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Gedanken zum Alpenklima - Tagebucheintrag

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Felix Welzenbach
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Gedanken zum Alpenklima - Tagebucheintrag

Beitrag von Felix Welzenbach »

Hallo,
basierend auf mein Wettertagebuch heute folgende Gedanken zum Alpenklima.

12.55

Die Alpen sind vom synoptischen Geschehen völlig abgekoppelt. Das Inntal hat seine eigene Talatmosphäre, die sich etwa durch die Erwärmung in der Höhe infolge großräumiger Warmluftadvektion nicht stören lässt. Natürlich sollte beachtet werden, dass die Schichtung der Luftmasse stabil bleibt. Dann sammelt sich dauerhaft kalte Luft in Bodennähe und wärmere Luft darüber an. Da das Talwindsystem thermisch angetrieben wird, sinkt die Kaltluft jede Nacht von den Hängen ab und fließt das Tal hinaus. Im Inntal führt das nachts zu Westwind, der auch tagsüber anhält, da die tageszeitliche Einstrahlung um diese Jahreszeit ein Minimum erreicht und derzeit nur langsam wieder zunimmt. So reichen auch über sechs Stunden Sonne nicht aus, um länger als zwei Stunden für Taleinwind sorgen. Ab den Nachmittagsstunden verstärkt sich dann das Ausfließen wieder, da es rasch abkühlt.
Seit über einer Woche sinken die Temperaturen nachts unter -14°C am Flughafen, in der Innenstadt wegen Stadteffekt 4-5K höher. Wo sind die Gründe für diese derartig massive Abkühlung zu suchen,wo doch in der Höhe schon Plusgrade gemessen werden (+3 bis +4 in 850hPa) ? Nun , da wäre zum einen die sehr stabile Schichtung mit trockenen Luftmassen zu nennen, welche für dauerhaft klare Nächte und fehlende Durchmischung verantwortlich ist. Die schwere Kaltluft sammelt sich am Boden und kann dort kräftig auskühlen. Zusätzlich aber liegt in Innsbruck sowie im ganzen Inntal weiterhin eine Pulverschneedecke, bestehend aus drei markanten Schichten. Die erste ist eine Eisschicht mit dem Novemberschnee, die zweite eine ca. 20cm dicke Pulverschneedecke von dem Schnee vor Weihnachten und das dritte eine weitere 20cm dicke , überwiegend pulvrige Schneedecke vom Schnee zum Jahreswechsel. Natürlich hat sich das ganze in den letzten Tagen durch Sonneneinstrahlung und Auskühlung immer wieder gesetzt, sodass netto noch 20-30cm Schneehöhe vorhanden sind. Die Kombination aus Pulverschnee und starker Bereifung (bis zu 2cm stellenweise!) hat jedoch eine hohe Albedo zur Folge, was die Ausstrahlung nachts erheblich erhöht und gleichzeitig durch den hohen Luftanteil im lockeren Schnee vom Bodenwärmestrom isoliert. Es findet demnach so gut wie keine Erwärmung statt, weder von unten noch von oben.
Dennoch tritt ein für diese Jahreszeit beachtlicher Tagesgang auf, den ich in dieser Form noch nicht erlebt habe. Trotz Minima unter -15°C schwankt das Maximum um -1°C. Im Flachland wäre so etwas undenkbar - jedenfalls um diese Jahreszeit. Auch hierfür kann die spezielle Talatmosphäre verantwortlich gemacht werden. Das Luftvolumen in einem (engen) Tal kann viel rascher und weiter abgekühlt werden als das im Flachland, da es viel kleiner ist. Entsprechend sind die Minima bei eingeflossener Polarluft und stabilen Verhältnissen in den Alpentälern niedriger als im Flachland. Selbiges auch im Sommer, weshalb sich die Schwüle in den Alpen nachts nicht so bemerkbar macht und eher angenehme Schlaftemperaturen herrschen. Umgekehrt erwärmt sich das Luftvolumen tagsüber auch rascher und stärker als im Flachland, sodass sich aus der Kombination von beidem relativ hohe tageszeitliche Schwankungen ergeben, die sich auch auf den Luftdruck vor Ort auswirken.
Die Alpen atmen - tagsüber saugen die Nebentäler die Luft aus den Tälern und die Täler die Luft aus dem Flachland an, der Druck fällt relativ zum Flachland stärker wegen der stärkeren Erwärmung, ein Druckgefälle vom Tal zum Berg entsteht , sowohl in der Talsohle als auch am Hang. Das thermisch verursachte Aufsteigen von Luftpaketen am Hang wird durch Absteigen in der Talmitte kompensiert. Im Sommer bilden sich die typischen Cumuli über den Hängen und Gipfeln, vorwiegend dort wo topographisch eine konvergente Hangform vorliegt und/oder viel Wald mit höherer Absorption von Sonnenlicht gegenüber kahleren Regionen. Darum regnen sich viele tagsüber entstandenen Sommergewitter zunächst in den Bergen aus, in der Talmitte ist der Niederschlag geringer. Kommt Dynamik hinzu, gilt diese Gesetzmäßigkeit natürlich nicht mehr. Nachts geben die Täler Luft ab, durch die Auskühlung sammelt sich Kaltluft am Talende , das sich in Richtung Talausgang bewegt. Wegen der stärkeren Auskühlung im Tal und entsprechend relativ zum Flachland stärkerem Druckanstieg entsteht ein hydrostatisches Druckgefälle zum Talausgang hin. Talauswind weht. Thermisch getrieben sinkt die Kaltluft von den Hängen, kompensatorisch wirkt Aufsteigen in der Talmitte - weswegen besonders in der ersten Nachthälfte die Niederschläge zu jeder Jahreszeit in der Nacht ein Maximum haben, im Sommer trauen sich die Schauer und Gewitter ins Tal hinab, im Winter kann es teilweise die ganze Nacht durchschneien, wenn durch stärkeren Taleinwind orographische und/ oder durch ein Vorticitymaximum Hebung erzeugt wird.
So kommt es , dass hier in Innsbruck ein unabhängiges Klima geschaffen wird. Ein vom synoptischen Geschehen abgekoppeltes Alpenklima, das sich nicht dafür interessiert, ob es in der Höhe wärmer wird, solange es stabil bleibt. Selbst bei Südföhn , wie er kommende Woche greifbar zu werden scheint, sollte die eingeflossene Kaltluft einem Warmluftdurchbruch entgegenwirken. Dafür spräche die von Südosten hereinschwenkende Kaltluftblase in allen Schichten, die nochmals eine Verschärfung des Frosts und eine erneute Auffüllung des Inntals mit Kaltluft bewirken sollte (während derzeit die Kaltluft sehr seicht ist, vlg. den heutigen Radiosondenaufstieg von 4 Uhr MEZ mit -14,5°C in 584m und -7,5°C in 692m!) . Zwar wäre der Föhn sowohl hydrostatisch durch Kaltluft in der Poebene und Warmluftadvektion im Alpenvorland als auch synoptisch durch trogvorderseitige Südströmung gestützt, jedoch herrscht im Januar ein Föhnminimum in Innsbruck. Eine thermische Unterstützung des Föhndurchbruchs wäre allenfalls um die Mittagszeit gegeben, wenn das Sonnenstandmaximum zur Erodierung der Kaltluft führt. Jedoch sollte man nicht vergessen, dass durch die Schneedecke einiges an Energie zurückgestrahlt wird. Außerdem könnte durch die bei Föhn wirkende Absinkkomponente und höherer Verdunstung durch zunehmenden Wind stärkere Sublimationskälte auftreten, was der Erwärmung entgegenwirkt. Insgesamt ist daher ein Föhndurchbruch im Tal trotz für Föhn synoptisch und hydrostatisch günstige Faktoren eher unwahrscheinlich und wäre auch nur von kurzer Dauer, da die Auskühlung nach Sonnenuntergang erheblich bliebe. Die Kombination aus starker nächtlicher Auskühlung und synoptischen Druckfall westlich der Alpen verschärft allerdings den Druckgradienten mit Ausbildung eines Kältehochs über den Alpen weiter, als es die Modelle derzeit erfassen können. Das Kältehoch der letzten Tage mit über 1043hPa Kerndruck über den Ostalpen hat kein Modell in petto gehabt. Schafft es der Föhn kommende Woche , sollte sich die entsprechende Wetterlage einstellen, tatsächlich, durchzubrechen? Spannende Frage.
Gruß Felix

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Alfred
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Gedanken zum Alpenklima - Tagebucheintrag

Beitrag von Alfred »

@Felix, sali

Wie ist es bei Innsbruck mit dem Nebel? Du schreibst oben von starker Bereifung, d.h. Luftfeuchte
ist also vorhanden. Wird die mit dem Abfliessen jeweils auch total Talauswärts transportiert?
Ich sehe im gegensatz zu uns, bei euch in letzter Zeit kaum Nebel (z.B. heute Morgen 0950Z).

Viele Grüsse, Alfred
[hr]


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Felix Welzenbach
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Gedanken zum Alpenklima - Tagebucheintrag

Beitrag von Felix Welzenbach »

Salut Alfred,

durch Ausfließen wird die Feuchtigkeit ebenfalls abtransportiert. Am frühen Morgen bildet sich daher, wenn überhaupt , nur eine ganz flache Nebelschicht aus , die dann bald verschwindet. Wesentlich mehr Nebel und Hochnebel gibt es bei Taleinwind, wenn die Feuchtigkeit im Tal gestaut und gehoben wird.

Gruß,
Felix
Gruß Felix

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Uwe/Eschlikon
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Gedanken zum Alpenklima - Tagebucheintrag

Beitrag von Uwe/Eschlikon »

Hallo Felix

Nebst der Abschirmung, ist durch die Massenerhebungen das Klima inneralpin viel kontinentaler als ausserhalb, da die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen der ihr umgebenden Luft viel grösser ist als im Flachland, daraus resultiert ganzjährig ein grosser Tagesgang der Temperatur. Somit sind auch im Winter 20°C Unterschied keine Seltenheit.

Gruss, Uwe

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Felix Welzenbach
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Beitrag von Felix Welzenbach »

Klappt allerdings nur,wenn die Kaltluft sehr seicht ist ,wie mir Fritz Föst vor ein paar Tagen geschrieben hat.
Bei negativen 850ern und dementsprechend Kaltluft bis kammniveau hätte es diesen Tagesgang nicht gegeben. So beschränkte sich die Kaltluft auf etwa 100-200m Dicke und wurde tagsüber relativ rasch aufgeheizt.
Gruß Felix

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Uwe/Eschlikon
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Gedanken zum Alpenklima - Tagebucheintrag

Beitrag von Uwe/Eschlikon »

Zwischen hohen Bergen hat quasi jeder Standort sein Mikroklima.
An südexponierten Hängen ist bei max. Sonnenscheindauer ein Tagesgang viel extremer als an jedem anderen Ort, sowieso wenn der Einfallswinkel optimal ist.

Die Unterschiede sind auf kleinem Raum schon früh morgens markant:

viewtopic.php?t=3507

Gruss, Uwe

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