"Der DryOut-Befund wurde vom ENSI im Sommer als INES1 eingestuft, was ganz sicher kein Fake war. Wir sprechen hier über eine Schwäche der Kühltechnologie an sich. An manchen Stellen im Reaktorkern finden sich Brennelemente, die Symptome mangelhafter Kühlung zeigen, obwohl die technischen Kühlanlagen soweit ihren Kühljob leisteten, wie das in einem Siedewasserreaktor überhaupt möglich ist.
Ursachenforschung tut not, denn das Symptom wurde erstmals 2013 bemerkt und trat soweit bisher bekannt in keinem anderen Siedewasserreaktor weltweit derart massiv auf. Die Sache stellt Fachleute vor ein Rätsel, weil die vorzeitige Alterung durch Hitzeschaden nicht die älteren Brennstäbe betrifft, sondern nur die neuen (erst vor einem Jahr neu eingesetzten).
Die Leibstädter Kernspalter versuchen das also seit Jahren in den Griff zu kriegen und finden bei jeder Jahresrevision doch wieder überhitzte Brennelement-Köpfe. Nach soviel Rumeiern hat das ENSI im August die Reißleine gezogen und verfügt, dass der Betreiber die Ursache finden möge, warum mitten in einem laufenden Reaktorkern an manchen Stellen zuwenig Kühlwirkung statt findet. Einfach nur die vorzeitig gealterten Stäbe auszuwechseln genüge nicht.
Die KKL-Manager haben die Zwangspause von 6 Monaten jedoch nicht genutzt, die Forschungsarbeit zu leisten. Man wechselt stur die kaputten Brennelemente aus und legt als Plan zur sicheren Vermeidung des Phänomens das Versprechen vor, es nächstes Jahr etwas gleichmäßiger blubbern zu lassen durch Änderung der Abstände zwischen neuen und alten Brennstäben - nicht mehr als eine Wette darauf, dass das Phänomen so vermieden wird.
Gleichzeitig setzen sie das ENSI unter Druck, noch ein weiteres Jahr ohne Ursachenforschung weiter zu machen. Das war die Situation –
eine Machtprobe, ob das ENSI wohl einknickt.
Dem ENSI sollte man eher den Rücken stärken und auf politischem Wege darauf dringen, dass allzu industriefreundliche Gesetze geändert werden, die dem ENSI Ketten anlegen bei seinen hoheitlich gebotenen Aufgabe, für den bestmöglichen Schutz der ihm anvertrauten Bevölkerung zu sorgen.
Ich erinnere hier, weil das zum Thema “Brennelementeschäden” gehört, an den sommerlichen Rechtsstreit der Leibstadt-Betreiber zur Herausgabe ihrer Kamin-Emissionsdaten,
http://www.badische-zeitung.de/suedwest ... 58815.html
http://www.srf.ch/news/regional/aargau- ... desgericht
Von jenseits des Rheins wirkt es ziemlich bizarr, dass Kamin-Messdaten der KKL-Abluft in der Schweiz dem selben Schutz unterliegen soll wie die bürgerliche Privatsphäre, weil eine "Veröffentlichung geeignet" wäre, "den Ruf des Unternehmens zu schädigen".
Richtiggehend skandalös finde ich, dass nicht mal die ENSI diese Daten vom Kraftwerk bekommt zur einer Nach-Begutachtung. Laut Gericht gäbe es "kein öffentliches Interesse an derartigen Daten", was für mich wie ein Aufruf an die ausstiegswillige Hälfte der Schweizer Bürgerschaft, ein solches Interesse nachdrücklich zu bekunden.
Ob Mauschelei im Spiel war, als das ENSI entschied, KKL-Kamin-Daten nicht zu archivieren für spätere Langzeitvergleiche, oder ob man was Konkretes zu verbergen hat, sei dahingestellt.
Lassen wir es dabei, dass die Kamindaten in der Schweiz geheim sind, während Deutschland eine hoheitliche Kernkraftwerks-Fernüberwachung hat und diese Daten auch offen legt, wenn es jemand wissen will
Vor deutschen Gerichten wäre es aussichtslos, gegen die Veröffentlichungen solcher Daten zu klagen, zB die "Fortluft-Messdaten" des Siedewasserreaktors KKP-1 (2011 stillgelegt)
https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umw ... er-stoffe/
Was da 4 Jahre nach der Stillegung(!) immer noch an Edelgasen freigesetzt wird, kann die Bürgerschaft schon etwas verunsichern. KKP-1 gibt nach wie vor Billionen Becquerel an Edelgasen ab pro Jahr
Was Siedewasserreaktoren wie Leibstadt und Mühleberg im Normalbetrieb raus pusten könnten, illustriert ein Vergleich von KKP1 mit dem Druckwasserreaktor KKP2
https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umw ... er-stoffe/
Die Jod-131 Abgabe des Siedewasserreaktors KKP-1 war vor der Stillegung übern Daumen 100mal höher als die von KKP-2
Es hat schon seinen Grund, warum sie in Deutschland 2011 alle abgeschaltet wurden, die Siedewasser-Reaktoren. Auch das KKW Krümmel, das ziemlich baugleich mit Leibstadt ist.
Die exorbitant hoch wirkenden Genehmigungsgrenzen, also wieviel Strahler jedes Kraftwerk im Normalbetrieb pro Tag maximal absondern darf, das könnte Bürger sogar ziemlich empören; vor allem diejenigen, die unter "keine Gefahr für die Umwelt" eher erleichtert "Heute keine radioaktive Wolke aus KKL" verstehen wollen und nicht "die heutige radioaktive Wolke aus KKL enthielt weniger als eine Billion Zerfälle pro Sekunde, fliegt über die nächsten Anwohner hoch genug hinweg und verteilt sich später so dass man sie nicht mehr Wolke nennen kann. Deshalb ist die heutige radioaktive Wolke aus KKL als genauso unschädlich zu betrachten wie eine nicht radioaktive Wolke" .
Waren die Leibstadter wirklich nur deshalb um ihren Ruf besorgt, dass es ans Licht kommen könnte dass Kernkraftwerke im Normalbetrieb reichlich Radioaktivität frei setzen und dass die Aufsichtsbehörde noch viel mehr als das genehmigt ? Das wissen wir doch alles schon, auch wenn es die meisten lieber verdrängen.
Oder steht mehr dahinter ?
Richtig rufschädigend wäre es z.B., wenn die Kamin-Messwerte sich seit dem ersten Auftreten von Rostschäden im Jahre 2013 gegenüber den Vorjahren erhöht hätten. Rufschädigend wäre, wenn die meist nur ein Tausendstel des Grenzwerts ausmachenden Werte plötzlich auch mal 1%, 10%, oder gar 90 % des Grenzwerts ausschöpfen. Das wäre dann zwar immer noch unter dem Grenzwert und alle offiziellen Stellen können weiterhin "keine Gefahr für die Umwelt" rufen, doch es wäre im Kontext der nun allseits bekannten “Rostschäden” ein harter Beweis dafür, dass Brennstäbe soweit "durchgerostet" sind, dass sie die Abgase nicht mehr sicher einschließen können.
Das Wiederanfahren von KKL am vergangenen Freitag war der BZ keine Meldung wert, wohl aber der Schweizer Presse, die klar beschreibt, wie sehr das ENSI sich von der in Deutschland gültigen Sicherheits-orientierten Kultur entfernt, die unser Minister angemahnt hat.
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/sta ... y/22479382
Im Fall, dass das Experiment der Leibstadter Kernspalter die Hitzeschäden nicht verringern, sondern erhöhen sollte, so dass radioaktive Abgase aus noch früher durchgerosteten Stäben ins Freie drängen, müsse der Reaktor sofort abgeschaltet werden.
Dies ist angesichts der oben beschriebenen Geheimhaltung von Kamin-Emissionsdaten ein Freibrief. Ab welcher Menge zusätzlicher Abgase wird man denn den Abschaltknopf drücken, bei 0,1%, 1% oder 10 % des zulässigen Jahresgrenzwerts ?
Als Referenz, was das Öffnen des Reaktordeckels im letzten Sommer an Radioaktivität frei gesetzt hat, kann diese Messreihe der LUBW dienen
http://udo.lubw.baden-wuerttemberg.de/public/p/2Z59x
Jod-131 ist ein recht kurzlebiges Isotop, das direkt aus einem laufenden Kernreaktor stammt, also sicher aus dem KKL. Der im letzten Sommer verzeichnete Anstieg der Jod-Werte liegt im Trend vorheriger Jahre, ist allerdings nicht der Höchstwert, den die LUBW bisher vor Waldshut ermittelt hat.
http://udo.lubw.baden-wuerttemberg.de/public/p/2Z4Pa
Offenbar schliesst selbst das ENSI nicht aus, dass während dem nächsten Produktionszyklus bis September wieder Brennstäbe vorzeitig überhitzen könnten. Man rechnet weiterhin mit einem Risiko, dass an einzelnen Stellen Temperaturen über 900 °C erreicht werden, bei denen die Brennstabhüllen aus ZirkoniumAlloy ihre Gasdichtigkeit verlieren können, so dass radioaktive Abgase den Kühlkreislauf kontaminieren könnten.
Anders sind die Auflagen des ENSI kaum zu verstehen, die u.A. der Tagesanzeiger publiziert hatte:
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/sta ... y/22479382
Das ENSI hat mittlerweile hier
http://www.ensi.ch/de/2017/02/16/ein-hu ... mwelt-dar/ detailliert Stellung bezogen, weshalb man dort überzeugt sei, nun genügend "empirische Daten" zu haben für einen sicheren Weiterbetrieb von KKL, obwohl die physikalischen Ursachen des "DryOut"-Phänomens nach wie vor ungeklärt sind.
Das ENSI Interview bestätigt nebenbei auch meine Aussage in diesem Kommentar
http://www.badische-zeitung.de/suedwest ... kommentare wonach die Hüllrohrschäden bereits bei der Jahresinspektion 2013 zum ersten Mal festgestellt wurden.
Explizit wird auch bestätigt , dass im Jahr 2014 tatsächlich ein Brennelementschaden aufgetreten sei, der den Kühlkreislauf kontaminiert habe.
Insofern hat der Kraftwerksleiter Pfeiffer die Autoren des sehenswerten TV-Beitrags
http://www.srf.ch/news/schweiz/ursache- ... m-ans-netz# Anfang Februar wohl trefflich hinters Licht geführt mit seiner Behauptung "das KKL habe die Problematik zusammen mit dem Brennelemente-Hersteller Westinghouse bereits 2015 erkannt und umgehend die Behörden verständigt".
Hier stellt sich erneut die im TV-Beitrag gestellte Frage, wer ab wann wem Bescheid gesagt hatte. Weiterhin steht die Frage im Raum, ob seit 2013 zusätzliche radioaktive Freisetzungen aus dem KKL über den Luftweg statt fanden,die auf Hüllrohrschäden zurückzuführen sind.
Radioaktive Gase, die bereits durch sehr kleine Risse in stark oxidierten Hüllrohren freigesetzt würden, können sich unter dem Reaktordeckel sammeln, wo sie nicht messtechnisch erfassbar sind wie die wasserlösliche "Kontamination des Kühlkreislaufs" die irgendwo außerhalb des Sicherheitsbehälters gemessen werden soll.
Für die Freisetzung einer derzeit noch hypothetischen Abgasblase kommt der Zeitraum von 2 Wochen ab dem Herunterfahren zur Jahresinspektion in Frage. Das Öffnen des Reaktordeckel wäre nämlich der Zeitpunkt zu dem solche radioaktiven Abgase aus dem Kühlkreislauf im Sicherheitsbehälter freigesetzt würden. Von dort aus läuft eine Abgasabsaugung, eventuell auch über eine 1-2 wöchige Verzögerungsstrecke bis zum Kamin und damit in die Umwelt.
Das KKL hatte die Herausgabe dieser Kamin-Messdaten für den Zeitraum 1/2013-11/2014 verweigert trotz einer Auflage des ENSI.
http://www.badische-zeitung.de/suedwest ... 58815.html
http://www.srf.ch/news/regional/aargau- ... desgericht
Die mutmaßliche Falschaussage des Werksleiters Pfeiffer kann daher auch als Versuch gewertet werden, von einem möglichen Zusammenhang abzulenken zwischen den tatsächlich ab 2012 aufgetretenen Hitzeschäden an Brennelementen und der Verweigerung der Herausgabe von Kamin-Messdaten über die Abgabe von radioaktiven Gasen aus dem KKL.
Die Öffentlichkeit beiderseits des Rhein muss aufgrund dieser Faktenlage ein erhebliches Interesse daran haben, dass das KKL durch Veröffentlichung der Messdaten nachweist, dass die seit 2013 bekannten Brennelementschäden tatsächlich sicher beherrscht wurden und keine zusätzliche radioaktive Belastung der Anwohnerschaft erfolgte."