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FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20.-22.07.2014

Alles zu (Un)wetter relevant für die Schweiz
Ricco (Koblenz AG)
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von Ricco (Koblenz AG) »

Hallo

Abflussprognosen sind das eine, korrekte Pegelmessungen das andere.... an eigenem Leib erlebt. Als wir gestern Abend die Lage an unseren immer sehr kritischen Ort einschätzten, mussten wir davon ausgehen, dass es bei Zusammenfluss von Aare und Rhein brenzlig wird. Die Aare mit 1650 m2 und der Rhein mit prognostiziertem Abfluss mit 1400m2 in Rekingen sind in Koblenz am obersten Limit was gerade noch so geht. Als wir um 22:00 Uhr entscheiden mussten, ob und was wir evakuieren, mass der Abfluss in Rekingen immer noch um 700m2. Das hiess, dass die Thurhochwasserwelle Rekingen nocht nicht passiert hat. Da das Wasser schon sehr hoch stand, wurde Alarm ausgegeben und einen mobilen Schutzwall gebaut. Denn die zusätzlichen 700 m2 von der Thur hätte zwangsweigerlich zu Überflutungen gefürt. Die Keller wurden geräumt, Autos weggestellt, Elektrogeräte abmontiert. Als um 02:00 der Pegel immer noch gleich war, und Rekingen keinen Anstieg meldete, mussten wie davon ausgehen dass etwas nicht stimmen kann. Die Thurwelle kann sich unmöglich so lange Zeit lassen. Jetzt ist klar, was passiert ist. Der Pegel in Rekingen mass nur die Hälfte an Abfluss, als effektiv, aber er mass. Die Hochwasserwelle des Rheins war schon da, als wir die Keller räumten. Es hätten also überhaupt keine Massnahmen ergriffen werden müssen. Keine Feuerwehr, keine Hochwasselemente herkarren, keine Häuser räumen, keine finanziellen Lasten. Man hätte entspannt ins Bett gehen können. Sowas darf nicht passieren. Wenn so ein Pegel nicht richtig funktioniert, dann nehmt ihn um Himmelswillen vom Netz. Die Leute müssen sich drauf verlassen können.

Ricco

grafur Rifferswil
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von grafur Rifferswil »

Fürs Archiv hier noch eine Radar Summenkarte über 48 Stunden (MON 07z bis WED 07z):
Bild
Quelle: MeteoGroup
Gruss Urs
Zuletzt geändert von grafur Rifferswil am Mi 23. Jul 2014, 10:02, insgesamt 1-mal geändert.


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Michi, Uster, 455 m
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von Michi, Uster, 455 m »

@Vortex: Stimmt gut mit den 116 mm von Bauma (2-Tagessummen). Höchster Wert im Niederschlagsmessnetz der MeteoSchweiz übrigens auf der Schwägalp mit 130 mm, auch das beweist wiedermal, dass der Säntis gar nicht so unrealistische Werte liefert (121 mm).

lukeduke
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von lukeduke »

Ricco (Koblenz AG) hat geschrieben: Wenn so ein Pegel nicht richtig funktioniert, dann nehmt ihn um Himmelswillen vom Netz. Die Leute müssen sich drauf verlassen können.

Ricco
damit man ihn vom netz nehmen kann, muss ja auch zuerst jemand merken, dass er nicht richtig funktioniert. bei nicht funktionioerendem pegel hättet ihr wohl trotzdem evakuiert, da ihr ja völlig im dunklen getappt wärt. besser einmal zu viel evakuieren, auch wenns viel arbeit ist.

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Marco (Hemishofen)
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von Marco (Hemishofen) »

@ Ricco: kann deinen Ärger verstehen, Messgeräte müssen natürlich zuverlässig funktionieren, das gilt für Pegel genauso wie für meteorologische oder andere prozessrelevante Messgeräte. In der Realität muss man immer mit falschen oder fehlenden Messungen rechnen, das schleckt halt auch keine Geiss weg.

Teile auch lukeduke's Meinung und finde, Ricco + Team haben das einzig richtige gemacht, nämlich in einer kritischen Situation mit hohem Schadenspotential und unsicherer Datengrundlage den Aufwand nicht gescheut und Schutzmassnahmen ergriffen. Warum?

Letztendlich geht es um "Risikomanagement" basierend auf Wahrscheinlichkeitsprognosen:

- Fakt: DIE perfekte Punktprognose für ein (Schaden-) Ereignis gibt es nicht, wird es NIE geben
- ergo müssen Entscheidungsträger (vom Meteorologen bis hin zum Feuerkommandanten) mit Wahrscheinlichkeitsprognosen für Ereigniseintritt arbeiten
- das zu Grunde liegende Vorhersagesystem hat bestimmte (statistische) Eigenschaften, die man hoffentlich kennt und quantifizieren kann
- dem finanziellen/materiellen/personellen Risiko stehen ebensolche Aufwände für Präventionsmassnahmen oder Versicherungen gegenüber (cost loss ratio, die man oft nicht so gut kennt oder nur schwer quantifizieren kann)
- die Mathematik, wie man diese beiden Sichtweisen (Kunden vs. Vorhersager) optimal synergetisch nutzt ist aus der Finanz- und Versicherungsstatistik bekannt, unser Jacques Ambühl hat's vor nicht allzulanger Zeit (in einer schwer verdaulichen Präsentation) exemplarisch durchexerziert
- erfahrene Einsatzkräfte brauchen das ganze mathematische Brimborium nicht, sie machen in der Regel intuitiv die richtigen Überlegungen - ich meine das ist in Ricco's Beispiel genauso der Fall gewesen, man muss aber zuerst ein Verständnis für diese Situationen entwickeln, denn ...
- ... optimale Verfahren anwenden bedeutet NICHT, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen, erst im langfristigen Mittel erweist sich die Kosten-Nutzenverteilung als "optimal"

Im kleinen Rahmen erleben wir das Prinzip hier tagtäglich mit den verschiedenen Partnern rund um den Flughafen Zürich: viele Prozesse sind wetterabhängig, e.g. Anflugsregime auf die Pisten. Wir versuchen, als Wetterdienst den Entscheidungsträgern so genau wie möglich, den zeitlichen Verlauf von Windrichtung und -geschwindigkeit im Voraus für die Planung zu liefern: primär mit TAF und ergänzend mit persönlicher Beratung. Leider haben in der Aviatikbranche nur wenige Leute begriffen, dass man mit einem TAF nicht das ganze Wetter erschlagen kann - das ist zwar eine andere Geschichte, aber eine nicht auszuräumende einschränkende Randbedingungen, ähnlich wie der nicht funktionierende Thur-Pegel. Wenn sich's nicht auf die Minute genau so entwickelt, wie vorhergesagt, gibt's Verspätungen und reduzierte Abflugraten und das kostet Geld und macht Ärger bei allen Beteiligten. Ein optimales System würde den Kunden erlauben, regelmässigen Fehlprognosen zum Trotz, die Kosten und den Ärger zu minieren. Realität: wir haben dieses System nicht (höchstens die notwendigen Rohdaten), die Partner wollen's gar nicht (TAF gibt's ja sowieso schon, alles andere kostet zusätzlich, was es nicht darf). Workaround: Kunden nutzen und überstrapazieren das TAF, mittels Telefonaten biegen wir's einigermassen hin, damit sie im daily business halbwegs zufrieden sind und arbeiten können, so hat sich's eingespielt. Basta, funktioniert.

Nur eine kleine weitere Episode aus dem Kapitel wetterabhängige Wahrscheinlichkeitsprognosen von Ereignissen und Menschen - wird sich so beliebig und in verschiedenen Kontexten wiederholen. Vollautomatische optimale Entscheidungsverfahren können Abhilfe schaffen, wo die Prognosesystem so ausgereift sind, dass sie dem menschlichen Urteilsvermögen überlegen sind. Soweit sind wir in der Wetterprognose momentan nicht, wie das aktuelle Beispiel zeigt.
Gruss Marco
-------_/)----

Philippe Zimmerwald
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von Philippe Zimmerwald »

Station Töss-Neftenbach:

Seit April 2014 ist an dieser Station eine Baustelle. 200m oberhalb der Baustelle wurde eine provisorische Station eingerichtet, damit es zu keinem Messunterbruch kommt. Die Daten der Station sind im Niedrigwasser- und Mittelwasserbereich brauchbar. Im HW-Bereich kann es sein, dass die Messung zu hohe Werte anzeigt. Grund: Wasserrückstau der Baustelle. Die Baustelle besteht voraussichtlich noch bis Ende August/Anfang September. Bei weiteren HW dauert die Baustelle noch länger.

Die gestrigen Messwerte der Hochwasserspitze von 270 m3/s sind also nicht plausibel.

Grüsse
Philippe
Zuletzt geändert von Philippe Zimmerwald am Mi 23. Jul 2014, 13:44, insgesamt 1-mal geändert.
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zti
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von zti »

Philippe Zimmerwald hat geschrieben:Station Töss-Neftenbach:

Seit April 2014 ist an dieser Station eine Baustelle. 200m oberhalb der Baustelle wurde eine provisorische Station eingerichtet, damit es zu keinem Messunterbruch kommt. Die Daten der Station sind im Niedrigwasser- und Mittelwasserbereich brauchbar. Im HW-Bereich kann es sein, dass die Messung zu hohe Werte anzeigt. Grund: Wasserrückstau der Baustelle. Die Baustelle besteht voraussichtlich noch bis Ende August/Anfang September. Bei weiteren HW dauert die Baustelle noch länger.

Die gestrigen Messwerte der Hochwasserspitze von 270 m3/s sind also nicht plausibel.

Grüsse
Philippe
Hallo Philippe,
Danke für die Info über die Baustelle. Ich kann aber nicht nachvollziehen was der Wasserrückstau der Baustelle für Auswirkungen auf die Hochwasserspitze haben kann. Die war gestern 260 m3/s (und nicht 270). Habe ein bischen weitergeforscht und herausgefunden, dass 270 m3/s bereits im Jahr 1953 und wieder am 12. Mai 1999 erreicht wurden. Nochmals fast 270 im Jahr 1968. Dieses Jahr am 13. Juli 220 m3/s. Wie bereits unter diesem thread erwähnt hat auch die Station Thur St. Johann 2 HW innerhalb wenige Tage 2 HW erlebt (am 11. Juli mit 40 m3/s und am 22 Juli mit 45 m3/s).
Ich kann zwar verstehen das der Wasserrückstau eine Rolle spielen kann aber nur wenn das Wasser dann plötzlich herunterströmt. Oder vergesse ich irgendetwas entscheidend? Ich bin kein Hydrolog und kenne die Messstelle auch nicht. Wenn ich als Kind mit Steine und Geholz Dämme baute, hatte ich die Feststellung gemacht, dass irgendwann das Wasser zu überliefen anfing. Aber nicht mehr und nicht weniger als es auch hineinfliess.

Bild


Philippe Zimmerwald
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von Philippe Zimmerwald »

@zti:

Ich war nicht vor Ort, aber der Effekt der Baustelle flussabwärts ist nachvollziehbar: Baustelle = Engnis => Rückstau flussaufwärts => höherer Wasserstand bei Messstation = hoher Pegel der Messstelle = aus P/Q Beziehung wird daraus ein hoher Abfluss "berechnet", ein zu hoher Abfluss.

Grüsse
Philippe
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Chicken3gg
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von Chicken3gg »

zti hat geschrieben:
Philippe Zimmerwald hat geschrieben:Station Töss-Neftenbach:

Seit April 2014 ist an dieser Station eine Baustelle. 200m oberhalb der Baustelle wurde eine provisorische Station eingerichtet, damit es zu keinem Messunterbruch kommt. Die Daten der Station sind im Niedrigwasser- und Mittelwasserbereich brauchbar. Im HW-Bereich kann es sein, dass die Messung zu hohe Werte anzeigt. Grund: Wasserrückstau der Baustelle. Die Baustelle besteht voraussichtlich noch bis Ende August/Anfang September. Bei weiteren HW dauert die Baustelle noch länger.

Die gestrigen Messwerte der Hochwasserspitze von 270 m3/s sind also nicht plausibel.

Grüsse
Philippe
Hallo Philippe,
Danke für die Info über die Baustelle. Ich kann aber nicht nachvollziehen was der Wasserrückstau der Baustelle für Auswirkungen auf die Hochwasserspitze haben kann. Die war gestern 260 m3/s (und nicht 270). Habe ein bischen weitergeforscht und herausgefunden, dass 270 m3/s bereits im Jahr 1953 und wieder am 12. Mai 1999 erreicht wurden. Nochmals fast 270 im Jahr 1968. Dieses Jahr am 13. Juli 220 m3/s. Wie bereits unter diesem thread erwähnt hat auch die Station Thur St. Johann 2 HW innerhalb wenige Tage 2 HW erlebt (am 11. Juli mit 40 m3/s und am 22 Juli mit 45 m3/s).
Ich kann zwar verstehen das der Wasserrückstau eine Rolle spielen kann aber nur wenn das Wasser dann plötzlich herunterströmt. Oder vergesse ich irgendetwas entscheidend? Ich bin kein Hydrolog und kenne die Messstelle auch nicht. Wenn ich als Kind mit Steine und Geholz Dämme baute, hatte ich die Feststellung gemacht, dass irgendwann das Wasser zu überliefen anfing. Aber nicht mehr und nicht weniger als es auch hineinfliess.

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Wenn du 4 Jahre in den letzten 60 Jahren nennen kannst, gilt es doch die Marke von 270m3/s für ein 100 jähriges Hochwasser zu überdenken... ;)

Auch wenn der Pegel gestern falsch war, gab es 3 Hochwasserspitzen >HQ100 seit 1950 - jedoch praktisch nichts deutlich über HQ100
Zuletzt geändert von Chicken3gg am Mi 23. Jul 2014, 20:36, insgesamt 1-mal geändert.

zti
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Re: FCST/NCST: Gewitter/Starkregen 20. bis 22. Juli

Beitrag von zti »

Genau Cedric,
es ist genau was ich zu erklären versuche. Selbst wenn die 270 von gestern, aus den von Philippe erwähnten Gründe, vielleicht übertrieben sind.

Bin aber trotzdem nicht weitgehend überzeugt von den Auswirkungen der erwähnten Baustelle. Wenn sie ein Engnis ist, sind deren Auswirkungen sehr von derer Breite abhängig. Diese kennen wir nicht.
Ich frage mich auch, ob es klug war eine temporäre Messstelle an einem Ort zu installieren der bei HW untauglich wäre. Eine Messstelle ist dafür da HW zu messen und nicht Niedrigwasser, oder? Dass einen solchen Fehler begangen werden konnte, kann ich mich nicht ganz vorstellen, ausser es gab wirklich keine andere Möglichkeit.
Zuletzt geändert von zti am Mi 23. Jul 2014, 20:49, insgesamt 1-mal geändert.

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