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Die Rückversicherer - Buchhalter des Disasters

Grundlagen und Expertenwissen.
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Federwolke
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Die Rückversicherer - Buchhalter des Disasters

Beitrag von Federwolke »

2005 war das bisher teuerste Katastrophenjahr. Was kommt danach? Was lässt sich noch versichern? Ein Besuch am Hauptsitz des weltgrössten Rückversicherers in Zürich.

Klassische Katastrophen können die Experten kalkulieren.

Befürchten Sie, von Ausserirdischen entführt zu werden? Wünschen Sie eine Absicherung gegen steigende Benzinpreise? Oder wollen Sie sich trösten mit einer finanziellen Entschädigung, falls Ihre Braut vor dem Traualtar das Ja verweigert? Auf solche Fälle hat sich die holländische Firma Hullberry Insurance spezialisiert – sie bietet Schutz gegen die «ungewöhnlichen und ungenormten» Risiken des Alltags. Natürlich: Das sind Skurrilitäten. Und auch wenn es unter den Stars und Sternchen dieser Welt nicht unüblich ist, sich die Beine oder die Stimme für Hunderte Millionen von Franken versichern zu lassen, so handelt es sich dabei doch um seltsame Auswüchse einer Branche, deren Geschäft an sich ernst ist – todernst. Besonders, wenn es um Gefahren geht, die nicht nur die kleine Welt jedes Einzelnen bedrohen, sondern unsere Erde als Ganzes.

Nach Schätzungen des Schweizer Rückversicherungskonzerns Swiss Re sind im vergangenen Jahr weltweit mehr als 112 000 Menschen bei Naturkatastrophen ums Leben gekommen. Dabei sind Schäden von rund 225 Milliarden US-Dollar entstanden, wovon etwa 80 Milliarden durch Versicherungen gedeckt sind. 2005 war das mit Abstand teuerste Jahr in der bisherigen Geschichte der Versicherungswirtschaft. Dies, nachdem die Branche bereits im Vorjahr mit versicherten Schäden von 42 Milliarden Dollar einen Negativ-Rekord zu verkraften hatte.

Die Versicherer der Versicherer

Wo führt das hin? Sind solch gewaltige Schäden überhaupt noch versicherbar? Wird angesichts der Klimaveränderung alles noch schlimmer? Oder kollabiert die Welt wegen anderer Gefahren wie einer globalen Grippe-Epidemie? Die verlässlichsten Antworten auf diese drängenden Fragen erhält man bei Swiss Re selbst. Durch den am 18. November 2005 angekündigten Kauf der US-Gesellschaft General Electric Insurance Solutions wird Swiss Re zur globalen Nummer eins im Rückversicherungswesen. Das Geschäft der Rückversicherer besteht in der Versicherung von Versicherungen; sie übernehmen die Risiken anderer Versicherer gegen Prämien. Und damit lässt sich nur Geld verdienen, wenn sich die Firmen wie Swiss Re ein minutiöses Bild machen von den Gefahren, die diese Welt bedrohen. Ihre Seismologen, Atmosphärenphysiker und Versicherungsmathematiker sind die Buchhalter des Desasters.

Von «Katrina» nicht überrascht

Und so geht die Frage an Serge Tröber, Leiter Naturkatastrophen bei Swiss Re – in einem kühl arrangierten Besprechungsraum tief im Innern des neoklassizistischen Hauptsitzes des Unternehmens am Stadtzürcher Seebecken: «Sind Sie im August 2005 vom Wirbelsturm «Katrina» an der Küste Louisianas überrascht worden?» – «Zu einem gesunden Risikomanagement gehört es, gewisse Wahrscheinlichkeiten für solche Szenarien einzubauen», sagt der Umweltwissenschaftler. «Unsere Berechnungen mit Modellen decken mögliche Naturkatastrophen im Zeitraum von etwa 10 000 Jahren ab. Ein Szenario, wie ,Katrina’ es darstellt, war Teil davon. Wobei zu sagen ist, dass wir bei einem solchen Ereignis von einer relativ häufigen Wiederkehrperiode von rund 30 Jahren ausgehen.» Gemäss neuesten Zahlen muss die Versicherungswirtschaft in der Folge von «Katrina» für Schäden von 45 Milliarden Dollar aufkommen.
«In den vergangenen Jahren ist der Deckungsbedarf weltweit jeweils um rund zehn Prozent gewachsen», sagt Serge Tröber. Und mit jeder Katastrophe steigt der Bedarf von Versicherten, aber auch der Öffentlichkeit nach Einschätzungen darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Schicksal das nächste Mal zuschlagen wird und wo.
Verlässliche Prognosen über künftige Schadensereignisse sind einfach, wenn es zum Beispiel darum geht, abzuwägen, wie häufig ein Gebäude ohne böse Absicht in Flammen aufgeht. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit sehr klein, dass in einem bestimmten Haus ein Brand ausbricht. Über eine ganze Region wie den Kanton Bern betrachtet, treten Feuer aber relativ häufig und regelmässig auf. Das erlaubt den Versicherungsmathematikern recht präzise Vorhersagen. Ein Hurrikan hingegen tritt einmal auf und dann vielleicht Hunderte von Jahren nicht mehr – es fehlt oft an historisch zuverlässigen Daten über lange Zeiträume.
Um das Auftreten solch seltener und an sich unvorhersagbarer Naturkatastrophen trotzdem abschätzen zu können – und damit die Grundlage zu schaffen für eine Prämienberechnung –, müssen Versicherungsstatistiker mit der Rechenleistung von Computern die Häufigkeit solcher Ereignisse über Tausende von Jahren hinweg simulieren. Ein Wirbelsturm im Nordatlantik, ein Tsunami in Südostasien oder ein Wintersturm in Europa: Für jedes Ereignis haben Serge Tröber und seine zwanzig, auf der ganzen Welt tätigen Mitarbeiter unzählige Varianten durchgespielt. Erst vor diesem Hintergrund wird Tröbers Zuversicht fassbar, wenn er sagt: «Bei Naturgefahren können wir relativ gut einschätzen, auf welchem Eis wir uns bewegen.» Wir machen die Probe aufs Exempel:


Herr Tröber, was ist die grösste zu erwartende Naturkatastrophe?

Der versicherungstechnische Super-GAU tritt dann ein, wenn es ein Gebiet trifft, wo die Gefährdung ausgeprägt und die versicherten Werte hoch sind. Das ist der Fall bei Hurrikans im Nordatlantik, bei Erdbeben in Kalifornien und in Japan und bei Winterstürmen in Europa. In jedem dieser Gebiete erwarten wir alle 100 bis 200 Jahre ein Ereignis mit versicherten Schäden von 40 bis 100 Milliarden Dollar. Menschenleben sind besonders dort gefährdet, wo die Versicherungsdurchdringung tief ist: Eines der schlimmsten Szenarien sieht ein Erdbeben in Teheran vor mit einer halben Million Toten.


Welche Katastrophe ist am wahrscheinlichsten?

Hurrikans im Nordatlantik.


Welche drohende Gefahr wird am meisten unterschätzt?

Unterschätzt wird immer diejenige Gefahr, die lange nicht mehr real geworden ist. Das gilt insbesondere für den Vulkanismus. Der Vesuv hat alle 100 bis 200 Jahre eine grössere Eruption gehabt. Er könnte jederzeit wieder aktiv werden.


Kann man die Gefahr einer Naturkatastrophe überschätzen?

Eher nicht. Das Problem ist vielmehr, dass das Bewusstsein für eine Gefahr begraben wird, wenn niemand mehr lebt, der das Ereignis selbst erfahren hat.


Wie wahrscheinlich ist ein grosses Erdbeben in der Region Basel wie vor 650 Jahren?

Nach unserer Einschätzung tritt ein solches Ereignis alle zwei- bis dreitausend Jahre einmal auf. Gemäss einer neuen Studie von uns, würden sich dabei die Schäden an Gebäuden und Mobiliarwerten in der Schweiz auf etwa 60 Milliarden Franken belaufen, wobei zurzeit nur ein kleiner Teil davon versichert ist.


Hat die Zahl der Naturkatastrophen zugenommen?

Bei den Erdbeben nicht, bei den wetterbedingten Ereignissen scheint es einen schwachen Trend zu geben im Sinne einer Zunahme. Klar zugenommen hat der versicherte Schaden, und zwar wegen der höheren Bevölkerungsdichte und der gestiegenen Werte in den gefährdeten Zonen.

Risiken sind demokratisch verteilt

Auch wenn er es wissenschaftlich nicht hieb- und stichfest beweisen kann: Serge Tröber zweifelt nicht daran, dass es unter dem Einfluss des Menschen zu einer Erwärmung des Klimas kommt. Die Folge für Mitteleuropa: eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Ereignisse, die mit starken Niederschlägen verbunden sind wie zum Beispiel die Überschwemmungen des vergangenen August in weiten Teilen der Schweiz. Versicherungstechnisch spielen indessen die Ursachen der Klimaveränderung keine grosse Rolle. «Entscheidend sind die Auswirkungen», sagt Serge Tröber. «Sie sind da, und es gilt, sie zu bewältigen. Aber man muss auch präventiv vorsorgen – durch eine Reduktion der Treibhausgasemissionen.»

Walter Kielholz hat einmal gesagt: «Mit dem Wohlstand steigt das Sicherheitsbedürfnis.» Was der ehemalige Präsident der Swiss-Re-Geschäftsleitung so umschrieben hat, kann Serge Tröber mit Zahlen belegen. Er sagt: «Das Bruttosozialprodukt und das Prämieneinkommen der Versicherer pro Kopf sind klar korreliert. In der westlichen Welt geben die Menschen bis zu zehn Prozent ihres gesamten Einkommens für die Gesundheitsvorsorge oder andere Versicherungen aus. Dieser Anteil steigt immer dann, wenn ein akuter Anlass den Menschen vor Augen führt, wie gefährlich die Welt sein kann.»
Risiken sind demokratisch verteilt, Policen aber nicht. Zwei Zahlenverhältnisse mögen das dokumentieren. Beim Hurrikan «Katrina» betrugen die versicherten Schäden, wie erwähnt, rund 45 Milliarden Dollar, beim Tsunami in Südostasien gerade mal 1,5 bis 2 Milliarden. Bei den Menschen, die umkamen, ist es gerade umgekehrt: An der Küste von Louisiana gab es rund 1000 Todesopfer, in den Tsunami-Gebieten 200 Mal mehr. Das hat damit zu tun, dass beim Tsunami die Küstenbewohner grösstenteils überrascht wurden. Und die vergleichsweise geringe Opferzahl in den USA lässt sich erklären mit der Vorwarnzeit, die bestand, weil Wetterprognosen den Verlauf des Wirbelsturms rechtzeitig ankündigten und eine Evakuierung ermöglichten. Dennoch: Beim Seebeben vom Dezember 2004 blieben die versicherten Schäden angesichts der Katastrophe auch deshalb niedrig, weil wohl die meisten Betroffenen gar keine Versicherung hatten – oder eben die Versicherungsdurchdringung tief war, wie sich Serge Tröber ausdrückt.

Der Schweinezyklus der Preise

Wenn die Versicherungen – inklusive Rückversicherer – in einem Jahr wie 2005 80 Milliarden Dollar ausbezahlen müssen, stellt sich die Frage nach der Grenze der Versicherbarkeit. Kann eine Versicherung jedes denkbare Risiko decken? «Grundsätzlich liegt die Grenze bei dem, was der einzelne Versicherte finanzieren kann», sagt Serge Tröber. Erreicht sei sie aber auch dort, wo jemand ein Haus an einem Fluss baue, der jedes Jahr über die Ufer trete. Diesen Grundsatz haben die Bewohner des Berner Mattequartiers nach den jüngsten Überschwemmungen im vergangenen Sommer zu spüren bekommen: Nach mehrmaligen Schadenfällen haben einige von ihnen Mühe, sich weiterhin adäquat versichern zu können. Oder sie mussten Auflagen und höhere Prämien in Kauf nehmen.
«Die Preise im Katastrophengeschäft erinnern mich an den so genannten Schweinezyklus», sagt Andreas Schraft, Leiter der Risikoeinschätzung bei Swiss Re. Der Schweinezyklus geht so: Wird das Schweinefleisch teurer, setzen die Bauern vermehrt auf Schweinezucht. Zwei Jahre später besteht ein Überangebot, worauf die Preise wieder sinken. Also steigen viele Bauern wieder aus der Schweinezucht aus, mit dem Ergebnis, dass die Preise wieder steigen. Dann beginnt das Spiel von vorne. Treibende Faktoren im Prämienzyklus des Katastrophengeschäfts waren seit Beginn der Neunzigerjahre das gehäufte Auftreten von Schadenfällen und die Entwicklung auf den Finanzmärkten, wo die Versicherer investieren, um sich selbst abzusichern. «Aus Sicht der Versicherer ist das modellierte Risiko in den Preisen heute gut abgebildet», sagt Swiss-Re-Sprecher Beat Werder. «In den Neunzigerjahren war das nicht der Fall.» Das zeigt sich auch darin, dass der Versicherungskonzern Zurich diese Woche für das Katastrophenjahr 2005 einen Rekordgewinn von 4,2 Milliarden Franken bekannt gegeben hat.
Glaubt man den Versicherungsprofis von Swiss Re, dann haben sie den Umgang mit den traditionellen Naturkatastrophen derzeit im Griff. Neuartige Risiken abzuschätzen, ist schwieriger. Andreas Schraft ist spezialisiert auf die Wahrnehmung neuer Gefahren – im Fachjargon «emerging risks». Er sagt: «Wir führen eine Liste mit hundert Einträgen, deren Entwicklung wir ständig beobachten. An vorderster Stelle stehen Dinge wie Nanotechnologie, Gentechnologie, elektromagnetische Felder und die Gefahr einer weltweiten Epidemie – und dies nicht erst seit den Diskussionen um die Vogelgrippe.»
Zu Andreas Schrafts Job gehört es, herauszufinden, vor was sich die Menschen fürchten und wann sich aus einer bloss eingebildeten Angst ein reales Risiko entwickelt, das für die Versicherungen zu einem Problem werden könnte. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich ein anscheinend harmloses, neues Produkt als gefährlich für die menschliche Gesundheit erweist und die Versicherungen mit Fragen der Haftpflicht konfrontiert sind. Von der Nanotechnologie – der Wissenschaft der Dinge, die so klein wie einzelne Atome oder Moleküle – verspricht sich die Forschung wahre Wunder: etwa Miniroboter, die durchs Blut pflügen und Medikamente direkt an ihren Zielort bringen oder unsichtbare Partikel, welche die Raumluft von schlechten Gerüchen befreien. Doch niemand weiss mit Sicherheit, ob derartige Entwicklungen im Körper des Menschen nicht auch Schäden anrichten. So gibt es aus Tierversuchen Hinweise, dass Nanoteilchen die Lungen beeinträchtigen oder gar über das Nervensystem von der Nase direkt ins Gehirn gelangen können.

Abgesichert gegen die Vogelgrippe

«Wir bewegen uns bei solchen Risiken in einem Graubereich, weil es noch keine Schadenerfahrung gibt», sagt Andreas Schraft. Das sei schlecht, weil man so unmöglich Prämien kalkulieren könne; es lasse sich eigentlich nur defensiv agieren, indem man die Versicherungsdeckung einschränke. «Es ist aber auch gut, weil wir so die Möglichkeit haben, zusammen mit unseren Kunden den Umgang mit diesen Risiken zu gestalten.»
Und die Vogelgrippe, von der manche behaupten, sie würde zu wirtschaftlichen Schäden nie gekannten Ausmasses führen, sollte sie tatsächlich zu einer globalen Epidemie unter Menschen werden? Am Hauptsitz des grössten Rückversicherers der Welt ist man zurückhaltend. Beat Werder sagt: «Eine solche Epidemie würde einen grossen Schaden für die gesamte Wirtschaft bedeuten. Aber wir spekulieren nicht darüber, denn die Unsicherheiten sind zu gross. Auf jeden Fall sind wir geschäftlich diversifiziert und haben uns am Kapitalmarkt abgesichert». So funktioniert die Versicherung bei Versicherern von Versicherern. Doch das ist eine Geschichte für sich.

Risiken sind relativ

«Kleiner bund»: Das Kalkulieren von Risiken – etwa für das Auftreten von Hurrikans – ist ein komplexes Geschäft. Wie machen die Versicherungen ihren Job?

Matthias Haller: Bei ihren Berechnungen gut; die besten Rechner sind die Rückversicherer. Oft erledigen sie ihre Arbeit besser als Staaten: Die USA waren miserabel auf den Hurrikan «Katrina» vorbereitet und die Art, wie das Land auf die Katastrophe reagiert hat, hat die Schäden eher noch erhöht. Die Frage ist aber, ob die Modelle der Versicherer wirklich die reale Welt abbilden. Ihre Experten rechnen nach der Formel «einmal in 1000 Jahren», die Menschen haben aber Mühe, nur schon über ihre eigene Generation hinauszuschauen. Für sie bleibt das Denken der Versicherer völlig abstrakt.

Wie kann man den Menschen trotzdem klar machen, welche Gefahren ihnen auf lange Sicht drohen?

Die Erfahrungen in unserer Stiftung Risiko-Dialog zeigen: Das ist fast unmöglich. Der Durchschnittsbürger denkt nämlich nicht in Wahrscheinlichkeiten, für ihn ist das Ja-Nein-Schema relevant: Passiert es mir oder nicht? Dabei spielt die Psychologie eine grössere Rolle als die Statistik. Die Menschen sehen vor allem die Tragik des Einzelfalls, etwa des tödlichen Hundebisses. Eine Geschwindigkeitsreduktion im Strassenverkehr hätte aber eine viel grössere Wirkung; sie würde Hunderte von Menschenleben retten.


Hat denn die Angst vor Gefahren gar keinen Sinn?

Doch natürlich. Aber nicht die pure, sondern die entwickelte Angst. Nur sie hat eine präventive Wirkung: Wer sich verbrannt hat, lässt die Finger von der Herdplatte. Man muss eine Balance finden zwischen zu viel und zu wenig Angst. Hinzu kommt, dass die Wahrnehmung von Risiken auch immer von den Interessen eines gesellschaftlichen Subsystems abhängt: Versicherungen beurteilen die Vogelgrippe nüchterner als die Medien.


Gibt es auch auf der Ebene ganzer Gesellschaften unterschiedliche Traditionen, um mit einem Risiko umzugehen?

Ja. Ins Auge sticht insbesondere der Unterschied zwischen den USA und Europa. In den USA herrscht der Pioniergeist und der Umgang mit dem Risiko ist individuell angelegt: Wenn jemand Konkurs macht, legt er vielleicht schon am nächsten Tag den Grundstein für einen Neuanfang. In Europa dagegen herrscht vielmehr eine Kultur des Ausgleichs, ein Bedürfnis nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit – alle sollen am Wohlstand teilhaben können, aber auch der Schaden soll sich auf alle verteilen.


Wie zeigt sich das im konkreten Fall?

Besonders deutlich wird diese Diskrepanz bei Schäden, welche die Haftpflicht betreffen. In Europa versucht man bei einem solchen Fall, den Kausalzusammenhang herzustellen und den verantwortlichen Verursacher zu belangen. In den USA geht es bei der Haftpflicht eher um den Ersatz von Sozialpolitik. Das primäre Ziel ist nicht, den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sondern im ökonomischen Spiel aus einem Schadenfall möglichst viel Geld herauszuholen. Interview: Patrick Imhasly

Matthias Haller ist emeritierter Professor für Risiko-Management und Versicherung an der Universität St. Gallen und Präsident der Stiftung Risiko-Dialog in St. Gallen.

Der Bund, Patrick Imhasly [18.02.06]

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