Hier mein versprochener Bericht zum Extremwetterkongress in Hamburg:
Insgesamt gesehen, vor allem wenn ich mir wie jetzt meine gemachten Notizen noch einmal vor Augen führe, waren die Vorträge äusserst informativ und interessant.
Bezüglich der Organisation muss ich leider auch etwas meckern. Wie bereits Willi von Willi angesprochen, wurden diverse Änderungen ad-hoc vollzogen, so stimmte der Zeitplan oftmals nicht mit dem des Programms überein. Zudem sind uns besonders die gelangweilten SchülerInnen aufgefallen, welche offenbar unfreiwillig teilgenommen und damit nicht zum Kongress gepasst haben. Die paar Informationsstände, welche vorhanden waren, kann ich nicht näher beurteilen.. hab sie links liegen gelassen.. ist eh nur Marketing..
Aber wie schon gesagt, ein grosses Plus war die Tatsache, dass für die Vorträge durchwegs nahmhafte Exponenten aus Wirtschaft und Wissenschaft zum Thema Extremwetter gewonnen werden konnten. Es referierten zum Beispiel Lars Lowinski, Thomas Sävert, Dr. Bernold Feuerstein, Dr. Gerhard Steinhorst, Jörg Kachelmann, Dr. Mojib Latif, Arved Fuchs, Martin Hubrig, etc.
Folgende Informationen sind Auszüge aus meinen Notizen zu den Vorträgen. Ich hoffe, ich zitiere richtig und gebe die wichtigsten Informationen wider. Sonst einfach sagen und ich korrigiere.
Extremwetter im Klimawandel (Prof. Dr. Mojib Latif, Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, Uni Kiel)
- Globaltemperatur hat in den letzten 100 Jahren um ca. 0.8° C zugenommen (davon sind geschätzte 0.5°/0.6° C vom Menschen verursacht)
- Erwärmung in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts v.a. auf natürliche Ursachen zurückzuführen
- Erwärmung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts v.a. auf die Industrialisierung/CO2-Ausstoss zurückzuführen (verzögert)
- Rückgang des arktischen Meereises seit 1970 um ca. 20%
- Hurricane-Aktivität ist von einem natürlichen Zyklus abhängig (SST, thermaline Zirkulation); Warm-/Kaltphasen wechseln sich im 30-50 Jahrerhythmus ab; momentan sind wir in einer natürlichen Warmphase => zusammen mit globaler Erwärmung erleben wir zurzeit besonders starke Hurricane-Saisons
- Verschiedene Szenarien von CO2-Emissionsentwicklungen und verschiedene Modelle mit entsprechend verschiedenen Modellergebnisbreiten (Unsicherheiten) lassen vermuten, dass die globale Temperatur bis 2100 um mindestens 1.4° C ansteigen wird, so oder so (könnte auch bis 5.8° C sein)
- Erwärmung der Arktis/Nordhalbkugel stärker als Erwärmung der Antarktis/Südhalbkugel
- Erwärmung über Land stärker als über Wasser
- Allein durch thermische Expansion wird der Meeresspiegel bis 2100 um mind. 10cm, höchstens 80cm steigen (ohne Schmelzeis)
- Globale und regionale Modelle sehen für Europa: mehr Hitzewellen, längere Trockenperioden (Dürren), nassere Winter, mehr Extremniederschlagsereignisse (Überschwemmungen)
Naturkatastrophen und Klimaänderung – Trends, Schadenpotentiale und Handlungsoptionen der Versicherungswirtschaft (Tobias Grimm, Münchener Rück)
- Hurricane Katrina (25.-30.08.2005) hatte den grössten versicherten Schaden durch ein Einzelereignis aller Zeiten! Es war der sechststärkste Hurricane seit Beginn der Messungen (im Nordatlantik)!
...=> Volkswirtschaftliche Schäden in Mio. US$: 125’000
...=> Versicherte Schäden in Mio. US$: 60’000
...=> Tote: > 1’300
- Frequenz und Intensität der Hurricanes, aber auch der trop. Stürme überhaupt haben zugenommen (Anmerkung: dies steht in leichtem Widerspruch zu den Aussagen von Thomas Sävert)
- Seit 1970 ansteigende Meeresoberflächen-Temperaturen in allen Ozeanbecken mit Wirbelsturmaktivität => Tropische Stürme sowohl im Nord-Atlantik wie auch im Nordwest-Pazifik haben seit damals bereits um ca. 50% zugenommen was die Dauer und die Intensität betrifft
- Mit hoher Wahrscheinlichkeit (> 90%) hat der menschl. Einfluss das Risiko einer Hitzewelle wie 2003 in Europa wenigstens verdoppelt (Anmerkung: ich frage mich, wie so was berechnet werden kann..)
Gefangen im Eis (Arved Fuchs, Polarforscher und Expeditionsleiter)
- „Wetterextreme sind relativ in Abhängigkeit vom Standpunkt des Betrachters“
- Habe noch einen interessanten Bericht im Internet gefunden bezüglich der Vergletscherung in der (Ant)arktis in Zusammenhang mit der Klimaerwärmung:
http://www.8ung.at/janikdeutscher/geo_s ... albard.htm
Hurrikane (Thomas Sävert)
- Nebst den Informationen, welche uns bereits bekannt sein dürften bezüglich Vorkommen, Entstehungsbedingungen, Ablauf, Zugbahn und typische Gefahrenpotentiale eines Hurricanes, gab es auch noch ein paar vielleicht weniger bekannte Infos, wie z.B.: Tornados in Hurricanes sind bei Landfall v.a. im rechten oberen Quadranten zu erwarten, weil dort dann die optimalste Windscherung vorherrscht (Hurricane Ivan 2004 hält mit 117 Tornados den bisherigen Rekord)
- Langsam ziehende Hurricanes können sich selber behindern, da sie in Interaktion mit ihrem eigenen kühlen Fahrwasser geraten
- Die Entwicklung der atlantischen Sturmsaison wirkt sich wirtschaftlich gesehen weltweit aus (Rohölpreise)
- Der Einfluss der globalen Erwärmung auf die Entwicklung von trop. Stürmen ist noch weitgehend unbekannt/ungesichert
Tornados (Lars Lowinski)
- Auch hier gab es nebst Basic-Infos zu Superzellen auch ein paar alternative/tiefergreifende Wissenshappen
- Zutaten für die Genese eines Superzellen-Tornados:
...> Mesozyklone (logo bei Superzelle!)
...> Viel bodennahe Windscherung
...> RFD (bringt Rotation in Bodennähe)
- Zutaten für die Genese eines NICHT-Superzellen-Tornados:
...> markante Windkonvergenz (horizontale Windscherung)
...> wenig vertikale Windscherung
...> Misozyklone (Wirbel aufgrund horizontaler Windscherung) => wird durch Aufwind gestreckt
- Klimatologie:
...> ca. 10-20 Tornados (oder mehr) pro Jahr in Deutschland
...> ca. 300 Tornados pro Jahr in Europa
...> ca. 1000-2000 Tornados pro Jahr in den USA
...> globale Erwärmung: momentan noch kein Trend der Zunahme von Tornados erkennbar
Extremwetter auch in Deutschland? (Daniela Jacob, Leitung der regionalen Klimamodellierung am Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg)
- Hohe Modell-Auflösung ist gerade für den Niederschlag wichtig (bei Temperatur weniger wichtig)
- Das Max-Planck-Institut für Meteorologie wird im kommenden Mai für Mitteleuropa drei Klimaänderungsszenarien (bis Ende Jahrhundert) und die Nachberechnung der Vergangenheit in der Auflösung von 10 x 10km öffentlich verfügbar machen
- Zukunftsprognose:
...> Zahl heisser Tage und der Perioden mit Temperaturen über 25° C werden zunehmen
...> Sommerliche Starkniederschläge werden häufiger und heftiger
...> Niedrigwasserperioden (bis 20 Tage) werden zunehmen
...> Leichte Tendenz zu intensiveren Stürmen, aber nicht wesentlich häufiger
Unwettererkennung und –warnung am Beispiel Skywarn Deutschland (Bernold Feuerstein, Max-Planck-Institut für Kernphysik)
- Prinzip: Kombination Fernerkundung (Sat, Radar) und Augenbeobachtung
- Zurzeit 81 zertifizierte Advanced Spotter für die Übermittlung von Beobachtungen in Echtzeit (=> Warnmeldungen)
- Ca. 100 Basic Spotter für spätere Verifikation, Analysen
- Advanced Spotter müssen melden:
...> Tornados
...> Blindtromben (= Funnels)
...> Wall Clouds
...> Downbursts >= 90 km/h
...> Hagel >= 1.5cm Durchmesser
...> Sturzfluten (Flash Flood)
- Zukunft von Skywarn:
...> Weitere Zertifizierung von Advanced Spottern
...> Verbesserung des Meldesystems (Meldeschlüssel, Ortserkennung)
...> Ausbau der Bildungsangebote (Medien, Schulen, Kurse, Workshops)
...> Kooperation mit TorDACH, Estofex und ESSL
Abschätzung von Tornado- und Downburstintensitäten anhand von Vegetationsschäden (Martin Hubrig, Forstwart)
- Schadensarten an Bäumen und Waldbeständen:
...> Windwurf (Entwurzelung)
...> Windbruch (Hauptwurzelsystem bleibt unter der Erde)
...> Druckschäden (irreversibles Umbiegen von Bäumen) => eher selten
...> „Herausreissen“ bei starken Tornados
...> Entrindung bei verheerenden Tornados durch den sog. Sandstrahleffekt (kommt bei Downbursts nicht vor)
- Stabilitätsparameter bei Einzelbäumen:
...> Fäulnis?
...> H/D-Wert: Relation von Baumhöhe zu Baumdurchmesser in Brusthöhe (kritischer Wert: 50)
...> Baumart: Laubbäume sind im Allgemeinen stabiler als Nadelbäume (auch in belaubtem Zustand während der Vegetationszeit!)
...> Wurzelsystem: Hängt von Baumart und Bodenbeschaffenheit ab
...> Baumhöhe und Habitus: Stammform, Kronenform, Kronenstruktur
- Stabilitätsparameter bei Waldbeständen:
...> Höhe und Alter
...> H/D-Wert: kritischer Wert ab 80 (bei >20m hohen Bäumen)
...> Charakteristika wie Dichte, Struktur, Behandlung, Artenmischung, Standortbedingungen, etc.
- Die Stabilität eines Einzelbaumes ist grösser als die des kollektiven Stützgefüges eines Waldbestandes!
- Bei niedrigen Sturmstärken (bis T2/F1) sind die Standort-Bedingungen und die Holzfäule von Einzelbäumen im allgemeinen gute Indikatoren
- Bei Sturmstärken bis zu T4/F2 erlauben zudem Schadensstruktur und –ausmass von Waldbeständen eine angemessene Einschätzung/Differenzierung bezüglich der Klassifizierung
- Bei Sturmstärken oberhalb T4/F2 geben Schäden an stabilen Waldrändern und/oder Einzelbäumen eine weitere Differenzierung bis zu T6/F3
- Die Entrindung aufgrund des Sandstrahl-Effekts ist ein zuverlässiges Kriterium ab T8/F4
Meteorologische Messungen unter Extrembedingungen (Jörg Kachelmann, Meteomedia AG)
- Die höchste Wetterstation der Alpen steht auf 3883m auf dem kleinen Matterhorn
- Funtensee: Karmulde, windgeschützt, hochgelegen (1601m), schattig => tiefste gemessene Temperatur in Deutschland: -45.9° C am 24.12.2001
- Beim Landfall von Hurricane Katrina fielen infolge von Stromausfällen auch zahlreiche Messstationen aus => Meteomedia plant für die kommende Saison das Aufstellen von stabilen Windsensoren in der Zugbahn von Hurricanes (bei Landfall)
- Meteomedia plant ein hochaufgelöstes Wettermodell im Format 1 x 1km für die Schweiz! (sofern ich das richtig aufgeschnappt habe)
Zu all den Vorträgen wurde auch die Sturmflut vor 44 Jahren behandelt (da war ich allerdings bereits nicht mehr dabei) und das Klimahaus Bremerhaven vorgestellt:
http://www.klimahaus-bremerhaven.de/
Soweit ein Teil meiner Notizen..

Unter folgenden Links findet ihr weitere Berichte, Photos und Videoausschnitte von Teilnehmern:
http://www.wetter-zentrale.com/cgi-bin/ ... ead=833575
http://www.wetter-zentrale.com/cgi-bin/ ... ead=834053
http://www.wetter-zentrale.com/cgi-bin/ ... ead=833771
http://www.wetter-zentrale.com/cgi-bin/ ... ead=834219
http://www.skywarn.de/forum/viewtopic.php?t=1543
http://www.reh-ev.de/extremwetter/
Und die Scripts der Vorträge sollen irgendwann ja auch noch online verfügbar gemacht werden..
Gruss Chrigi
PS: Den Wetterfuchs habe ich auch kennenlernen dürfen. Ist ein ganz symphatischer Zeitgenosse!
PS 2: Über Jörg Kachelmann’s unterschwelligen Humor und seine Seitenhiebe gegen den DWD kann man ja geteilter Meinung sein.. ich war jedenfalls amüsiert (zumal er bei Dr. Gerhard Steinhorst (DWD) einen nicht minder schlagfertigen Gegenpart gefunden hatte).. leider hat die Podiumsdiskussion zum Thema „Warnen wir zuviel?“ soweit ich das mitverfolgt habe nicht sonderlich gefruchtet (wie erwartet?)
- Editiert von Christian Matthys am 23.02.2006, 01:14 -