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Bald tropische Pflanzen in der Schweiz

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Peter,Walchwil ZG
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Bald tropische Pflanzen in der Schweiz

Beitrag von Peter,Walchwil ZG »

Hallo,
ein interessanter Artikel in den NZZ am Sonntag:

Der letzte Hitzesommer zeigt, was auf die Natur zukommt
Der Jahrhundertsommer 2003 war der Vorbote der Klimaerwärmung. Analysen von Forschern zeigen, dass sich die Natur anpasst. Wärmere Sommer lassen nicht nur bestehende Arten verschwinden, sondern bringen neue hervor.
Von Matthias Meili

Schneller als erwartet wiederholen sich die Ereignisse. Die Sommermonate Juni, Juli und August des Jahres 2003 haben alle statistischen Normwerte gesprengt. Die mittlere Temperatur dieser drei Monate lag mehr als 5 Grad über der entsprechenden Durchschnittstemperatur der letzten 140 Jahre. Im Misox stieg das Quecksilber mit 41,5 Grad auf einen neuen absoluten Schweizer Rekord.

«Der Sommer 2003 passt einfach nicht in die Statistik», sagte ETH-Klimaforscher Christoph Schär, nachdem die Forscher die Daten im folgenden Jahr analysiert hatten. Doch die Forscher vermuteten auch, dass sich heisse Sommer fortan öfter wiederholen würden. Eine treffende Prognose, wie der schöne Juli 2006 zeigt, der nach Angaben von Meteo Schweiz neue Rekordtemperaturen erreicht hat.

Seit 2003 sind die Folgen des Hitzesommers für Mensch und Natur ausgiebig untersucht worden: Wie reagierten die Pflanzen, die Fische? Was passiert mit dem Ökosystem Wald, wie stark leidet die Landwirtschaft? Und wie sehr setzt die Hitze dem Menschen zu? Die Resultate und Schlussfolgerungen wurden Ende 2005 von ProClim - einem Zusammenschluss von Schweizer Klimaforschern - veröffentlicht. Die Ergebnisse sollen helfen, besser auf kommende Hitzeperioden reagieren zu können.

Mehr Unkräuter, mehr Artenvielfalt
Die Sommerhitze 2003 hat die Pflanzen zuerst einmal in ihrer jahreszeitlichen Entwicklung, den Phänophasen, getroffen. So wurden verschiedene sogenannte «phänologische Rekorde» verzeichnet: Die Rosskastanie und der Schwarze Holunder blühten 10 bis 15 Tage früher als üblich, und die Blätter der Buchen im Mittelland begannen bereits zwischen Ende Juli und Anfang August zu welken.

Doch gewisse Pflanzen haben auch von der Hitze profitiert, wie Conradin Burga vom Geographischen Institut der Universität Zürich festgestellt hat. «Die Artenvielfalt hat eindeutig zugenommen», sagt Burga. Der Geograph hat seit 2001 ein Unkraut-Monitoring auf einem Kopfsteinpflasterplatz im bündnerischen Andeer durchgeführt. Auch dort waren die Sommertemperaturen im Jahre 2003 rund 4 Grad über dem Durchschnitt. Davon haben viele neue Arten profitiert, vor allem Kräuter und holzige Pflanzen, die dank den günstigen Bedingungen keimen konnten. So hat Burga auf seinem Versuchsplatz 11 von 40 Gräsern und Kräutern erstmals nach dem Hitzesommer 2003 entdeckt. Noch eindrücklicher ist die Zunahme bei den Holzpflanzen: 11 von 13 Arten sind zum ersten Mal in grösserer Anzahl gediehen.

In seiner Arbeit, die Burga erst kürzlich veröffentlicht hat, fasst er seine Erkenntnisse folgendermassen zusammen: «Der Hitzesommer 2003 fällt durch das Auftreten von mehr Pflanzenarten, insbesondere durch neue wärmeliebende, trockentolerante Arten und durch eine Zunahme der Holzpflanzenkeimlinge, auf.» Die meisten neuen Arten sind allerdings in den folgenden Jahren wieder verschwunden. Nur wenige Pflanzen, wie etwa der aus dem Tessin stammende mediterrane Zartblättrige Spargel, konnten sich noch über den nachfolgenden Winter halten.

Und wird dieser Sommer wieder ein guter Sommer für die Unkräuter? «Die Tendenz ist die gleiche», sagt Burga. «Obwohl ich das Unkraut-Monitoring eigentlich abgeschlossen habe, entdecke ich in Andeer wieder ähnliche Phänomene wie 2003, vor allem keimen wieder Holzpflanzen.»

Zuckerrohr im Thurgau, Orangen im Seeland
Der Sommer 2003 war nicht nur heiss, sondern auch sehr trocken. Dies hat vor allem der Landwirtschaft zu schaffen gemacht, wie Franziska Keller und Jürg Fuhrer von der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Reckenholz- Tänikon im Fachbulletin «Agrar-Forschung» schreiben. Die Niederschläge lagen bereits im Februar unter dem langjährigen Durchschnitt und erreichten im Juni nur noch die Hälfte. Ausser in der Zentralschweiz litten die Äcker unter mangelnder Bodenfeuchtigkeit. Dies schränkt das Wachstum der Pflanzen ein, weil die Spaltöffnungen der Blätter geschlossen bleiben, die Aufnahme von Nährstoffen ausbleibt und somit der Stoffwechsel verringert ist.

Insgesamt wurden in der Schweiz Ernteausfälle in der Höhe von ungefähr 500 Millionen Franken verzeichnet. Beim Getreide, bei den Futterpflanzen und bei den Kartoffeln lagen die Erträge deutlich unter dem Durchschnitt. Höhere Erträge wurden bei den Birnen eingefahren, dagegen wieder tiefere bei den Äpfeln. Ein Teil des Gemüsebaus hatte vom warmen Frühling profitiert, ebenso der Weinbau von den guten Bedingungen im Herbst.

«In diesem Jahr», beurteilt Jürg Fuhrer die Aussichten für 2006, «sieht es sicher weniger schlimm aus. Ausfälle sind dennoch zu erwarten, etwa beim Mais, bei den Kartoffeln und beim Gemüse.» Im Jahr 2003 halfen Massnahmen des Bundes wie Importerleichterungen für Futter oder eine intensivere Bewirtschaftung von Bioflächen, die ärgsten Schäden für die Bauern zu minimieren.

Laut Fuhrer, der in Reckenholz die Forschungsgruppe Lufthygiene/Klima leitet, hatte 2003 als Einzeljahr zwar keine nachhaltigen Auswirkungen auf die Landwirtschaft in der Schweiz. Doch glaubt man den Modellen der Klimaforscher, werden sich die heissen und auch trockenen Sommer häufen. Massive künstliche Bewässerung kann nachhaltig kaum Abhilfe schaffen und führt bei der Verwendung von Fluss- oder Grundwasser zu neuen ökologischen Problemen. Jürg Fuhrer denkt deshalb als Leiter des Projektes «Grass - Climate Change and Food Production» im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes «Klima» bereits darüber nach, ob künftig grössere Anpassungen der Schweizer Landwirtschaft nötig und möglich sind. Mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms werden zum Beispiel die Erträge von verschiedenen Kulturpflanzen und Wiesen unter den einzelnen Klimaszenarien modelliert. Fuhrer und seine Mitarbeiter werden die Ergebnisse der verschiedenen Anpassungsstrategien aber erst präsentieren können, wenn auch die wirtschaftlichen Aspekte abgeklärt sind.

Vorstellbar wäre etwa, dass die Landwirte in der Thurebene dereinst auf besser angepasste Sorten oder Kulturen umstellen und statt Weizen Zuckerrohr oder Hirse anbauen - diese Sorten können das zur Verfügung stehende Wasser effizienter umsetzen. Vorstellbar wäre auch, dass wir künftig im Aargau oder im Seeland durch Zitrus-Haine lustwandeln können.

Freude bei den Barschen, Trauer bei den Äschen
Werden die Gewässer von Gletschern gespeist, nehmen die abgeführten Wassermengen in Trockenjahren zu. Dies zeigte sich auch im Jahre 2003. In Gebieten mit glazialem Einfluss nahmen die Abflussmengen zu, anderswo litten sie bald unter dem heissen Sommer. Ausserordentlich wenig Wasser führten der Lago Maggiore, der Bodensee sowie die Seen mit kleinem Speichervolumen ohne Gletscherzuflüsse.

Die Hitze beeinflusste aber auch die Temperatur und den Sauerstoffgehalt in den Gewässern. Im Zürichsee sank der Sauerstoffgehalt in allen Tiefen stark - er war sogar noch tiefer als zu Zeiten der Seeüberdüngung in den 1970er Jahren. In anderen Seen trieben die Hitze und die lange Sonnenscheindauer die Biomasse-Produktivität deutlich in die Höhe. Im Bodensee etwa stieg der Barsch-Ertrag auf das Dreifache des Vorjahres, und Warmwasserfische wie der Karpfen vermehrten sich ausserordentlich gut.

Tragischer endete der Hitzesommer für eine grosse Anzahl von Äschen im Rhein. Da die Wassertemperatur bei Stein am Rhein Mitte August noch in zehn Metern Tiefe bei über 25 Grad lag, verendeten rund 52 000 dieser Kaltwasserfische - ein Massensterben in bisher ungekanntem Ausmass.

Laut Thomas Jankowski, Gewässerforscher am Wasserforschungs-Institut Eawag in Dübendorf, hat der heisse Sommer 2003 für sich allein aber noch keine nachhaltige Schädigung der Schweizer Gewässer gezeitigt. Und für Prognosen zu langfristigen Folgen ist es schlicht noch zu früh.

Käferholz im Unterland, Wachstum in der Höh
Am meisten profitiert vom heissen Sommer 2003 hat wohl der Borkenkäfer. Laut dem Forst-Entomologen Beat Forster von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf befiel der Buchdrucker- Borkenkäfer zwei Millionen Kubikmeter Fichtenholz. Zum Teil vermehrten sich die Borkenkäfer in drei Generationen. Die Förster meldeten 17 000 neue Befallsherde - so viele wie noch nie.

Nadel- und blattfressende Insekten traten dagegen erst 2004 in Erscheinung. Die phänologischen Schäden an den Bäumen - weniger und kleinere Blätter - haben sich laut dem WSL- Waldökologen Matthias Dobbertin erst im Folgejahr offenbart.

Eine vor einem Jahr veröffentliche Arbeit, an der unter anderen die ETH- Forscherin Nina Buchmann beteiligt war, hat zudem gezeigt, dass die Wälder Europas im Hitzesommer 2003 insgesamt 30 Prozent weniger Photosynthese leisteten als in normalen Jahren. In Lagen über 1200 Metern dagegen hat der Wald um rund 20 Prozent zugelegt.

Tiefere Sterblichkeit bei Menschen dank Warnung
Die Auswirkungen der Hitze auf die Sterblichkeit der Menschen haben Präventivmediziner der Universitäten Basel und Bern untersucht. Die Sterblichkeit ist 2003 in den Monaten Juni bis August um sieben Prozent gestiegen. Gemäss den Berechnungen sind an die 1000 Menschen mehr gestorben als erwartet. Dies betraf vor allem die Agglomerationen von Basel, Genf und Lausanne sowie ältere Personen.

Über die Todesursachen haben die Forscher nicht viel herausgefunden, da es sich um eine statistische Auswertung handelte. Frühere Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Mehrzahl der Fälle wegen Herz-Kreislauf-, Hirngefäss- und Atemwegserkrankungen sterben. Ein Teil der Mortalität dürfte auf die erhöhte Ozonbelastung zurückzuführen sein. Malaria oder andere von Insekten übertragene Krankheiten spielten offenbar keine Rolle.

Wie das Bundesamt für Statistik am Freitag mitgeteilt hat, ist die Mortalitätsrate in den ersten warmen Juliwochen dieses Jahres nicht gestiegen. Offenbar haben die Warnungen der Behörden gewirkt. Erfahrungen aus Nordamerika haben nämlich gezeigt, dass eine Sensibilisierung der Bevölkerung und der Pflegenden in Spitälern und Heimen die Sterblichkeit bei einer Hitzewelle signifikant verringert.

Mit dem Klima ändert sich unsere Kultur
Die Mediterranisierung des Alpenraumes fordert auch vom Menschen Anpassung. Werden die Sommer noch heisser, dann müssen wir anders essen und arbeiten, schlafen und lieben. Wie die Schweiz sich wandeln muss. Von David Hesse

Flucht ist immer eine Option. Von den 153 Hütten des Schweizer Alpenclubs (SAC) sind die 100 zugänglichsten bis September ausgebucht. «Nur im hochalpinen Bereich ist noch Platz», sagt SAC-Sprecher Pit Meyer. Doch mit der nächsten Hitzewelle werden wohl die letzten Extremhütten vermietet. Bereits letzte Woche musste nämlich hoch hinauf, wer echte Abkühlung suchte. Die Station Ulrichen im Obergoms mass am Dienstag 28,9, Disentis in Graubünden sogar 30,5 Grad.

Wenn die Sommer von 2003 und 2006 wirklich nur erste Boten der grossen Klimaerwärmung sind, dann muss sich die Schweizer Bevölkerung auch unten im Tal der neuen Hitze stellen. Noch scheitern wir an Grundlegendem. Wie zum Beispiel soll man Schlaf finden bei abendlichen Temperaturen von über 30 Grad? «Langsam flappende Ventilatoren sind eine Lösung», sagt Jürg Schwander, Leiter der Schlafklinik Zurzach. «Man kann auch einen kühlen Ort aufsuchen, zum Beispiel den Keller oder den Balkon, wobei da der Insektenspray nicht vergessen werden sollte.» Da der Körper beim Einschlafen seine Oberflächentemperatur reduziert, wird es spätestens bei einer Raumtemperatur um 37 Grad (Körpertemperatur) schwierig, einzuschlummern. Keine Lösung sei Alkohol: Wer sich schnapsschwer ins Bett legt, der schläft zwar rasch ein, wacht aber früher wieder auf. «Im Laufe der Nacht sinkt der Alkoholpegel, und es kommt zu einer Art Mini-Entzug im Hirn, welcher dann aufweckt», so Schwander.

Verpuffte Energie
Auch unser Arbeiten muss sich ändern, wenn Jahrhundertsommer Usus werden. Momentan verpufft bei Hitze noch viel zu viel Energie: «Hohe Temperaturen senken die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit», sagt Arbeitsmediziner Martin Rüegger von der Suva. Auch Jan-Egbert Sturm, der Leiter der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, hält für «offensichtlich, dass die Hitze die Produktivität nicht positiv beeinflusst». Auch wenn allfällige volkswirtschaftliche Schäden noch nicht bezifferbar sind, ist klar, dass wir Wege der Hitzebewältigung finden müssen. Sonst springen Klimaerprobtere in die Bresche. Im vergangenen Jahr bereits zeigte eine Studie des Bundesamtes für Statistik, dass junge Secondos die Schweizerinnen und Schweizer in Sachen Unternehmergeist und Firmengründungen zu überflügeln drohen.

Jan-Egbert Sturm ist überzeugt, dass die Schweizer Wirtschaft die hitzebedingten Herausforderungen meistern und sich anpassen wird. In Hitzesommern werden wir früher zur Arbeit gehen, die Mittagspause auf eine veritable Siesta ausdehnen und abends länger im Büro bleiben. Geschäftszeiten werden angepasst, Bürohäuser klüger gebaut und mit Klimaanlagen ausgerüstet. Laut einer schwedischen Studie liegt die Idealtemperatur für Büroarbeit bei 23 Grad. Kimonos und Saris könnten sich gegen schweisstreibende Anzüge durchsetzen. In Südostasien ist derzeit eine Kampagne gegen westlich zugeknöpfte Ordentlichkeit im Gange, welche luftige Arbeitskleidung («Cool Asia») salonfähig machen und den von Klimaanlagen generierten Energie- und Geldverschleiss reduzieren will.

Hitze macht Kummer
Längere Siesta und dünnere Kleider: Das klingt nicht nur schlecht. Wird uns die Hitze glücklich machen? Oberarzt Toni Fäh von der Psychiatrie des Luzerner Kantonsspitals hat im Moment keinen Grund zur Klage: «Während der Hitzewochen nehmen es alle etwas ruhiger, auch die psychisch Kranken.» Bei der Dargebotenen Hand allerdings hat man bemerkt, dass gerade die dauernde Feststimmung des Sommers die Einsamen und Armen in Depressionen treibt. Bei der Dienststelle Ostschweiz etwa klagte ein Anrufer: «Es ist, wie wenn die Welt eine riesige Party feierte, und ich bin nicht eingeladen.»

Die meisten Schwierigkeiten, die die noch unangepasste Schweizer Bevölkerung mit der Hitze zeigt, sind körperlicher Art. Andreas Bitterlin vom Universitätsspital Basel bestätigt, dass die Notfallaufnahme derzeit täglich 10 bis 20 Patienten mehr als sonst zu versorgen hat. Zumeist handle es sich um ältere Menschen: «Man muss sich die Hitzewelle wie eine Grippewelle vorstellen. Am meisten trifft sie jene, die bereits geschwächt sind.» Flüssigkeitsmangel kann zu Herz- und Kreislaufproblemen führen und lässt auch Wunden und Infektionen langsamer heilen.

«Zu uns gelangen auch solche, die wegen geschwollener Füsse nicht mehr in ihre Schuhe hineinkommen», sagt Jürg Müller-Schoop von der Permanence-Praxis am Zürcher Hauptbahnhof. Die Ursache des Phänomens: Dehydrierung. Andere Patienten, vor allem junge Frauen mit tiefem Blutdruck, klagten über Schwindelgefühle, wofür Salzmangel verantwortlich sei. «Das ist nicht harmlos, wir mahnen die Leute, Bouillon zu trinken, um wieder aufzutanken», so Müller-Schoop.

Die Schweizer müssen ihre Ernährungsgewohnheiten den veränderten Temperaturen anpassen. Doch das allein reicht nicht, um gesund zu bleiben. Das Bundesamt für Gesundheit warnt in einer Broschüre bereits vor demnächst aus den Tropen heranrückenden Krankheiten wie Malaria und der von Sandfliegen übertragenen Leishmaniose. Weitere Defekte, etwa Sonnenbrand oder von Schweiss und Sonnencrème herrührende Hautausschläge, liessen sich dauerhaft nur durch eine an südlichere Verhältnisse angepasste und vielleicht auch dunklere Haut vermeiden. Körpereigene Flipflops aus Hornhaut wären ebenfalls zu begrüssen: «Auf dem Notfall behandeln wir im Moment viele, die barfuss unterwegs waren und sich dabei verletzt haben», sagt Bitterlin vom Universitätsspital Basel.

Weiter muss die Schweizer Bevölkerung stressresistenter werden. Beim Schlangestehen am Bancomaten, als Velofahrer im Strassenlärm: Noch hat die jüngste Hitzewelle zu viele an den nervlichen Anschlag gebracht. Das Phänomen Hitzestress ist verbreitet, und: «Es gibt Menschen, die auf Stress aggressiv reagieren», sagt der Gewaltexperte Arno Gruen. Studien belegen, dass Autofahrer häufiger und länger hupen, je wärmer es im Innern des Wagens ist. Eine Untersuchung in Deutschland zeigte, dass bei einer Temperatur im Auto von 32 Grad die Unfälle innerorts um 22 Prozent, bei 37 Grad gar um 30 Prozent steigen. Und niederländische Wissenschafter wollen herausgefunden haben, dass bei 21 Grad jeder zweite Polizist in einer Einbruchsituation die Waffe zückt - bei 27 Grad aber mehr als acht von zehn.

Schweisstreibende Erotik
«Das Klima beeinflusst die Lebensgewohnheiten», sagt der Kriminologe Martin Killias. Wenn viele Menschen draussen auf der Strasse sind, dann erhöht sich das Gewaltpotenzial. Im Zürcher Langstrassenquartier schien vergangene Woche mehr als sonst Aggression in der Luft zu liegen. Geprellte Freier krakeelten noch frühmorgens Ozon-heiser durch die Seitengassen, Zuhälter schwitzten sich finster die Brillantine aus dem Haar und in die Specknacken. Mehr zu tun hatte die Polizei deswegen nicht, es herrsche (auch ferienbedingt) «tote Hose», wie Michael Wirz, Sprecher der Stadtpolizei Zürich, erklärt.

In der Jägersprache steht das Wort «Hitze» für die Zeit des Läufigseins bei Füchsen und Hunden. Und auch die menschliche Erotik wird bei steigenden Temperaturen selbst für schamhafteste Buchhalterseelen zu einer unschweizerisch schweisstreibenden Angelegenheit. Bei derart einschneidenden Veränderungen des Alltags sind Gegenreaktionen programmiert. Die Zeugen der Kleinen Eiszeit im 16. und 17. Jahrhundert etwa liessen sich zu Hexenverfolgungen hinreissen, als auf ihren Feldern die Saat erfror. Gut möglich, dass Voodoo und Regengötter bei uns Einzug halten, wenn die Gluthitze den Weizen verbrennt und unsere identitätsstiftenden Schneeberge Sanddünen Platz machen.

Mitarbeit: Larissa Bieler


Quelle: http://www.nzz.ch/2006/07/30/il/articleEC8UD.html
Grüsse Peter

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Federwolke
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Beitrag von Federwolke »

Danke für diesen interessanten Artikel.
Vorstellbar wäre auch, dass wir künftig im Aargau oder im Seeland durch Zitrus-Haine lustwandeln können.


Frostresistente Zitrus-Pflanzen...? :(


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Adrian (Dübendorf)
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Beitrag von Adrian (Dübendorf) »

Original von Federwolke
Frostresistente Zitrus-Pflanzen...? :(
Haben da die Amis nicht das gleiche Problem? Ich mag mich an Bilder erinnern wo Orangen bewusst mit Wasser abgespritzt werden, damit diese nicht erfrieren.
Gruss Adrian Senn
http://www.senn.ch/meteo/

Severestorms
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Beitrag von Severestorms »

Sehr interessanter Artikel! Danke fürs Posten!
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Federwolke
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Beitrag von Federwolke »

Hoi Adrian
Ich mag mich an Bilder erinnern wo Orangen bewusst mit Wasser abgespritzt werden, damit diese nicht erfrieren.


Ja, so zwei-drei Mal pro Saison sicher machbar. Aber bei durchschnittlich 80 Frosttagen pro Jahr in Aarau und gegen 100 in Payerne? Frage mich wirklich, ob obige Idee ernsthaft durchdacht ist oder nur einmal mehr mediale Effekthascherei dahintersteckt.

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c2j2
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Beitrag von c2j2 »

Ich dachte, daß die Winter ebenfalls wärmer werden und es meist regnet statt schneit. Das würde das Frostproblem erschlagen ;-)

Ch.
Wieso Hagelraketen und andere Unwetter-Schadensverminderer... man kann auch mich buchen. Wo ich bin, sind keine Unwetter :roll:

Christoph
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Beitrag von Christoph »

Sälü zäme

@ Adrian
Auch bei uns z.B. die Aprikosenhaine im Unterwallis werden so vor Frost geschützt. Sieht jeweils cool und wie nach einem extremen Eisregen aus. Wie aber Fabienne zu Recht einwendet, sind dieser Methode zum - kurzfristigen - Frostschutz (Energieabgabe beim gefrieren des Wassers, kurzer Schutz vor der tiefen "Aussentemperatur") enge Grenzen gesetzt und wird bei uns v.a. bei starken Spätfrösten eingesetzt.

@ Fabienne
Du hast völlig recht. Ohne "permanenten" Schutz im Winter, d.h. Gewächshäuser oder ähnliches, wird es bei uns noch lange keine Citrushaine geben. Über frostresistentere Züchtungen von Citrusfrüchten bin ich aber nicht auf dem Laufenden. Glaube aber nicht unbedingt daran.
Wir beobachten bei den Pflanzen starke Tendenzen, dass südlichere, im Mittelmmerrraum verbreitete Arten bei uns vermehrt Fuss fassen und in den Gebirgen, stark vereinfacht ausgedrückt, vermehrt Arten der alpinen Rasen in die höheren, schuttigeren Lagen vordringen und potentiell einige Spezialisten verdrängen. Allerdings müssen diese entweder relativ frostresistent sein oder sie siedeln sich nur in mikroklimatisch frostgeschützeren Lagen an bzw. verschwinden nach kalten Wintern wieder.

Herzliche Grüsse

Christoph Käsermann
Natur- und Geographiefreak (cool das Geographiespiel auf www.romankoch.ch) - am spannendsten sind Vulkane, Stürme und Sonnenfinsternisse...


fish
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Bald tropische Pflanzen in der Schweiz

Beitrag von fish »

Original von Christian, Konstanz
Ich dachte, daß die Winter ebenfalls wärmer werden und es meist regnet statt schneit. Das würde das Frostproblem erschlagen ;-)

Ch.
Was der Winter 05/06 eindrucksvoll bewiesen hat ;-)

gruss
fish

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Uwe/Eschlikon
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Beitrag von Uwe/Eschlikon »

Nur so nebenbei:

Es gibt zB. die Poncirus trifoliata (Dreiblättrige Zitrone), die auch in userem Mittelland-Klima völlig hart ist. Dies ist nicht die einzige Art. Es gibt noch mehr Citrus-Arten (zB. Bitterorange), die einen Auspflanzversuch bei uns wert wären.

In meinem Garten auf 600m wachsen Kiwi, Feige, Aprikose, Eukalyptus u.a. schon seit Jahren erfolgreich. Der Schlafbaum (Albizia julibrissin), ein Mimosengewächs mit wunderschönen Blüten aus dem Mittelmeerraum, hat bei mir den letzten Winter problemlos überstanden und wächst tiptop. Das selbe gilt auch für den Pawpaw (Paupau), eine tropische Fruchtart aus den USA. Mein Bäumchen ist mittlerweile 1,50m hoch. An geschützten Lagen können im Mittelland auch Kaki und Granatapfel gut über die Winter kommen.

Ich muss auch mal wieder meinen Kakteengarten erwähnen (siehe Anhang: Die Wüste lebt...)

Sooo schlecht ist unser Klima gar nicht ;-)

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