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[NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

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Matt (8800 Thalwil)
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Matt (8800 Thalwil) »

Noch als Nachtrag zu meinem Beitrag hier: http://www.sturmforum.ch/viewtopic.php? ... 40#p186084

Ich war an diesem Freitagabend mit dem Rennvelo unterwegs. Ich fuhr von Thalwil Richtung Samstagern und hatte die Zelle über Einsiedeln immer im Blickfeld. In der Nähe von Schönenberg ZH (schwarzer Punkt in den Bildern unten) kam plötzlich starker Südwind auf. Gleichzeitig schloss sich die Wolkenwand zwischen der Zelle über Rüti und jener über Einsiedeln. Mir war bald klar, was der kräftige Outflow bedeutete: Es kam rasch zu einer Neubildung im Raum Horgen. Ich war also eingeklemmt und versuchte westwärts via Schönenberg und Hirzel auszuweichen. Interessanterweise fuhr ich längere Zeit im Grenzbereich der Inflow-Zone, hatte also abwechselnd Rücken- und Gegenwind. Auf der Höhe Horgen drehte der Outflow kräftig auf, und ich schaffte dadurch auf flacher Strecke locker 40 km/h. Einzelne, riesige Tropfen fielen während der letzten halben Stunde Fahrt. Dank dem flotten Rückenwind konnte ich sowohl dem Sturm (siehe Foto) und dem Platzregen gerade noch entkommen. :mrgreen:
Hatte keine Zeit die Rüti-Zelle genauer zu betrachten oder abzulichten, da ich fortwährend gleichzeitig Nowcasting und Routenplanung betreiben musste. :warm:

Nachträglich - mit Blick auf das Radarbild - ist mir auch klar, wieso über dem mittleren und unteren Zürichsee dermassen starker Wind und "Seegang" aufkommen konnte. Der Outflow der Zelle über Rüti und jener über Einsiedeln (später Horgen) haben sich durch Zimmerberg und Pfannenstiel kanalisiert über den See zürichwärts ergossen.

Bild
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Quelle: metradar.ch

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Gruess, Matt
Zuletzt geändert von Matt (8800 Thalwil) am Do 30. Jun 2016, 20:04, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Michi, Uster, 455 m »

Habe die Gegend vom Egelsee-Jona auch begutachtet. Auffällig ist das sehr lokale Schadensbild in einem vom SW- und Westwind topographisch geschütztem Gebiet. Die Windrichtung Ost durch den downburst scheint sehr ungewohnt. Ein Ahnwohner berichtete von ganz wenigen grossen Hagelkörnern in Verbindung mit nur schwachem regen und einem Wirbelwind! :lol: Die Scheune sei zudem 300jährig, unter Heimatschutz gewesen. Sie steht sehr exponiert nach Osten.


Severestorms
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Severestorms »

Danke Tinu und Michi für die Fotos und Informationen zum Fall Jona-Rapperswil!

@Tinu: Kannst du dein Handyvideo auch anderweitig zur Verfügung stellen (für diejenigen, welche kein Facebook haben)?

Danke und Gruss
Chris

PS: Der Vollständigkeit halber hier noch der Link zum Artikel in der ZSZ, ich glaube der wurde noch nicht genannt:
http://www.zsz.ch/obersee/grosse-schaed ... y/17736586
Zuletzt geändert von Severestorms am Fr 1. Jul 2016, 14:46, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Microwave »

@Severestorms, was waren das für Windgeschwindigkeiten gemäss deiner Erfahrung?
Würde mich mal interessieren, wie um alles in der Welt man so etwas hinkriegt....und vorallem derart scharf begrenzt!

Grüsse - Microwave
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Tinu (Männedorf) »

@Chris

Klar. Hier kann ich aber keine Videos hochladen, oder? Einen YT-Channel habe ich nicht...
PS: Der Artikel ist nicht von mir ;)
Zuletzt geändert von Tinu (Männedorf) am Fr 1. Jul 2016, 14:43, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Severestorms »

Microwave hat geschrieben:@Severestorms, was waren das für Windgeschwindigkeiten gemäss deiner Erfahrung?
Würde mich mal interessieren, wie um alles in der Welt man so etwas hinkriegt....und vorallem derart scharf begrenzt!

Grüsse - Microwave
Hallo Microwave

Eine Beurteilung anhand von Fotos alleine ist - ohne selbst vor Ort gewesen zu sein - immer schwierig. Ich würde in diesem Fall auch noch nicht definitiv von einem Microburst ausgehen. Möglich wäre natürlich auch ein kurzlebiger Tornado. Aber auch ein Microburst kann lokal eng begrenzte Schadensgebiete hervorrufen. Bei der Interpretation der Geschehnisse durch Augenzeugen muss man generell immer vorsichtig sein. Begriffe wie "Windhose", "Wirbelwind" oder "Schneise" werden von Laien nicht selten falsch verwendet und führen unter Umständen auf eine falsche Fährte.
Aber um auf deine Frage zurückzukommen nach der mutmasslichen Stärke des Windereignisses. Auf den Fotos von Tinu erkennt man, dass zumindest einige Bäume an der Wurzel schwach waren. Berücksichtigt man, dass die Gegend normalerweise eher windgeschützt bzw. Wind-unerprobt ist, dürften da also nicht zwingend extreme Windkräfte gewirkt haben, um die Bäume umzulegen. Nichtsdestotrotz, der Schaden an der Scheune ist in der Tat nicht ohne. Das Gebäude steht allerdings windexponiert und sowohl das Dach selbst wie auch Ziegel und Balken wurden nicht oder kaum verfrachtet. Daher gehe ich davon aus, dass dort ganz lokal eine starke Windböe unters Dach greifen und dieses anheben konnte (Hebelwirkung).

Bei der Scheune gehe ich von einer Windgeschwindigkeit in Orkanstärke aus (eher Low End F1).

Aber wie gesagt, man müsste die Situation vor Ort beurteilen und vor allem die Beschaffenheit des 300 Jahre alten Holzes mitberücksichtigen. Vielleicht war das Holz ja auch schon stark verwittert.

Gruss
Chris

@Tinu: Du kannst mir das Video mailen. Ich habe dir dazu gerade eine PM geschickt.
@Tinu2: Oh sorry, dachte der Artikel sei von dir selber. ;-) Habs angepasst.
Zuletzt geändert von Severestorms am Fr 1. Jul 2016, 14:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Chicken3gg
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Chicken3gg »

Noch zwei geniale Fotos der Genfer Zelle
https://www.facebook.com/severeweatherE ... 9240340502


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Cyrill
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Cyrill »

Microwave hat geschrieben:@Severestorms, was waren das für Windgeschwindigkeiten gemäss deiner Erfahrung?
Würde mich mal interessieren, wie um alles in der Welt man so etwas hinkriegt....und vorallem derart scharf begrenzt!

Grüsse - Microwave
Hoi Jonas

wie Du ja sicher weisst - und sicher auch einige andere hier im Forum - (z.B. aus dem Interview mit SRF DOK) bin ich schon als kleiner Junge mit meinem Vater auf dem Zürichsee gesegelt (ab ca. 6 Jahren), machte mit 11 Jahren an Regatten mit und gehörte ab 12 Jahren beinahe zur fixen Crew, bevor ich nach der Segelprüfung 1976 auf dem Thunersee (Hilterfingen) mich bei anderen Booten als Vorschoter anheuern liess, einfach auf der mir gut bekannten Klasse; "Lacustre" (eine schnittige Rennyacht). Vor allem bei Hochdruck- oder Föhnlagen kommen die lokalen Winde zum Zug, die je nach Tageszeit, zeitlich, als auch örtlich sehr begrenzt und in einer erstaunlichen Regelmässigkeit auftreten. Durch seine Form und geografische Lage, ist in dieser Hinsicht der Zürichsee sehr speziell (im Vergleich zu anderen Schweizer Binnengewässer).
So segeln man natürlich bei der Distanzregatta von Zürich nach Rapperswil wenn's geht die kürzeste Strecke, wenn man den Mut hat so nah wie möglich am Meilemer Stein vorbei zu kommen, bei dem schon viele Schiffe aufgelaufen sind. Aber, das funktioniert nur, wenn der "Bächler" stark und hoch hinein kommt und optimalerweise leicht achterlich, sodass man den Spinnaker bei Bf 1 schön fliegen lassen kann - und dann guckt die Konkurrenz in die Röhre. Aber der "Bächler" ist heimtückisch... Nun, beim Sonntagsausflug mit der Jolle braucht man dieses Wissen nicht, sondern ehr bei Regatten, wo es um Siegespokale geht.
Die lokalen Zürichseewinde werden taktisch eingesetzt und man ist klar im Vorteil diese zu kennen. Die Naturforschende Gesellschaft Zürich hat im Jahre 1926 eine Grafik zu diesem Thema zusammengestellt:

Bild
https://www.skipperguide.de/wiki/Die_Lo ... %BCrichsee

Die Orografie spielt dabei eine wesentliche Rolle. Insbesondere bei Gewitterlagen ist die Linienführung der Albiskette entscheidend und/oder der Bachtel, die Linthebene und die Glarnerregion, wenn eines dieser vor allem bei Seglern gefürchteten Ostgewitter (aus OSO) aufziehen, wie wir hier am 24.06.2016 ein solches Beispiel haben. Ich glaube es war 1977, als ich eines in dieser Stärke auf Höhe Wädenswil erlebte und am Bug für das Einholen der grossen Fock verantwortlich war, welche teilweise bereits ins Wasser eintauchte und durch das Gewicht immer schwerer wurde, während ich rittlings auf (!) der sonst seitlich angebrachten ZH-Nummer sass ! Das war sicher eine gute BF 8-9 und man kann die Windgeschwindigkeiten auch gut an der Gischt und am Wellengang (Dünung) auf Fotos erkennen, obwohl naturgemäss die Dünung auf dem Atlantik (ich habe dort rd. 120 Meter Länge von Wellenberg zu Wellenberg und rund 8-9 Meter Höhe erlebt, wo man trotz Bf 8 auf Vorwind mit dem kleinen Spinnaker von 350 qm segelte - der grosse mas rd 500 qm!) viel höher ist. Mittelmeer-Dünung bei Mistral habe ich bei Bf 10 bis Bf. 11 Spitzen schon 12 Meter hohe Wellen in einer rd. 25-30 Meter Dünung erlebt..... Da muss man seefest sein, sonst füttert man dauernd die Fische :lol:

Also Spass beiseite:
Hier gibt es eine interessante Webseite mit Fotos und Daten, wobei eine Korrelation zwischen Windstärken und Wellen gezeigt wird. Sehr interessant!
http://www.norwegen-portal.de/Sicherhei ... ellen.html

Meine Faustregel ist ähnlich: erste vereinzelte Schaumkronen bereits bei Bf 4, verbreitet Schaumkronen Bf 5, ganze Schaumkronen-Kaskaden Bf 6, mit einzelnen Gischtspritzern. Deutlicher Wellengang mit Gischt geht schon gg. Bf 8 und so ab Bf 9 / 10 beginnt die Gischt zu fliegen und zu peitschen. Bei Bf 11-12 (Orkanstärke) herrscht die Gefahr von Mastbruch, Mann über Bord, oder gar ein Kentern....

Noch zum Vorfall / Microburstverdachtsfall vom 24.06.2016. Ich war mit Bernhard Oker unterwegs und kontrollierten regelmässig das Donnerradar, bzw. auch die Entwicklung der Gewitter von Sargans her kommend in Richtung Zürichsee; und ich zumindest äusserte den Eindruck, dass die Hauptströmung eigentlich aus Westen / Südwesten kam, also präfrontal und gemäss den Modellen im Grunde "richtig". Doch die Ausdehnung der Gewitter und der erwähnte Zusammenschluss zweier Kerne sah für mich so aus, als würden sich die Gewitter nach Westen / Bordwesten "fressen", vorarbeiten, so wie man dies vergleichsweise bei retrograden (z.B. V-Shape) Entwicklungen oft beobachten kann. Der Auslösepunkt verschiebt sich dabei in Wind- und Hauptanströmrichtung. Um also die offen Fragen zum Ereignis zu klären empfehle ich das zu dieser Zeit herrschende vertikale Windprofil zu überprüfen, mit den in der oberen Grafik angezeigten, durch die Orografie begünstigten Kanalisierungen....

Gruss Cyrill
Zuletzt geändert von Cyrill am Fr 1. Jul 2016, 23:27, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Kaiko (Döttingen) »

Hoi zäme

Hier noch die Analyse der Roundshotkamera Wetzikon betreffend Microburst am Egelsee ZH.
In der Übersichtskarte sieht man in welchem Kamerabildsektor die ausgeprägten Fallstreifen aufgetreten sind.
Der Sektor passt genau mit dem Schadensgebiet beim Egelsee zusammen.
Bild

Folgende 3 Bilder hat die Roundshot am 24. Juni 2016 festgehalten
zu den Zeiten 20.00Uhr, 20:15Uhr und 20:30Uhr MESZ.
Bild
Quelle: http://gzo.roundshot.com/

Man sieht beim letzten Bild schön, wie der Microburst am Boden nach Westen wegfliesst.
Zudem spielt an dieser Stelle auch die Topografie ein Rolle, welche die Böen an Engstellen beschleunigt.
Das letzte Bild um 20:30Uhr ist auch verwackelt. Die Böen aus der Zelle haben zu diesem Zeitpunkt auch den Kamerastandort in Wetzikon erreicht.

Grüsse Kaiko
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Re: [NCST] Gewitter Freitag, 24.06.2016

Beitrag von Tinu (Männedorf) »

Wobei Chris sich nach Begutachtung des Schadensbildes glaub nicht mehr ganz so sicher ist bezüglich der Microburst-Theorie, wie er mir geschrieben hat. Vielleicht sollten wir zumindest die Möglichkeit eines kurzlebigen F1 doch noch in Betracht ziehen. Gewisse Aspekte im Schadensbild passen nämlich tatsächlich nicht in die Microburst-Theorie, resp. lassen Raum für Spekulation offen. Bin mal gespannt auf Chris' Fazit.
Tinu (Männedorf ZH, 422 m ü. M)
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