Microwave hat geschrieben:@Severestorms, was waren das für Windgeschwindigkeiten gemäss deiner Erfahrung?
Würde mich mal interessieren, wie um alles in der Welt man so etwas hinkriegt....und vorallem derart scharf begrenzt!
Grüsse - Microwave
Hoi Jonas
wie Du ja sicher weisst - und sicher auch einige andere hier im Forum - (z.B. aus dem Interview mit SRF DOK) bin ich schon als kleiner Junge mit meinem Vater auf dem Zürichsee gesegelt (ab ca. 6 Jahren), machte mit 11 Jahren an Regatten mit und gehörte ab 12 Jahren beinahe zur fixen Crew, bevor ich nach der Segelprüfung 1976 auf dem Thunersee (Hilterfingen) mich bei anderen Booten als Vorschoter anheuern liess, einfach auf der mir gut bekannten Klasse; "Lacustre" (eine schnittige Rennyacht). Vor allem bei Hochdruck- oder Föhnlagen kommen die lokalen Winde zum Zug, die je nach Tageszeit, zeitlich, als auch örtlich sehr begrenzt und in einer erstaunlichen Regelmässigkeit auftreten. Durch seine Form und geografische Lage, ist in dieser Hinsicht der Zürichsee sehr speziell (im Vergleich zu anderen Schweizer Binnengewässer).
So segeln man natürlich bei der Distanzregatta von Zürich nach Rapperswil wenn's geht die kürzeste Strecke, wenn man den Mut hat so nah wie möglich am Meilemer Stein vorbei zu kommen, bei dem schon viele Schiffe aufgelaufen sind. Aber, das funktioniert nur, wenn der "Bächler" stark und hoch hinein kommt und optimalerweise leicht achterlich, sodass man den Spinnaker bei Bf 1 schön fliegen lassen kann - und dann guckt die Konkurrenz in die Röhre. Aber der "Bächler" ist heimtückisch... Nun, beim Sonntagsausflug mit der Jolle braucht man dieses Wissen nicht, sondern ehr bei Regatten, wo es um Siegespokale geht.
Die lokalen Zürichseewinde werden taktisch eingesetzt und man ist klar im Vorteil diese zu kennen. Die Naturforschende Gesellschaft Zürich hat im Jahre 1926 eine Grafik zu diesem Thema zusammengestellt:
https://www.skipperguide.de/wiki/Die_Lo ... %BCrichsee
Die Orografie spielt dabei eine wesentliche Rolle. Insbesondere bei Gewitterlagen ist die Linienführung der Albiskette entscheidend und/oder der Bachtel, die Linthebene und die Glarnerregion, wenn eines dieser vor allem bei Seglern gefürchteten Ostgewitter (aus OSO) aufziehen, wie wir hier am 24.06.2016 ein solches Beispiel haben. Ich glaube es war 1977, als ich eines in dieser Stärke auf Höhe Wädenswil erlebte und am Bug für das Einholen der grossen Fock verantwortlich war, welche teilweise bereits ins Wasser eintauchte und durch das Gewicht immer schwerer wurde, während ich rittlings auf (!) der sonst seitlich angebrachten ZH-Nummer sass ! Das war sicher eine gute BF 8-9 und man kann die Windgeschwindigkeiten auch gut an der Gischt und am Wellengang (Dünung) auf Fotos erkennen, obwohl naturgemäss die Dünung auf dem Atlantik (ich habe dort rd. 120 Meter Länge von Wellenberg zu Wellenberg und rund 8-9 Meter Höhe erlebt, wo man trotz Bf 8 auf Vorwind mit dem kleinen Spinnaker von 350 qm segelte - der grosse mas rd 500 qm!) viel höher ist. Mittelmeer-Dünung bei Mistral habe ich bei Bf 10 bis Bf. 11 Spitzen schon 12 Meter hohe Wellen in einer rd. 25-30 Meter Dünung erlebt..... Da muss man seefest sein, sonst füttert man dauernd die Fische
Also Spass beiseite:
Hier gibt es eine interessante Webseite mit Fotos und Daten, wobei eine Korrelation zwischen Windstärken und Wellen gezeigt wird. Sehr interessant!
http://www.norwegen-portal.de/Sicherhei ... ellen.html
Meine Faustregel ist ähnlich: erste vereinzelte Schaumkronen bereits bei Bf 4, verbreitet Schaumkronen Bf 5, ganze Schaumkronen-Kaskaden Bf 6, mit einzelnen Gischtspritzern. Deutlicher Wellengang mit Gischt geht schon gg. Bf 8 und so ab Bf 9 / 10 beginnt die Gischt zu fliegen und zu peitschen. Bei Bf 11-12 (Orkanstärke) herrscht die Gefahr von Mastbruch, Mann über Bord, oder gar ein Kentern....
Noch zum Vorfall / Microburstverdachtsfall vom 24.06.2016. Ich war mit Bernhard Oker unterwegs und kontrollierten regelmässig das Donnerradar, bzw. auch die Entwicklung der Gewitter von Sargans her kommend in Richtung Zürichsee; und ich zumindest äusserte den Eindruck, dass die Hauptströmung eigentlich aus Westen / Südwesten kam, also präfrontal und gemäss den Modellen im Grunde "richtig". Doch die Ausdehnung der Gewitter und der erwähnte Zusammenschluss zweier Kerne sah für mich so aus, als würden sich die Gewitter nach Westen / Bordwesten "fressen", vorarbeiten, so wie man dies vergleichsweise bei retrograden (z.B. V-Shape) Entwicklungen oft beobachten kann. Der Auslösepunkt verschiebt sich dabei in Wind- und Hauptanströmrichtung. Um also die offen Fragen zum Ereignis zu klären empfehle ich das zu dieser Zeit herrschende vertikale Windprofil zu überprüfen, mit den in der oberen Grafik angezeigten, durch die Orografie begünstigten Kanalisierungen....
Gruss Cyrill