Ganze nahezu kreisförmig sei. In der Axe der Hagelzone hat demnach der Gesamthagelschlag so lange gedauert, als ein Cylinder von 4 km Durchmesser braucht, um über einem Orte hinwegzuziehen...“

Interessant finde ich auch diesen Text, obwohl es für mich nicht nachvollziehbar ist, wie er zu diesem Schluss kommt. „Auf dem verwüsteten Wege des Tornados zeigen die hingestreckten Gegenstände die Richtung des Windstosses an, welche im allgemeinen, wie es scheint, in einem beträchtlichen Streifen zu beiden Seiten derselben (und namentlich der rechten) mit der Fortpflanzungsrichtung des ganzen Tornados übereinstimmt. Ähnlich kurze Windstösse von zerstörender Kraft kommen in Europa, obwohl sehr selten und in geringerer Heftigkeit vor; auch sie hinterlassen, namentlich in Wäldern, eine schmale, aber lange Bahn, die durch Zerstörungen erkennbar bleibt. In Berücksichtigung dieser Beschreibung scheint es mir unzweifelhaft, dass das von uns am 6. Juni erlebte Hagelwetter eine meteorologisches Phänomen war, das in die Gattung der nordamerikanischen Tornados einzureihen ist.“

Fazit

Ich vermute, dass es sich um eine Superzelle handelte. Dafür sprechen:

- die W-E-Zugrichtung
- dass es sich um eine isolierte Zelle handelte
- dass die Zelle eine Hagelzone von 8 km Durchmesser und eine Zone mit starkem Hagelschlag von 4 km Durchmesser auswies.
- die Korngrösse des Hagels (bis 4 cm)
- die lange Lebensdauer (mindestens 1 Stunde)
- die hohe Zuggeschwindigkeit (54 km/h)
- die scharfe Abgrenzung nach Süden

Ich konnte die Zugbahn der Zelle aufgrund der detaillierten Beschreibung in etwa rekonstruieren. Der schwarze Rand bezeichnet den Rand des Hagelzuges. In dem gelben Streifen traten nennenswerte Schäden auf. Im roten Streifen traten verheerende Schäden auf. Er ist zwischen 1 und 4,5 km breit. Der rote Strich bezeichnet die Linie der schwersten Schäden im Hagelzug.

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Der Wolkenbruch im oberen Thurgau am 25. Mai 1894

Wetterlage

Die ganze Schweiz, Süddeutschland, Frankreich und Italien waren unter schwachen Tiefdruckeinfluss. Das Zentrum des Tiefs lag bei Nizza. In der Folge weitete sich das Tief nach Norden aus und bildete am darauf folgenden Tag ein Zentrum über Böhmen.

Am Nachmittag blies ein schwacher Ostwind. Beginn des Witterungsumsturz war in Frauenfeld um 19:30. Die Gewitter zogen meist von West nach Ost. Etwa um 20:00 setzte ein strömender Gewitterregen ein.

Vergleich der gemessenen Regenmengen (mm):

25. Mai 1894

Amriswil 134
Kreuzlingen 109
Raperswilen 70
Frauenfeld 34
Haidenhaus 82

1. Sept. 1881

Amriswil 82
Kreuzlingen 97
Raperswilen 82
Frauenfeld 135
Haidenhaus -

Berichte

„Freitag Abend zirka um 7-8 Uhr ergoss sich ein Gewitter über unserer Gegend, das von einem Wolkenbruch begleitet zu sein schien. Von Nord, West und Süden her kamen die Gewitter hier zusammen und in kurzer Zeit war der Bach, der Bach, der von den Weihern nach der Station Emmishofen führt, in einen Strom umgewandelt; überall, wo ihm Hindernisse, wie Brücken, in den Weg traten, suchte er seinen eigenen Weg und füllte Keller und Gärten mit seinem trüben und schlammigen Wasser...“
„Seit Jahren weiss man nichts von einem derartigen Ausbruche des „Saubaches“, der nicht umsonst seinen Namen zu führen scheint...“
„Noch schlimmer und gefährlicher war der Abend für die Gemeinde Emmishofen, wo der 21:30 Uhr von Winterthur kommende Zug seine Fahrt nach Konstanz nicht mehr fortsetzen konnte; der Bahnhof stand 30-50 cm tief unter Wasser.“

Auszug aus dem „Thurgauer Volksfreund“ (Nr.63)

Im Amriswiler Anzeiger wird berichtet, dass „auf dem Bahnhof das Wasser 40 bis 50 cm tief lag.“ und in Hagenwil „die Strassen durch das schwemmende Wasser fusstief aufgerissen“ worden sind.

„Vor 19 Uhr zog ein Gewitter südlich von St. Gallen dem Rheinthale zu; von 19 Uhr an ein solches in nordöstlicher Richtung langsam gegen Bodensee. Gleichzeitig zog ein Gewitter von Nord nach Süd, welches ersteres in der Gegend von Amriswil traf. Das Zusammenwirken beider Gewitterwellen verursachte um Amriswil herum die ersten wolkenbruchartigen Güsse von 19:30 Uhr an. Das von Norden heranziehende Gewitter wurde von Untersee bis Konstanz von einem dem Untersee entlang ziehenden Gewitter gekreuzt, wodurch die heftigen Niederschläge in Kreuzlingen, Emmishofen und Egelshofen zu Stande kamen; die stauende Wirkung des Seerückens begünstigte dieselben noch. Um 19:30 Uhr und 20 Uhr passiert ein starkes Gewitter Frauenfeld und Thundorf; dasselbe verzog sich ostwärts durch das Thur- und Lauchethal, um dann von 21-22 Uhr den obern Thurgau neuerdings mit Blitz und Donner und begleitenden Regengüssen zu überziehen. Diese Auffassung erklärt nicht nur die von den einzelnen Beobachtern angegebenen Zugsrichtungen, sondern auch das ganze Bild der Niederschlagskarte“.

Auszug aus den „Mitteilungen der Thurgauischen Naturforschenden Gesellschaft“

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Gemäss dieser Beschreibung gehe ich davon aus, dass es sich um eine nahezu stationäre Konvergenzzone gehandelt hat, welche die für diese Region ungewöhnlich ergiebigen Gewitterregen ausgelöst hat.

Über die Trombe von Schönenbaumgarten am 19. Juli 1912

„Sie setzte ca. 500 m westlich vom genannten Dorfe eine machte sich am Boden durch eine kugelförmige, grauschwarze Erscheinung bemerkbar, aus welcher ein säulenförmiger Wolkenschlauch herauswuchs und „pustend wie eine Lokomotive“ sich bis zu den Wolken verlängerte.“

Der Tornado trat um ca. 20:15 Uhr auf. Er hinterliess eine 1 km lange, unterbrochene Schneise, welche er in 2 Minuten durchlief. Die Zuggeschwindigkeit betrug also ca. 30 km/h.

„Die Schneise besteht aus drei getrennten, parallel verlaufenden Streifen, von denen jeder einen schmalen, scharf abgegrenzten Strich intensivster Zerstörung und einen ca. dreimal breiteren Rand unbedeutender Schädigungsspuren aufweist."

Schäden

Schneise 1:

- Gras wurde dem Boden eben gestrichen
- Baumkronen wurden zerrissen
- ganze Bäume umgelegt
- Stämme wurden abgeschält
- Länge der Schneise beträgt 200 m
- letzter Baum der Schneise weist die grössten Schäden auf (abgerissene Rinde)

Danach verlieren sich die Schäden in einem „Tobel“ und kommen erst auf der anderen Seite etwas rechts versetzt von der Zugrichtung wieder zum Vorschein.

Schneise 2:

- ein Reihe von "schönen" (stattlichen) Bäumen wurde umgeworfen
- zwei Bäume wurden aus dem Boden ausgerissen und fortgetragen
- Länge der Schneise beträgt 230 m
- erster Baum der Schneise weist die grössten Schäden auf (abgerissene Rinde)

Schneise 3:

- 2 Bäume wurden umgeworfen
- der Kamin eines Wohnhauses wird beschädigt
- kurze Schneise

„Die Äste waren von oben nach unten abgerissen, wie wenn Männer sich daran gehängt hätten und das Zerstörungswerk gewalttätig besorgt hätten. Mit den Ästen wurde auch die Rinde nach unter gerissen, so dass zwei der Bäume (B6 und B7) kahl wie geschält dastanden. Die Überreste waren Strünke mit nadelscharfen Splittern nach oben. Beim Baum B6 ist noch auf die merkwürdige Situation aufmerksam zu machen, dass die Äste um den Stamm herum liegen geblieben sind und zwar mit dem Blätterwerk gegen den Stamm gerichtet.“

„Die Bäume B3, B8 und B16 liegen senkrecht zur Achse, zwei rechts und einer links.“

„Bei B10 ist die Westhälfte der Krone entästet, B11 und B12 sind unversehrt geblieben.“

Die Schäden wurden als F2/T5 eingestuft.

Wetterlage

„Am 19. Juli 1912, dem Tage des Ereignisses der Trombe von Schönenbaumgarten, lagerte über Mitteleuropa eine barometrische Depression mit dem Zentrum in Mitteldeutschland. Infolge dieser Luftdruckverteilung fiel ein kalter Luftstrom aus NW über den Jura und den Hegau ins Mittelland. Die zum Strome querstehende Alpenkette bewirkte eine Stauung, die sich im Voralpengebiet und Mittelland als barometrischer Hochdruck geringen Grades bemerkbar machte.“

„Über dem westlichen Teile des Bodensees und dem südwestlichen Ufergebiete hatte sich ein kleines barometrisches Minimum ausgebildet...“

„...dem Schweizer Ufer entlang liefen die Isothermen 14°C und 14.5°C. Im Innern des Landes war die Temperatur um ein Geringes höher.“

„In Betracht der Sommerzeit war die relative Feuchte der Luft gross; der Kondensationspunkt hatte nur eine relative Höhe von 140 m. Nach der Höhe nahm die Temperatur so ab, dass die Luft sich nahezu im labilen Gleichgewichtszustand befand. Die untere Luftlage war ruhig oder nur leicht bewegt. Durch die Stauwirkung der Alpen erfuhr der NW-Strom eine Abbiegung parallel zur Alpenkette, so zwar, dass in Höhen von 1000 -1500 m an aufwärts W- und WSW-Strömungen mit Geschwindigkeiten von 10-12 m/s dahineilten.“

Ich gehe davon aus, dass darüber eine kräftige NW-Strömung bestand. Der Jetstreak verlief wahrscheinlich in derselben Richtung, da über dem Atlantik hohes Geopotential und über Mitteleuropa geringeres Geopotential vorherrschte. Wo genau, kann man aber nicht sagen. Über Süddeutschland befand sich wahrscheinlich ein Kaltlufttropfen, der verbreitet ergiebige Gewitterregen brachte. Das Windprofil war auf alle Fälle günstig für die Bildung von Tornados.

Quelle: Mitteilungen der Thurgauischen Naturforschenden Gesellschaft (Nr.20)

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Gruss, Michael
- Editiert von Michael (Untersee) am 31.05.2004, 12:53 -
Dietikon ZH 405 m ü. M.
www.meteoprime.ch

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