Hoi zäme
Chasingbericht 26.09.2012
Kurz vor 13 00 Uhr war ich im Aufbruch begriffen nach Basel an eine Kunstausstellung zu gehen, als überraschend eine SMS von Andreas (Winterthur) kam, ob ich an einem Tessin-Chasing interessiert sei. Natürlich lasse ich mir dies nicht zwei Mal sagen, insbesondere von Andreas, mit dem ich gerne auf Tour gehe und dabei von einem Profi immer viel lernen kann. Doch - vorallem gewittertechnisch - war die Lage nicht ganz einfach einzuschätzen und ich ging auch mal kurz die Karten durch.
Die CAPE-Werte (bei GFS) waren alles andere als berauschend....
..und obwohl die Schweiz auf die Vorderseite des Troges zu liegen kam, rechnete ich nicht mit allzu viel Hebung, da er nur langsam im Begriff war nach Osten durchzuschwenken. Einzig die "Drucknase" am südlichen Trogrand wies am Abend auf ein Hebungspotential hin.
Es stellte sich auch die Frage, ob bei einem dermassen spät angezeigten Frontdurchgang (00z) noch genügend Energie für Gewitter vorhanden sein würde, usw. usw......, oder z.B. präfrontal sich durch die im Bodenwindfeld angezeigten Konvergenz, südwestlich von Varese, doch noch eine Gewitterlinie bilden könnte, wie üblich (bei solchen Lagen) im nordwestlichen Bereich des Lago Maggiore orografisch unterstützt.
Ein weiteres Fragezeichen warf die starke Höhenströmung auf 700 hPa aus SSW auf, die als WLA entlang der Ostflanke des Troges zwar Feuchte heranschaufelte, doch bodennah (wie bereits erwähnt wurde) war die SE-Komponente eher trocken; die Auslöse erfolgt dann eher inneralpin, luvseitig des Alpenmassivs, aber im Centovalli und im Maggiatal kaum zu chasen.
ESTOFEX mit einer Gewitterwahrscheinlichkeit im Tessin von 15% Norditalien und Adriagegend dafür Lvl. 1 (wo das prognostizierte Szenario aber am Ende ausblieb):
http://www.estofex.org/
Andreas und ich entschieden kurz nach 14 00 Uhr trotzdem ins Tessin zu fahren, da vorallem Cosmo2 (relativ überzeugend) über einen längeren Zeitraum - und von Lauf zu Lauf kaum verändert - konvektive Linien im Bereich des Lago Maggiore rechnete: um 17 20 Uhr, um 20 30 Uhr und um 02 30 Uhr, wobei in der Animation der Frontdurchgang um 00z schön markiert war. Auch im 03z-Lauf bei Janek's WRF-ARW waren deutliche Signale drin (z.B. vt 21z), die aber im 15z-Lauf wieder weitegehend hinausgerechnet wurden.
Kurz nach 15 00 Uhr fuhren wir los und fuhren über Schwyz in Richtung Gotthard, als wir die phantastische Kulisse des Dimmerföhns vor uns bewundern konnten. Mehr noch: es schien sich plötzlich aus NW eine vorlaufende Bodenfront aufzubauen, was an den Berghängen zu imposanten Rotoren führte. Darüber mehr oder weniger ausgeprägte Leewellen des Föhns. Als wir in Richtung Altdorf fuhren, bemerkten wir auf dem Urnersee die ersten Steam-Devils und hielten bei einem Parkplatz, genau in der Konvergenzzone des Südföhns mit der dort absinkenden Kaltluft aus NW / NNW. Genau über uns bildeten sich im Zeitraffer interessante Wolkenwirbel, Kondensationsstrukturen (Video folgt) wie ich sie so noch nie beobachten konnte. Auf dem See konnten wir während rd. 30 Minuten etwa 20 Steam-Devils beobachten, die meist kurzlebig über die Wasseroberfläche tanzten - faszinierend!
Bei Biasca hielten wir kurz an, um die Lage zu checken, als die nordöstlichen Ausläufer einer Gewitterlinie über uns hinweg zog. Ein paar mal wurde es hell, zwei Blitze in unmittelbarer Nähe, doch im Niederschlag und in den tief hängenden Wolken eingelagert.
Neue Lagebesprechung in Bellinzona. Andreas schlug vor, dass wir uns auf der östlichen Seeseite des Lago Maggiore, auf italienischer Seite, positionieren. So fuhren wir an den Strand eines Campingplatzes etwas nördlich von Luino, wo gute Sichtverhältnisse von Verbania bis Brissago herrschte. Doch das ständige Geblitze war zu weit weg, um noch einzelne Linien ausmachen zu können. Die Zellen wurden erst nördlich von uns, inneralpin elektrisch. Wir warteten.
Je näher die eigentliche Front kam, desto stärker wurde der Wind und erreichte locker 5-6 Beaufort. Spitzen von 40-45 Knoten dürften da schon dabei gewesen sein. Als der Regen einsetzte, gg. Mitternacht, fuhren wir zurück. Im Bereich der Landesgrenze dürfte der Wind noch stärker gewesen sein. Haufenweise "Salat" und kleinere Äste lagen auf der Strasse.
Aufgrund der Sperrung des Gotthardtunnels (von 20 00 Uhr bis 05 00 Uhr) fuhren wir über den San Bernadino, wo es uns beim Verlassen des Nordportals beinahe von der Strasse gefegt hätte. Im selben Moment rauschte die Front über uns hinweg und von Landquart bis zum Walensee blitzte es ab und zu.
Es war ein spannendes Chasing.
Gruss Cyrill