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BEOBACHTUNG: 23.05.05 : Ein Quasi-MCC, Struktur + Entwicklung

Geschrieben von: Wetterfuchs <mailto:Mbjaeneke@aol.com?subject=BEOBACHTUNG: 23.05.05 : Ein Quasi-MCC, Struktur + Entwicklung>
Datum: 24. Mai 2005, 18:33 Uhr


Die gestrige Situation wirkte elektisierend – wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Eigentlich war für die meisten (in Deutschland) das Thema Gewitter und mögliche Unwetter mit dem Vortag schon vorbei. Aber gestern gab es in meinen Augen dann doch „das“ Gewitterereignis der Wetterlage über Mitteleuropa : Ein Fast-MCC (Mesokaliger Konvektiver Komplex) im Bereich Tschechien/Slowakei/Österreich, so beeindruckend und „schön“, daß ich spontan mich entschloß Stunden dafür zu investieren, Daten über Daten nachträglich zu speichern und aufzubereiten. Hier nun ein (kleiner) Ausschnitt daraus, der zeigen soll, wie sich die Situation entwickelte und welche Strukturen dabei entstanden und warum sie so begeisterten.

Aufgrund der Boden-Analyse erstreckte sich gestern Mittag nordsüdwärts über dem östlichen Mitteleuropa eine langgestreckte, leicht wellende Kaltfront. Dahinter schob sich von den Azoren her ein Hochkeil in die westlichen Bereiche Mitteleuropas vor :

Boden-Analyse DWD 23.05.05 12 UTC :

Vor der Kaltfront (Richtung Osten) lag noch die vorher auch in Deutschland geherrschte labil geschichtete Warmluft. Die Kaltfront befand sich vorderseitig eines Kurzwellentroges über Frankreich, wobei sowohl Kaltfront als auch das warme Vorfeld in einer von Südsüdwesten nach Nordnordosten gerichteten Frontalzonenströmung lag, wie die folgende 300 hPa-Analyse von LME (DWD) zeigt :

LME-Analyse 300 hPa 23.05.05 12 UTC :

Diese Situation bedeutete, daß die Kaltfront nur sehr langsam ostwärts vorankommen konnte. Zudem wurde das südöstliche Mitteleuropa vom PVA-Bereich des genannten Kurzwellentroges (Trogvorderseite) beeinflußt. So gab es nicht nur einen auch dynamischen Antrieb zur Bildung von mesoskaligen konvektiven Systemen (MCSs), sondern sie konnten sich auch im Osten „in Ruhe“ entwickeln. Daß die Schichtung in der Warmluft über dem Bereich Tschechien/Slowakei/Österreich labil war, zeigten die Radiosondenaufstiege von Wien und Prag :

Radiosondenaufstieg Wien 23.05.05 12 UTC :

Radiosondenaufstieg Prag 23.05.05 12 UTC :

Die Labilitätsenergie (s. Vergleich Konvektionskurve und Zustandskurve der Temperatur) war in Wien (da in der unteren Troposphäre noch wärmer als im Bereich Prag) besonders groß, in Prag aber auch noch beträchtlich, so daß bei Auslösung der Komvektion Tops von 250-220 hPa erwartet werden konnten (plus Overshooting), also praktisch bis zur Tropopause. Während die Winde in den unteren Schichten relativ schwach und uneinheitlich waren, gab es in der oberen Troposphäre (in Prag auch bis hinunter zur mittleren Troposphäre) stärkere Südsüdwestwinde. Auch dies versprach die Wahrscheinlichkeit von mesoskalig organisierten Gewittersystemen. In jedem Fall konte man auf MCSs (Mesoskalige Konvektive Systeme) vorbereitet sein.

Die akute Gewitter-Entwicklung begann zwischen 10 und 11 UTC (12 und 13 MESZ) über Tschechien, als dort die Auslösetemperatur (20°-23°C) erreicht wurde. Noch um 10 UTC zeigte das Satellitenbild dort weitgehend ungestörte Einstrahlungsbedingungen :

Vis-Satellitenbild Mitteleuropa 23.05.05 10 UTC (Meteosat) :

Wie deutlich zu erkennen, herrschte über Süddeutschland (im Bereich der Kaltfrontrückseite) gleichzeitig um diese Zeit bedeckter Himmel (und Dauerregen). So wuchs mit dem einstrahlungsbedingten Temperaturanstieg über Tschechien/Slowakei/Österreich auch der Temperaturgegensatz längs der Kaltfront (thermische Frontogenese). Dies mußte die Neigung zur Hebung unterstützen. Die folgende Serie von Radarkomposit-Auschnitten (Java-MAP, DWD) zeigt die rasante Entwicklung der Strukturen hin zu einem typisch mesokaligen Gewittersystem ab dem Zeitpunkt 11 UTC :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 11 UTC :

Als Ursprung der Gesamt-Entwicklung war die noch kleine, kräftige Zelle an der Nordostflanke des Böhmerwaldes zu sehen. Nur 1 Stunde später hatte sich bereits eine lockere Cluster-Kette von Gewittern gebildet mit einem Ableger im zentralen Tschechien :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 12 UTC :

Eine Stunde weiter, um 13 UTC, sah die Lage folgendermaßen aus :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 13 UTC :

Dies war auch der Moment des einsetzenden Überganges von „normalen“ multizellularen Gewittern zu einem mesoskaligen konvektiven System. In Richtung Osten und Nordosten bildeten sich gleichzeitig weitere Zellen. An der Station südwestlich von Prag war gewitterbedingt die Temperatur inzwischen auf 15°C abgesunken, nachdem sie nur 1 Stunde vorher noch bei 20°C lag. Die Windverteilung zeigt, daß über der Mitte von Tschechien das Zentrum eines flachen Tiefs lag (durch die Aufheizung gefördert). D.h. der dortige Raum war von konvergenter bodennaher Luftströmung geprägt. So wuchs also (außer infolge Frontogenese und Höhentrogvorderseite) die Neigung zu Vertikalbewegungen. Eine fast dramatische Komponente bot sich gleichzeitig über Österreich : Dort war innerhalb von nur 1 Stunde eine regelrechte „Gewitter-Explosion“ vor sich gegangen, und zwar südwestlich von Steyr. Hier gab es bereits „blaue“ Echos, d.h. die höchste DWD-Farbstufe (>=55 dBZ).

Zwischen 13 UTC und 14 UTC wuchsen die beiden Gewittergebiete (Tschechien und Österreich) zusammen und bildeten um 14 UTC schon eine flächig angelegte Gewitteraktivität :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 14 UTC :

Dabei war ein Teil-Cluster im Grenzraum von Tschechien/Österreich jetzt besonders stark entwickelt. Dieser Teil-Cluster und das österreichische System verschmolzen bis 15 UTC unter langsamer Ostverlagerung zu einer markanten Squall-Line-Struktur :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 15 UTC :

Diese Squall-Line und ein weiterer Cluster nördlich davon lagen, das zeigen die eingeplotteten Synops, sichtbar im Bereich des erwähnten flachen mesokaligen Tiefs. Östlich davon herrschten SE-Winde, westlich und nördlich davon westliche bis nordwestliche Winde. Dies deckte sich gut mit der Druckverteilung :

Radarkomposit Ausschnitt + Luftdruck 23.05.05 15 UTC :

Dabei sieht man besonders nach Westen hin deutlich höhere Luftdrucke (Richtung sich näherndem Hochkeil).

Was die beiden Radarkomposits von 15 UTC zusätzlich veranschaulichen, ist die Entwicklung der typischen Asymmetrie der Niederschlagsverteilung mesoskaliger konvektiver Systeme : Im vorderen Bereich der Echos eher die starke konvektive Aktivität, zur Rückseite hin eher mäßige, flächige Niederschläge. Das bestätigte sich dann zunehmend bis 16 UTC :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 16 UTC :

Denn jetzt zeichnete sich nicht nur die Geschlossenheit des mesokaligen konvektiven Systems ab, sondern noch besser besagte Asymmetrie. Die Squall-Line-Struktur hatte sich in der Zwischenzeit deutlich nordwärts ausgedehnt (Verschmelzung mit dem dort vorher gelegenen Cluster). Der flächige rückseitige Bereich des MCS war jetzt in seiner Gesamtheit von Gewitterkaltluft angefüllt (Temperaturen 14°-17°C), während vorderseitig noch die Warmluft existierte (21°-25°C). Diese thermische Struktur gilt als typisch für jedes voll entwickelte MCS..... und MCC. Aber handelte es sich wirklich um ein MCC? Nach Definition muß der obere Wolkenschirm eines MCC mit seiner 52°C-Isotherme eine Fläche von 50.000 Quadratkilometer (entsprechend einem mittleren, auf Kreis umgerechneten Durchmesser von rund 250 km) umfassen (und das mindestens 6 Stunden lang). Hatten wir hier den Anfang eines MCC? Blicken wir zu dieser Frage auf das IR-Satellitenbild von 16 UTC für den gleichen Gebietsausschnitt :

IR-Satbild Ausschnitt + Synops 23.05.05 16 UTC :

Form (leicht oval), Größe und Höhe des Wolkenschirmes (Tropopause) deuteten in Richtung der Vermutung eines MCC. Eine grobe Ausmessung zeigt, daß es sich um einen Grenzfall handelte. Formal wurden die MCC-Bedingungen vielleicht nicht hundertprozentig erfüllt, physikalisch handelte es sich aber ohne Zweifel um ein MCC.

Die Entwicklung des MCS (MCC) war um 16 UTC nicht abgeschlossen, etwa bis 18 UTC hielt der Höhepunkt der Gewitterlage an. Auch wenn die Radarintensitäten allmählich nachließen, dehnte sich das System in dieser Zeit noch deutlich weiter aus :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 17 UTC :

Radarkomposit Ausschnitt + Synops 23.05.05 18 UTC :

Charakteristisch die riesige violette Fläche (mäßige Intensität) mit Niederschlägen hinter der Squall-Line. Die Gewitterkaltluft und die weiter herrschende Verdunstungsabkühlung sorgten im Niederschlagsbereich für relativ niedrige Temperaturen (12°- 15°C). Dies war jetzt auch ein Bereich überall höherer Drucke bei recht hohen Niederschlagsmengen :

Radarkomposit Ausschnitt + Luftdruck 23.05.05 18 UTC :

Radarkomposit Ausschnitt + 12h-Niederschlägen 23.05.05 18 UTC :

Größere Niederschlagsmengen gelten in den USA typisch für einen MCC, also auch in dieser Richtung ein „physikalischer“ MCC.

Wie eingangs erwähnt, hatte das MCS (Quasi-MCC) auch eine ästhetisch schöne Komponente, die ich zum Abschluß mit Hilfe der Vis-Satellitenbilder von 16 UTC, 17 UTC und 18 UTC demonstrieren möchte. Mich hat diese Bild-Serie regelrecht begeistert :

Vis-Satbild Ausschnitt 23.05.05 16 UTC :

Vis-Satbild Ausschnitt 23.05.05 17 UTC :

Vis-Satbild Ausschnitt 23.05.05 18 UTC :

Welch Plateau an der Tropopause, welche schöne Overshootings!! Nach 18 UTC „versank“ (leider) der Quasi-MCC in der Dunkelheit. Daß er sich dann allmählich abschwächte, soll das abschließende IR-Sat-Bild von 21 UTC andeuten :

IR-Satbild Ausschnitt 23.05.05 21 UTC :

Rechnet man die Zeitspanne ab 15 UTC, so waren es rund 6 Stunden bis zu diesem Zeitpunkt, daß MCC-Strukturen herrschten. Eine genaue Vermessung der konkreten Temperaturflächen müßte erweisen ob der Quasi-MCC ein wirklicher MCC war.

Wetterfuchs

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