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Einfluss von Gebirgszügen auf Tornados und Superzellen

Grundlagen und Expertenwissen.
Mordor_
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Einfluss von Gebirgszügen auf Tornados und Superzellen

Beitrag von Mordor_ »

Hallo,

also das Thema mit dem Wald haben wir durch. Jetzt habe ich aber noch einen Punkt der mich interessieren würde. Haben denn große und mächtige Gebirgszüge einen Einfluss auf die Entstehung von Tornados und superzellen? Diese sind ja relativ hoch und ausserdem sehr massiv. Den Alpen wird ja beispielsweise auch eine Schutzfunktion zugesprochen. Deshalb soll es bei uns nicht ganz so extrem sein wie in den USA.... Angeblich sollen die Alpen feuchte-warme und kühle Luftmassen trennen und daher vorbeugend oder zumindest in der stärke hemmend wirken. Stimmt das? Wie sieht das Spiel denn in stark gebirgigen unregelmäßigen Landschaften aus?
Zuletzt geändert von Severestorms am Di 19. Jun 2012, 12:54, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Titel leicht angepasst

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Willi
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Re: Gebirgszüge - Superzellen/Tornados

Beitrag von Willi »

Hallo Mordor

Ja du hast recht, Gebirge haben einen grossen und vielfältigen Einfluss auf die Häufigkeit, regionale Verteilung, Stärke und Struktur von Superzellen und Tornados. Es ist kein Zufall, dass Superzellen/Tornados im Lee von grossen Gebirgszügen besonders häufig sind, Beispiele:
- im Osten der Rocky Mountains in den USA
- in der Po-Ebene
- im SE der Karpathen (Rumänien)

Der Einfluss ist also indirekt. Ein Gebirge modifiziert die Luftströmung/Luftschichtung so, dass Superzellen/Tornados entweder gefördert, in ihrer Struktur verändert oder auch unterdrückt werden. In den niederen Luftschichten wirken Gebirge kanalisierend/blockierend, so kann der Zustrom von feuchten Luftmassen aus Süden im Osten eines Gebirges gefördert werden. In den höheren Luftschichten kann andererseits kühle und abgetrocknete Höhenluft ein Gebirge ungehindert überströmen und zusätzlich die Luftschichtung im Lee labilisieren. Nicht nur die Stabilität ist ein Faktor, sondern natürlich auch das dabei entstehende Windprofil. Die Scherung kann zunehmen und so Superzellen/Tornado-fördernd sein, und die Drehung des Windes mit der Höhe kann die Art der entstehenden Superzellen/Tornados beeinflussen (rechtsziehend oder auch linksziehend).

Dies sind nur einige von zahlreichen möglichen Effekten. Habe mit Google so auf die Schnelle keine erschöpfende Abhandlung des Themas gefunden. Es gibt aber eine grosse Zahl von Publikationen, meist geht es dabei um eine einzelne Region.

Gruss Willi
Zuletzt geändert von Willi am Di 5. Jun 2012, 10:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Michael (Seon)
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Re: Gebirgszüge - Superzellen/Tornados

Beitrag von Michael (Seon) »

Im englischsprachigen Wikipedia-Artikel Tornado myths gibt es einen kleinen Abschnitt zu Gebirge. Natürlich ist die Tornado-Häufigkeit direkt in hohem Gebirge niedriger, gänzlich verhindert werden Tornados durch Gebirge aber nicht. Im Artikel wird erwähnt, dass auf 3700 m schon ein Tornado beobachtet wurde, oder ein anderer 910 m Höhendifferenz überwinden konnte.
Der Artikel ist auch sonst ganz interessant.
Zuletzt geändert von Michael (Seon) am Di 5. Jun 2012, 11:01, insgesamt 1-mal geändert.

Mordor_
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Re: Gebirgszüge - Superzellen/Tornados

Beitrag von Mordor_ »

Vielen Dank, das klingt einleuchtend.
Aber ist es nicht so, dass es im Lee der Gebirge eher hemmende Effekte gibt? Beispielsweise die Alpen. Hier wird der Süden Bayerns ja doch etwas abgeschirmt so wie ich das in der Tornadokarte lesen kann. Das kommt vermutlich auf den Standpunkt an, oder? Also wenn feuchte Luft um Süden her weht ist wohl der Südteil der Alpen sehr gefährdet, während der nörliche Teil (Deutschland) etwas abgeschirmt wird, oder?

@Michael: Das ist klar, ganz verhindern werden auf Gebirge Tornados nicht. Aber man kann allgemein schon behaupten, dass für die Entstehung eher große Flachländer von Vorteil sind und Gebirge doch eher ein Hindernis darstellen, oder?

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Willi
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Re: Gebirgszüge - Superzellen/Tornados

Beitrag von Willi »

@Mordor, ja, bestimmt. Die Luftströmung 0-2 km dürfte in Bayern bei SW-Lagen oft abgeschirmt sein, genauso wie in der Zentral- und Ostschweiz. Dies bedeutet auch eine geringere Scherung und wohl auch eine geringere Häufigkeit von Superzellen-Tornados, da ja bei diesen die Scherung 0-2 km ein wichtiger Faktor ist. Der Jura ist bei SW-Lagen exponierter, deshalb dort eher eine Neigung zu grossen Tornados als weiter im Osten.

Und die feuchte Bodenluft muss Umwege machen, über die Alpen kommt sie nur als trockene Föhnluft. Dann halt aus SW über Nord bis Osten, oder auch hausgemacht, je nach Wetterlage.

Gruss Willi
Zuletzt geändert von Willi am Di 5. Jun 2012, 11:48, insgesamt 2-mal geändert.
Gruss Willi
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Willi
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Re: Gebirgszüge - Superzellen/Tornados

Beitrag von Willi »

Aber ist es nicht so, dass es im Lee der Gebirge eher hemmende Effekte gibt?
Ehm, muss meine Antwort nochmals präzisieren. Es kommt drauf an, auf was sich das "Lee" eines Gebirges bezieht, ob auf die Bodenströmung oder die Höhenströmung. Die Po-Ebene beispielsweise ist im Lee der Alpen, bezogen auf eine Höhenströmung aus West-NW, andererseits aber durchaus offen für Zufuhr feuchter Bodenluft aus Ost, SE-SW Südosten (Quelle: erwärmtes Mittelmeer). Das ist die Situation, die Superzellen/Tornados begünstigt. Dieselbe Konfiguration, auf die Alpennordseite bezogen, ist in der Tat selten (trockene Höhenströmung aus Südost, Zufuhr feuchter Bodenluft aus Norden).

So gesehen, können Gebirge eine verstärkende oder hemmende Wirkung haben, je nach Standort, Distanz zum Gebirge, Orientierung der Luftströmungen etc.

Gruss Willi
Zuletzt geändert von Willi am Di 5. Jun 2012, 15:37, insgesamt 2-mal geändert.
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Severestorms
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Re: Gebirgszüge - Superzellen/Tornados

Beitrag von Severestorms »

Mordor_ hat geschrieben:man kann allgemein schon behaupten, dass für die Entstehung eher große Flachländer von Vorteil sind und Gebirge doch eher ein Hindernis darstellen, oder?
Das kannst du leider nicht so pauschal sagen. Bei den Tornados musst du erst mal zwischen Superzellen-Tornados und Nicht-Superzellen-Tornados unterscheiden, da deren Entstehungsprozesse unterschiedlich sind.

Im Folgenden beziehe ich mich auf superzellulare Tornados (Typ I).

Für Superzellentornados braucht es selbstverständlich eine Superzelle. Also gilt es, sein Augenmerk zunächst einmal darauf zu richten, wo im Umfeld eines Gebirges bei welcher Grosswetterlage und welchen Luftströmungen am ehesten Superzellen entstehen können. Direkt im Lee von grossen Gebirgen ist es vermutlich zu trocken und zu scherungsgeschützt. Aber etwas weiter weg davon könnte es zu einer perfekten Kombination von Superzellenzutaten kommen, wo der Föhn entscheidend mitwirkt (Labilisierung, Konvergenzen).

Es dürfte bekannt sein, dass für die Entstehung von Superzellen ein kontinuierlicher Zustrom an feuchtlabiler Luft in Bodennähe förderlich, ja eigentlich Bedingung ist. Bei einer klasssischen Gewitterlage (Trog Westeuropa) befinden wir (Alpennordseite) uns im Lee. Die spezielle Lage des Alpenbogens behindert aber ein Zustrom feuchtlabiler Luft aus dem Mittelmeer, was als Hauptproblem in der gehemmten Superzellengenese direkt an der Nordseite der Alpen gesehen werden kann. Wie durch Willi angesprochen, sieht es da im Jura schon etwas besser aus. Die Mittelmeerfeuchte wird bei einer Südwestlage das Rhonetal hinauftransportiert und gelangt auf direktem Weg an den Jurasüdfuss. Die Erhebungen des Juras könnten die Scherung in den unteren Luftschichten zudem positiv beeinflussen/modifizieren (Richtungsscherung, Helizität), was vermutlich vor allem die Entwicklung von Tornados begünstigen sollte.

Dies mal meine Gedanken zu Superzellen und Superzellentornados auf der Alpennordseite.

Ein paar Gedanken zu Tornados im Alpenraum sind auch ganz unten im folgenden Blogeintrag von Felix Welzenbach zu finden:
http://www.wetteran.de/newsblog/87-kronestellungnahme

Gruss Chris
Zuletzt geändert von Severestorms am Di 5. Jun 2012, 15:34, insgesamt 1-mal geändert.
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Mordor_
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Re: Einfluss von Gebirgszügen auf Tornados und Superzellen

Beitrag von Mordor_ »

Hallo,

jetzt habe ich mich in letzter Zeit nochmals intensiver in das Thema Superzellen eingelesen. Wichtig ist ja hier offenbar die Windscherung um Auf / Abwind zu trennen, damit der kühle Abwind den Aufwind nicht stört. "Normale" Gewitterzellen schwächen sich ja dadurch automatisch. Können denn größere Hügel / Gebirge oder gar Hochgebirge ebenfalls einen Einfluss auf die Windscherung ausüben?
Habe beispielsweise in einem Artikel über Gleitschirmfliegen gelesen, dass aufsteigende Thermik den Höhenwind bremsen kann. Könnte die durch Berge erzwungene Hebung nicht ebenfalls den Höhenwind und damit die scherung mildern? Oder gibt es noch andere denkbare Effekte, welche einen hemmenden Einfluss auf die Windscherung ausüben könnte?

Severestorms
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Re: Einfluss von Gebirgszügen auf Tornados und Superzellen

Beitrag von Severestorms »

Hier noch ein schönes Beispiel eines kürzlich aufgetretenen Tornados im Hochgebirge.

Vor etwas mehr als einer Woche (am 28. Juli 2012) wurde in den Rocky Mountains in der Nähe des Mt. Evans (Colorado) auf knapp 4000 m über Meer ein EF-0 Tornado dokumentiert. Gemäss Angaben des NWS handelt es sich dabei wahrscheinlich um den "zweithöchsten" jemals in den USA registrierten Tornado.

Bild
© Karen Goodwin (Twitter: @TravelDispatch) / Quelle: http://www.tornadotitans.com

Links:
http://www.tornadotitans.com/wordpress/ ... ncredible/
http://www.thedenverchannel.com/weather ... etail.html
http://weatherist.com/blog/2012/07/31/h ... nado-video
http://cimss.ssec.wisc.edu/goes/blog/archives/10920
http://originalweatherblog.blogspot.ch/ ... erday.html
http://www.examiner.com/slideshow/torna ... untry-rare

Ein Video davon gibts auch:
http://www.youtube.com/watch?feature=pl ... C_5c1gUJjs

Es gibt also auch Tornados und Superzellen oberhalb der Baumgrenze, auch wenn sie (höchstwahrscheinlich) selten sind.

Nichtsdestotrotz: Gerade im Hochgebirge dürften die meisten Tornados unentdeckt bleiben.
1. Wegen der geringen Population
2. Wegen den vielen Sichthindernissen
3. oberhalb der Baumgrenze mangels Schadensspuren und unterhalb der Baumgrenze aufgrund schwer oder unzugänglicher Regionen

Gruss Chris
Zuletzt geändert von Severestorms am Di 7. Aug 2012, 11:37, insgesamt 2-mal geändert.
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Mordor_
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Re: Einfluss von Gebirgszügen auf Tornados und Superzellen

Beitrag von Mordor_ »

Vielen Dank für die Info ;-)
Klar unter extremen Bedinungen wird wohl immer irgendwo ein Tornado entstehen können. Das ist mir mittlerweile klar ;-)
Aber nochmal ne andere Frage. Habe noch ein wenig weitergeforscht... Bayern hat ja relativ viele Superzellen, aber wenige Tornados. Manche erklären dies mit der häufig hohen Wolkenbasis (lcl) bei bayrischen Superzellen. Also dass der Aufwindturm relativ weit von der Bodenoberfläche entfernt ist und ausserdem soll es in Bayern geringe bodennahe Scherung geben. Wovon hängt dies eigentlich ab? Gibts da vllt. Topographische Effekte? Auffällig ist ja dass die Tornadohäufigkeit mit zunehmender entfernung zum Gebirge ansteigt....

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