Hallo zusammen
Erst einmal ein grosses Dankeschön an alle, welche zur Aufklärung dieses Falles ihren Beitrag leisten, sei es anhand von Schadensfotos, von Radarscans, von Augenzeugenberichten oder von Meinungen und Analysen. Es ist wirklich wieder ein spannender Fall, nicht allein die Frage ob Tornado ja/nein, sondern die Entwicklung und das Verhalten der Superzelle im Allgemeinen. Das hier ist Anschauungsmaterial bzw. Lernobjekt vom Feinsten. Gerade auch, weil mittlerweile viele Daten zur Analyse zur Verfügung stehen.
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Federwolke hat geschrieben:Das bringt mich nun aber angesichts der Lage um 23:00 Uhr schon etwas ins Grübeln. Das war genau der Zeitpunkt, an dem ich mich entschied die laufende Unwetterwarnung noch nicht durch den Wetterbericht für den nächsten Tag zu ersetzen:
Dem Deutschen Wetterdienst (DWD) in Stuttgart zufolge gab es allerdings eine großflächige Unwetterwarnung für Baden-Württemberg für die Nacht zum Mittwoch. Diese Warnung sei gegen 23.00 Uhr vorübergehend aufgehoben und dann nach Mitternacht wieder scharf geschaltet worden. Gegen 1.45 Uhr galt Alarmstufe 4 von 5, später sei die Warnung auf Stufe 5 hochgestuft worden, wie ein DWD-Mitarbeiter sagte.
Quelle:
http://www.swp.de/ulm/nachrichten/suedw ... 25502.html
Ob es etwas daran geändert hätte, dass die Gruppe in den Zelten übernachtet, sei mal dahingestellt. Es ist einfach ein weiteres trauriges Beispiel dafür, wie wenig Wetterbildung und Bewusstsein für die Gefahren in der Bevölkerung vorhanden ist.
Ich verstehe das auch nicht. Einen Grund zur Aufhebung der Warnung gab es unter den gegebenen Umständen nicht.
Im Übrigen kam die Aufhebung für den Kreis Waldshut nicht schon um 23 Uhr, sondern um 00.46 Uhr. Also zu dem Zeitpunkt, als die Gewitterfront (mit eingebetteter bzw. späterer Superzelle) vor den Toren Basels stand!
WPSU40 WTXX 012246
AUFHEBUNG der VORABINFORMATION UNWETTER
vor SCHWEREM GEWITTER
für Kreis Waldshut
Die Vorabinformation Unwetter vor schwerem Gewitter, ausgegeben vom Deutschen Wetterdienst am Dienstag, 01.08.2017 19:53 Uhr, gültig von Dienstag, 01.08.2017 19:53 Uhr bis Mittwoch, 02.08.2017 04:00 Uhr, wird am Mittwoch, 02.08.2017 00:46 Uhr, aufgehoben.
DWD / RWB Stuttgart
Radaranimation Mitternacht bis 01.00 Uhr MESZ:
Die Akutwarnung vor der Superzelle kam dann genau eine Stunde später, um 01.47 Uhr, als das Unwetter schon über dem Gebiet wütete:
WUSU92 WTXX 012347
Amtliche UNWETTERWARNUNG vor SCHWEREM GEWITTER
für Kreis Waldshut
gültig von: Mittwoch, 02.08.2017 01:47 Uhr
voraussichtlich bis: Mittwoch, 02.08.2017 03:30 Uhr
ausgegeben vom Deutschen Wetterdienst
am: Mittwoch, 02.08.2017 01:47 Uhr
Es besteht die Gefahr des Auftretens von schweren Gewittern (Stufe 3 von 4).
Wie bereits erwähnt, können wir im konkreten Fall nicht beurteilen, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn die Vorabinformation nicht aufgehoben worden wäre. Und auch, dass es mittlerweile gute Beispiele gibt, wo das Warnmanagement im Vergleich zu früher besser geworden ist, möchte ich nicht bezweifeln. Aber es ist auch meiner Meinung nach immer noch viel zu wenig Sensibilität für das Thema vorhanden. Angesichts der gemessenen Windgeschwindigkeiten und der grossräumig aufgetretenen schweren Sturmschäden ist es ein Wunder, dass nicht mehr Menschen zu Schaden gekommen sind!
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Michael (Untersee) hat geschrieben:Microbursts und Tornados können gemeinsam auftreten, wie schon Arbeiten von Ted Fujita gezeigt haben. Es wird aber recht schwierig sein, dies anhand des Schadenmusters zu erkennen. Auch Microbursts können schneisenartige Schäden verursachen. Typischerweise verursachen diese ein divergentes, manchmal aber auch ein geradliniges Fallmuster. Ein eindeutiger Hinweis auf einen Tornado wäre ein konvergentes Fallmuster, aber bei schwachen Tornados (kleiner als F2), welche in eine schnell ziehende Superzelle eingebettet sind, ist das kaum zu erkennen und das Fallmuster eher geradlinig, womit das Ereignis schwierig von einem Downburst zu unterscheiden ist.
Danke Michael für diese wichtigen Hinweise! Richtig, wir dürfen bei aller Diskussion nicht vergessen, dass das eine das andere nicht ausschliessen muss. Und beim Hook muss man aufpassen, dass man es nicht überbewertet. Es sollte schon etwas dauerhaft sein, um aussagekräftig zu sein. Sonst wohl eher zufällig. Daher gute Frage Willi bezüglich der Persistenz.
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Michael (Untersee) hat geschrieben:@Willi: Danke für deine Interpretation zur Superzelle. Spannend! Ich habe versucht, mich an vergleichbare Ereignisse in der Vergangenheit zu erinnern, also Superzellen, welche über längere Distanzen Windschäden verursacht haben. Spontan fallen mir da der 13.7.2011 (
http://www.sturmarchiv.ch/index.php?tit ... Mittelland) und der 24.6.2002 (
http://www.sturmarchiv.ch/index.php?tit ... ton_Aargau) ein. Gibt wahrscheinlich noch weitere Ereignisse. Interessant finde ich, dass alle Fälle in der Nacht aufgetreten sind. Gibt es ähnliche Fälle von Superzellen, welche tagsüber aufgetreten sind? Mir fallen nur solche ein, die vor allem grossen Hagel und nur lokale Downbursts produziert haben.
Gruss, Michael
Diese beiden Fälle sind mir auch in den Sinn gekommen. Vor allem der Fall von 2002 erinnert mich stark an die aktuelle Situation. Damals sah auch die Radaranimation ähnlich aus.
Eine tagsüber aufgetretene Superzelle mit verbreiteten Downburstschäden war zum Beispiel diejenige vom
6. August 2013.
Auch mir ist gestern in den Sinn gekommen, dass nächtliche Superzellen (zumindest hier bei uns) oft langlebiger, stärker und damit gefährlicher sind/waren als solche am Tag. Warum dies so ist, ist eine interessante Frage und versuche ich ebenfalls herauszufinden. Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass die Superzellen von einem mehr oder minder ungestörten Low Level Jet profitieren können. Ausserdem kann ich mir vorstellen, dass Störfaktoren wie vorübergehend abnehmende Low Level Scherung oder Trocken»löcher» in der Nacht weniger ausgeprägt sind als am Tag. Gewitterzellen in der Nacht sind in der Regel von der Grundschicht entkoppelt (elevated) und gleiten quasi oben drüber. Dass langlebige Superzellen mehrere Downbursts in mehreren Zyklen produzieren, ist wiederum nicht aussergewöhnlich.
Ob nächtliche Superzellen generell stärker sind als solche am Tag, weiss ich nicht. Vielleicht ist es hier wegen des Rhonetal-LLJ speziell. Dieser Frage müsste man unbedingt nachgehen.
Eine andere nächtliche Superzelle, welche in Europa zu verheerenden Schäden geführt hat, war diejenige vom 24./25. Mai 2009 in Belgien:
https://en.wikipedia.org/wiki/Supercell#Europe
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Cyrill hat geschrieben:... deshalb rege ich hier an, dass die Tornado Taskforce Schweiz in Betracht ziehen könnte, ein vorläufiges, da ja noch nicht endgültiges Ergebnis zu publizieren, bevor es zu einem Selbstläufer wird. Ich persönlich war vor Ort und habe natürlich Ähnliches schon gesehen. Aber ich verstehe den Standpunkt und den Wunsch auf Information seitens der Bevölkerung, insbesondere der betroffenen Gebiete. Ich sah ja in der Nacht noch nicht viel. Als die Morgendämmerung eintrat, konnte ich allmählich erkennen, wie gravierend zum Teil die Zerstörungen sind.
Ich hoffe, dass hier meine Anregung positiv aufgenommen wird.
Hallo Cyrill, danke für das Veröffentlichen des Emails der Familie Weber aus Mammern. Ich denke, wir sind doch noch Einiges von einem (auch vorläufigen) Ergebnis entfernt. Das Einzige,was man sagen kann, ist, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Down- oder Microbursts gegeben hat und dass ein Tornado bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann. Ich kann verstehen, dass Einwohner der betroffenen Region von der rohen Naturgewalt, welche sie erleben mussten und angesichts des einhergehenden materiellen Verlusts, geschockt und teilweise fassungslos sind. Ich möchte dich bitten, der Familie Weber die Emailadresse des Sturmarchivs (
meldung@sturmarchiv.ch) durchzugeben mit dem Hinweis, dass persönliche Erlebnisberichte und Foto-/Videomaterial gerne entgegengenommen und ausgewertet werden. Danke!
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Hier noch meine Kurzeinschätzung zu den Schäden nach allen bislang vorhandenen bzw. publizierten Informationen:
Mehrere heftige Downbursts sind für mich aufgrund der Schadenbilder und -verteilung und vor allem auch aufgrund der verbreitet gemessenen Orkanböen so gut wie gesichert. Die Frage ist mehr, ob sich zusätzlich noch ein Tornado entwickeln konnte.
Zahlreiche Hinweise deuten darauf hin, dass sich die Superzelle nach 2.15 Uhr MESZ (erneut) massiv verstärkte und ihren mutmasslichen Höhepunkt erlangte:
• Aufleben der Blitztätigkeit deutlich beobachtbar (> 1 Blitz / Sekunde)
• Stärkste gemessene Orkanböe um 02.30 Uhr (170 km/h)
• Deutliches V-Shape im Radarbild
• Konzentration des Hagels und stärksten Niederschlags auf den südlichen Bereich
• Um 02.15 Uhr war die vertikale Erstreckung des Hagelschlotes (bis 10 km) am ausgeprägtesten
• Verstärkter Rechtsdrall ab 02.15 Uhr
Wenn, dann würde ich also östlich von Lottstetten am ehesten eine Tornadospur erwarten. Mindestens die stärksten Downburstböen dürften dort aufgetreten sein (vgl. Windmessungen, welche dies bestätigen).
Gruss Chris
PS: @Nadine: Kannst du die Bilder bitte irgendwo öffentlich stellen für alle diejenigen, welche kein Facebook haben? Danke!